Freitag, 29. März 2024

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Museen im Wandel
Kunst und Geschichte in Zeiten von Fake News

In Zeiten, in denen Wahrheiten und scheinbar objektiv belegbare Ansichten immer mehr zur Verhandlung zu stehen scheinen, tun sich auch für die Museumslandschaft neue Herausforderungen auf. Wer hat die Deutungshoheit über Ausstellungsobjekte und wer bestimmt eigentlich, was ausgestellt wird? Darüber haben Experten in Berlin diskutiert.

Von Cornelius Wüllenkemper | 14.05.2017
    Ein Besucher schaut sich den Hut von Kaiser Napoleon an. Dieser hatte ihn in der berühmten Schlacht von Waterloo verloren. Der Hut ist Teil einer Dauerausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Foto: AFP PHOTO JOHN MACDOUGALL
    Der "petit chapeau" von Napoleon: Ein Beispiel dafür, wie viele Bedeutungen ein Ausstellungsstück haben kann und welche zentrale Rolle die Deutung von Einzelobjekten hat. (AFP/John MacDougall)
    Die Zeiten, in denen die deutsche Militärgeschichte per amtlichem "Traditionserlass" festgelegt wurde, gelten spätestens seit den umstrittenen Wehrmachtsausstellungen von 1995 und 2001 als endgültig überholt. Während der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe den notwendigen Traditionsbruch zwischen Wehrmacht und Bundeswehr betonte, rieten hochrangige Generäle ihren Soldaten vom Besuch der Ausstellung ab. Eine Debatte, die angesichts der neuerlichen Erkenntnisse über rechtsradikale Umtriebe innerhalb der Bundeswehr enorm an Brisanz gewinnt. Der Historiker und Publizist Hannes Herr, wissenschaftlicher Gestalter der ersten Wehrmachtsausstellung, forderte auf der Tagung in Berlin...
    "...dass die Bundeswehrführung sich zusammensetzt mit Ausstellungsmachern, die Erfahrung haben in diesem Punkt, mit Wissenschaftlern, und für die Truppe eine Ausstellung macht. Da kann man lernen, die kann man verbessern, mit der kann man experimentieren, das ist genau das, was jetzt notwendig ist. Das wäre dann eine dritte Wehrmachtsausstellung, in der dann heterogene Kräfte zusammenkommen mit unterschiedlichen Positionen, und die wandert durch die Kasernen!"
    Wenn das Museum seine Rolle als objektive Wahrheitsinstanz verloren hat, wem gebührt dann die Deutungshoheit? Der Berliner Museologe Joachim Baur spricht von einer Krise der Repräsentationskritik.
    "Wir haben sozusagen unser ureigenstes Werkzeug, hier werden Fakten vermittelt, hier wird Objektivität dargestellt, neutral und wissenschaftlich, das haben wir uns im Grunde genommen etwas weg-dekonstruiert. Und jetzt laufen wir Gefahr im Museum, das andere kommen, mit denen wir nichts zu tun haben wollen, die sagen, das alles hier ist ja Fake, nur Ideologie, wir können uns auf nichts mehr verlassen – und mit diesen, in gewisser Weise ja auch unseren Argumenten knallhart anti-demokratische Politik betreiben."
    Recherchen und Perspektiven transparenter gestalten
    Ausstellungskonzepte, aber auch die Recherchen und Perspektiven müssten angesichts populistischer Anwürfe transparenter gestaltet werden, so Baur. Kuratoren und Ausstellungsmacher etwa müssten namentlich als Autoren in Erscheinung treten, so wie es bereits bei Wissenschaftlern und Journalisten üblich sei.
    "Das schwächt natürlich zunächst in gewisser Weise die eigene Position, indem man sie als verhandelbar darstellt und nicht als objektives Faktum. Aber gleichzeitig glaube ich, dass wir uns damit mit größerer Stärke in einen demokratischen Diskurs hineinbewegen. Denn wir Museumsleute haben ja gute Argumente, wir haben die Geschichten der Vergangenheit, wir haben die Objekte, wir haben die Wissenschaft, das können wir alles ins Feld führen."
    Wie sehr der museale Wert eines Ausstellungsobjekts sich von dessen Deutung abheben kann, zeigte die australische Historikerin Mary-Elisabeth Andrews am Deutungsspektrum des Hutes von Napoleon Bonapart zwischen den Befreiungskriegen und der Blockkonfrontation nach 1945.
    "Napoleons Hut war Symbol der militärischen Stärke Preußens, dann trotziges Emblem angesichts der Niederlage und später das vermeintliche Zeichen einer wiedergewonnenen Stärke. Nach der Rückgabe durch die Sowjets war er dann ein Ausdruck der deutsch-russischen Freundschaft. Er wurde also auf sehr unterschiedliche Weise zur Darstellung der nationalen, militärischen und politischen Geschichte Deutschlands verwendet. Und doch war immer klar: der Hut ist ein unersetzliches Ausstellungsstück."
    Ein Hocker ist ein Hocker
    Jörg Morré vom Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst legte eindrücklich dar, welche zentrale Rolle die Deutung von Einzelobjekten, etwa eines einfachen Holzhockers aus einer ehemaligen sowjetischen Kaserne in Ostdeutschland, bei Kooperationsausstellungen mit Russen, Weißrussen und Ukrainern bis heute spielt.
    "Rum und Ehre der Sowjetarmee als Floskel ist eben in der russischen Betrachtung des Weltkrieges wie auch der Nachkriegszeit immer noch wichtig. Wenn wir den Hocker dafür nutzen, despektierlich über sowjetische Soldaten in der DDR – die hier den Frieden gesichert haben, so die russische Sicht – zu reden, dann werden wir mit dieser Deutung bei den russischen Kollegen auf Widerstand stoßen."
    Ein Hocker ist ein Hocker ist ein Hocker, hätte man annehmen können. Die Tagung "Deuten – Bedeuten – Umdeuten" zeigte vielmehr, dass Historiker und Ausstellungsmacher angesichts der wachsenden Meinungspluralität vor der Herausforderung stehen, ihre wissenschaftliche Deutungskompetenz plausibel zu verteidigen.