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Museum der Deutschen Migrationsgeschichte
Regellos, irritierend, faszinierend

Ein spezielles privates Migrationsmuseum von und für Migranten, ohne Kurator und strenges museumspädagogisches Konzept - das ist neu in Deutschland. Jeder darf und soll dem neuen Haus Erinnerungsstücke an die persönliche Anfangszeit in der neuen Heimat bringen.

Von Susanne Lettenbauer | 27.10.2015
    Historisches Zeugnis der Migration: Der millionste Gastarbeiter in der Bundesrepublik bei seiner Ankunft im Jahr 1964.
    Historisches Zeugnis der Migration: Der millionste Gastarbeiter in der Bundesrepublik bei seiner Ankunft im Jahr 1964. (picture-alliance/ dpa - Ossinger)
    Der Weg ins Museum der Deutschen Migrationsgeschichte führt hinunter in den Keller. Obendrüber lärmen Kinder in einer Kita. Einzig kleine Schilder zeugen davon, dass hier künftig im Untergeschoss ein Museum untergebracht ist.
    "Also wir sind im Keller. Manche fangen in der Garage an, manche fangen im Keller an. Wir haben Glück gehabt, dass wir im Keller anfangen."
    Das sei doch eine schöne Metapher, sagt Zeki Genc, Initiator und Vorstandsvorsitzender des Bayerischen Instituts für Migration e.V., dem Träger des neuen Museums. Über fünf Jahre haben Genc und seine 15 ehrenamtlichen Mitarbeiter die Idee von einem Migrationsmuseum mit sich herumgetragen. Eine Studie im Auftrag des Deutschen Museumsbundes bezeugte 2012, dass die deutschen Museen sehr wohl zahlreiche Sonderausstellungen zum Thema Migration anbieten, dass kulturelle Vielfalt und Migration Teil von Dauerausstellungen sind. Aber ein spezielles privates Migrationsmuseum von und für Migranten, ohne Kurator und strenges museumspädagogisches Konzept, das ist neu in Deutschland. Und auf seine regellose Art irritierend faszinierend. Genc betont:
    "Bei uns geht es nicht um Nationalität, das ist das Besondere, sondern es geht um deutsche Migrationsgeschichte. Wir fangen ab 1950 an mit dem polnischen Bergwerkarbeiter – habe ich auch welche – und gehen weiter mit den heutigen Flüchtlingen."
    "Wir machen es langsam. Erst eröffnen, dann sammeln"
    Jeder aus ganz Deutschland solle, dürfe und könne seine Erinnerungsstücke an das Museum geben. Fotografien, alte Briefe und Reisepässe, Teppiche und Möbel, wie die 80er-Jahre-Couch und der kitschige grellbunte Wandteppich gleich am Eingang des Museums. In einem weiteren Raum stehen zehn noch leere Glasvitrinen. Genc selbst will einen Kochtopf seiner türkischen Mutter aus den 70er-Jahren in die Vitrine stellen.
    "Es geht gar nicht um Ethnie, sondern es geht um Migration und wir sammeln die Erfahrungen dieser Menschen, die sie in Deutschland gewonnen haben und stellen sie den Menschen zur Verfügung. Das ist unsere Botschaft."
    Die türkische Migrantin Makbule Kurnaz legt eine alte Handarbeit in die Vitrine. Robert Stauffer, Schriftsteller, Literaturverleger und nach eigenen Angaben migriert aus der Schweiz, lässt einen alten Serviettenring von 1943 im Museum. Die griechischstämmige Münchner Künstlerin Manuela Serafim hat vergilbte Fotos von ihren Eltern dabei. Man wolle mit dem Museum "rausplatzen", sagt Initiator Zeki Genc euphorisch. Je eher die jetzigen Kellerräume zu klein würden für die Vielzahl der Ausstellungsstücke, umso eher verstünde die Politik, dass Deutschland ein Migrationsmuseum brauche. Nicht in irgendeinem Keller, sondern prominent in Münchens Zentrum. Die Migranten sollen ein Gefühl der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft bekommen:
    "Wir machen es langsam. Erst eröffnen, dann sammeln, und wenn wir so weit sind, gehen wir zu den entsprechenden Stellen und besprechen das. Erst einmal sammeln, damit die Leute kommen. Ich habe über 100 Menschen auf der Liste, die etwas abgeben wollen."
    Man solle in dem heute eröffneten Museum nicht die Geschichte der Migranten darstellen, sondern die Migranten in der deutschen Geschichte, mahnt der türkischstämmige Münchner Galerist Bülent Kullukcu und wird unterstützt von dem eigens angereisten Essener Integrationsforscher Caner Aver. Die deutsche Geschichtsschreibung brauche neue Narrative, keine Neuschreibung der Geschichte, aber doch eine signifikante Ergänzung um den Einfluss der Migranten auf das Deutschland der Neuzeit. Ähnlich den Migrationsmuseen in Australien, Kanada und den USA.
    Dass Erinnerungsstücke dabei eine Rolle spielen können, ist unbestritten. Ebenso wie das Erzählcafé, in dem die Migranten jeden zweiten Mittwoch im Monat von ihren Erfahrungen berichten. Dabei darf es aber nicht bleiben, wollen die Macher um Zeki Genc irgendwann einmal den Museumskeller verlassen. Migration gehört nicht nur in ein Museum, sondern ist ein Prozess, der gerade jetzt einen ganz neuen, viele Menschen beängstigenden, Schub bekommt.
    Dass die bayerische Staatsregierung die Notwendigkeit eines Migrationsmuseums bereits erkannt, wenn auch nicht initiiert hat, zeigte heute die Anwesenheit des Integrationsbeauftragten der bayerischen Staatsregierung Martin Neumeyer, gleichzeitig Schirmherr des Museums, dessen Eröffnung heute eher einen Symbolcharakter trug. Ein erster Schritt, die Arbeit beginnt erst.