Donnerstag, 28. März 2024

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Museums-Leitfaden
Partizipation und Multiperspektivität

Am kommenden Donnerstag wird ein neuer Leitfaden für die Museen in Deutschland vorgestellt. "Museen, Migration und kulturelle Vielfalt" heißt er und er soll, so der Deutsche Museumsbund, Museen dabei unterstützen, sich auf die kulturelle Vielfalt der heutigen Gesellschaft auszurichten. In Zusammenarbeit mit Migrantenverbänden ist eine 50 Seiten starke Handreichung entstanden.

Dietmar Osses im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 23.02.2015
    Doris Schäfer-Noske: Frage an den Sprecher der Arbeitsgruppe, Dietmar Osses, er ist Leiter des Industriemuseums Zeche Hannover in Bochum: Warum brauchen denn die Museen überhaupt einen solchen Leitfaden?
    Dietmar Osses: Das sind vielleicht zwei Gründe. Wir haben einerseits in den letzten Jahren ja eine deutliche Häufung von Jahrestagen, zum Beispiel zum Anwerbeabkommen. Das heißt, aus Mechanismen der Erinnerungskultur ist das Thema bei vielen Museen auf der Agenda und wird von der Politik auch da raufgehoben. Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass die Gesellschaft doch in den letzten Jahren deutlich vielfältiger geworden ist, und wir können schon sehen, dass sich diese Vielfältigkeit unserer Gesellschaft heute nicht gleichermaßen in allen Museen gut abbildet.
    Schäfer-Noske: An welche Museen richtet sich denn dieser Leitfaden?
    Osses: Letztlich richtet sich der Leitfaden tatsächlich an alle Museen, das heißt an Museen aller Größen, vom kleinsten Heimatmuseum bis hin zum bundesdeutschen Museum, aber auch an Museen aller Sparten, also nicht, wie man vielleicht verkürzt denken würde, das geht nur die Stadt- und Geschichtsmuseen an; es geht auch um Kunstmuseen, auch Naturkundemuseen stehen da vor Herausforderungen und haben Möglichkeiten, die Vielfältigkeit der Gesellschaft vielleicht stärker in den Blick zu nehmen.
    Schäfer-Noske: Was steht denn nun drin im Leitfaden? Welche Ratschläge werden diesen Museen denn da gegeben?
    Osses: Wesentlich für uns sind eigentlich zwei wichtige Stichworte. Das ist das Stichwort der Partizipation und das Stichwort der Multiperspektivität, weil es geht letztlich auch um eine Haltungsänderung der Museen. Das heißt, die Museen müssen sich vielleicht - einige sind schon sehr weit vorne, aber andere müssen sich vielleicht auch ein Stück weit weiter öffnen und sich auch als einen Ort des Dialoges mehr verstehen. Und dazu haben wir diese Handreichung vorbereitet, um unsere Kolleginnen und Kollegen auf diesem Weg ein Stück weiter zu begleiten.
    Schäfer-Noske: Aber es geht jetzt nicht nur um, ich sage jetzt mal, Audio-Guides in mehr Fremdsprachen, sondern es geht auch an die Aufgaben des Museums, nämlich Sammeln, Forschen, Vermitteln, dass dort sich auch der Fokus verändern muss. Wo müssen denn da die Museen am stärksten umdenken?
    "Wir müssen neu sammeln"
    Osses: Das betrifft natürlich den Kernbereich des Sammelns. Da müssen wir einerseits neu sammeln mit Aspekten der Migrationsgeschichte in der kulturellen Vielfalt, aber wir müssen auch die bestehenden Sammlungen neu befragen. In vielen Objekten steckt Migrationsgeschichte drin, steckt vielleicht ein anderer kultureller Blick drin, den wir noch gar nicht so sehr gefasst haben, weil das Thema noch gar nicht in unserer Perspektive stand. Es geht aber auch um die Frage des Ausstellens. Fragen von Zuwanderungsgeschichte und kultureller Vielfalt kann man im Prinzip prinzipiell in jeder Ausstellung betrachten. Da können wir eine neue Perspektive einpflegen eigentlich. Und es geht letztlich auch um die Frage der Vermittlung, und das geht dann weit über fremdsprachliche Angebote oder auch Angebote für sogenannte bildungsferne Schichten hinaus, denn das Thema Migration und kulturelle Vielfalt betrifft ja alle sozialen Milieus und nicht nur die, die im Moment politisch in der Integrationsagenda ganz vorne stehen.
    Schäfer-Noske: Das heißt, Sie sagen auch, dass in den Sammlungen möglicherweise im Depot etwas schlummert, wo man einfach noch nicht wahrgenommen hat, dass das im Zusammenhang mit Migration doch ein interessantes Thema sein könnte. Haben Sie da ein Beispiel?
    Osses: Wir haben uns ganz konkret mit Partnern auf die Suche begeben und es gibt ein Projekt in Berlin, das Projekt "Neuzugänge", was geschaut hat, was Kuratoren aus den Häusern selber in ihren Sammlungen für Stücke gefunden haben, von denen sie meinen, dass sie zur Migrationsgeschichte gehören, und Partnern aus Migranten-Communities, die dazugekommen sind und gesagt haben, wir haben aber ganz andere Objekte da, zum Beispiel hier eine unscheinbare Wasserflasche, die in eurer Sammlung noch gar nicht im Zentrum gestanden hat, die aber ein Leitobjekt für alle Zuwanderer war, die zum Beispiel damals aus Anatolien nach Deutschland gekommen sind, oder ein besonderes Radio, was in einer Alltagskultur-Sammlung schlummert, was aber eine ganz große Bedeutung als Brückenschlag zur heimischen Kultur für Einwanderer galt. Diese vielfältigen Perspektiven und Erfahrungen auch im Umgang und in unterschiedlichen Nutzungen von Objekten ist uns ganz wichtig, und da gibt es noch viel zu tun.
    Schäfer-Noske: Das war Dietmar Osses, Leiter des Industriemuseums Zeche Hannover in Bochum, über einen Leitfaden, der Museen für Migrationsthemen sensibilisieren soll.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.