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Musical "Sweat Shop" in Oberhausen
Eine albern-schräge Liebesgroteske

Am Theater Oberhausen bringt das Hamburger Künstlerkollektiv "Geheimagentur" ein Musical mit sozialkritischem Ansatz auf die Bühne. Das Stück führt das Konzept des Strukturwandels vor, wenn Industriebrachen zu Einkaufszentren und Freizeitparks umgewidmet werden. Klar, dass da das Bühnenbild bewusst trostlos gehalten ist.

Von Dorothea Marcus | 15.03.2015
    Das Theater Oberhausen.
    Das Theater Oberhausen. (dpa / picture alliance / Caroline Seidel)
    Als "Sweatshop" wird normalerweise ein Ausbeutungsbetrieb mit Niedrigstlöhnen, meist in Entwicklungsländern, bezeichnet. Einst war die Stadt Oberhausen, jene "Wiege der Ruhrindustrie", selbst ein Sweat Shop der Nachkriegszeit. Doch als das letzte große Stahlunternehmen im Jahr 2004 Insolvenz anmeldete, gingen die Schwierigkeiten erst richtig los. Die Einwohnerzahl fiel markant, die Arbeitslosigkeit stieg. Oberhausen wurde zum Symbol dessen, was in Westdeutschland schief laufen kann.
    "Wir befinden uns in der Alleestraße, im Industriegebiet. Im Bürogebäude der ehemaligen Babcock Handel wird zurzeit ein ganz neues Veranstaltungskonzept erprobt: Party mit Parkplatz."
    Das Künstlerkollektiv "Geheimagentur" führt in Oberhausen mit coolem Elektro-Punk-Sound und trockenen Texten das Konzept des Strukturwandels vor, wenn Industriebrachen zu Einkaufszentren und Freizeitparks umgewidmet werden. Denn wer soll all die neuen Konsummöglichkeiten nutzen – wenn so viele arbeitslos sind? Die Realität sieht trostlos aus: Auf weißen Fahnen werden Bilder von verlassenen Fabriken und städtischen Brachflächen eingeblendet. Mit Stewardessen-Lächeln, angekleidet in schwarzen Monteursanzügen und goldenen Glitzerschuhen inszenieren die sieben Performer tanzend und mit Styropor-Gebäudeattrappen auf dem Kopf genau das, was der Strukturwandel als Alternative vorschreibt – und was seit jeher dem Genre des Musicals eingeschrieben ist: Spaßhaben. Nur, dass es in diesem sozialen Musical, genannt "Socical", nicht besinnungslos zugeht, sondern gesellschaftskritisch.
    Theoretisches Potenzial verschenkt
    Das Hamburger Künstlerkollektiv "Geheimagentur" arbeitet meist im öffentlichen Raum, beauftragt von den Wiener Festwochen oder den Berliner Festspielen. Die Namen der Mitglieder sind geheim. Aus der Anonymität heraus meinen sie, besser die Gesellschaft theatralisch analysieren zu können. In Oberhausen inszenierten sie bereits ein Wettbüro oder eine Schwarzbank mit selbst gedrucktem Geld. In Hamburg simulierten sie in einem Grenzcamp die EU-Abschottungspolitik. In Oberhausen arbeitet die freie Gruppe zum ersten Mal auf einer festen Bühne, mit drei Darstellern des festen Ensembles, die Band "Sweat Shop Boys" steuert am Mischpult großartige Songs und Texte dazu bei. Titel wie "Wenn wir so teuer sind, warum sind wir dann so arm" fassen bestechend prägnant die Folgen von Raubtierkapitalismus und Konsumfetischismus zusammen. Leider hört sich dieses "Socical" zuweilen an wie eine albern-schräge Liebes-Groteske, die manchmal etwas zu unterkomplex daherkommt:
    "Die Stadt hat eine SMS von der Industrie bekommen. Ich hab dich gern, aber ich hab mir's noch mal überlegt. Alles Gute. Nachdem die Stadt von der Industrie verlassen worden ist, läuft die Stadt durch sich selbst. Der erste Kuss ... wohin ich auch blicke, du bist die Lücke in mir."
    Industriebottiche werden gestapelt, aus einem Betonmischer steigen Seifenblasen, ein SPD-Mann spricht salbungsvoll vom "gelungenen Strukturwandel" – leerstehende Industrieruinen sprechen eine andere Sprache.
    Wehmütig wird der Trading-Down-Effekt besungen, der das Gegenteil von der "Gentrifizierung" ist: zu viele Wettbüros in einer Stadt machen ihr Image kaputt. Immer wieder sollen die Zuschauer Satzfetzen in die Mikros stammeln, die dann jedes Mal zu einer Live-CD zusammengemischt werden, die täglich im Internet als Download bereitstehen wird. Das ist zwar intelligent gemacht, aber in der Dramaturgie des Abends leider nur Dekoration – und verschenkt viel theoretisches Potenzial. Zum Schluss scheint dann aber doch noch eine schöne Utopie auf, vorgetragen als Dia-Exkurs: Ausgerechnet die griechische Vio.Me-Fabrik wurde, nachdem sie 2009 geschlossen wurde, von Arbeitern besetzt und als Genossenschaft für ökologische Reinigungsmittel selbstbestimmt wieder eröffnet. Solche Ideen konkreter auf Oberhausen zu beziehen – das hätte den Abend vollends rund gemacht.