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Musik
Alfred Schnittke und die Polystilistik

Der siebte Teil der Reihe "Die musikalische Quadriga" widmet sich dem russischen Komponisten Alfred Schnittke, der sich selbst attestierte, "keinen Tropfen russischen Blutes" in sich zu haben. Im Mittelpunkt stehen seine "Dritte Sinfonie" sowie sein "Erstes Konzert für Klavier und Orchester".

Von Johannes Jansen | 30.12.2014
    Der russische Komponist und Pianist Alfred Schnittke, schwarz-weiß-Aufnahme, an einem Klavier sitzend, in die Kamera blickend.
    Der russische Komponist und Pianist Alfred Schnittke. (dpa/picture alliance/Tass)
    Das Werk eines russischen Komponisten, der sich selbst als "Russe ohne einen Tropfen russischen Blutes" sah, Alfred Schnittke, steht im Blickpunkt des heutigen Programms der musikalischen Quadriga. Ohne einen solchen Tropfen russischen Blutes hat Schnittke auch seine Dritte Sinfonie geschrieben, die 1981 als Auftragswerk anlässlich der Eröffnung des Neuen Leipziger Gewandhauses zur Uraufführung kam. Er selbst hat sie als "deutsche" Sinfonie bezeichnet. In der zweiten Programmhälfte wird sie zu hören sein. Aber auch die erste ist eine Hommage an Schnittke, der am 24. November 80 Jahre alt geworden wäre. Schon einige Wochen zuvor, am 10. September 2014, hat ihn das RSO Berlin - das Rundfunk-Sinfonieorchester - mit einer Aufführung in der Berliner Philharmonie geehrt. 2008, zehn Jahre nach seinem Tod, hat es ihm eine CD gewidmet, die drei seiner vier Klavierkonzerte zusammenfasst, und auch eine preisgekrönte, vierteilige Anthologie mit ausgewählten Film-Kompositionen unterstreicht die besondere Schnittke-Kompetenz des RSO. Dirigent und treibende Kraft bei diesen CD-Produktionen war Frank Strobel, ein enger Vertrauter Schnittkes in dessen letzten Lebensjahren. Die Solistin im nun folgenden Ersten Konzert für Klavier und Orchester ist Ewa Kupiec. Die vorliegende Schallplattenaufnahme entstand Anfang November 2005 in Berlin, unmittelbar vor der deutschen Erstaufführung, die überhaupt die erste öffentliche Wiedergabe dieses Konzerts seit der Uraufführung im Jahr 1960 war.
    1. MUSIK: A. Schnittke, Konzert für Klavier und Orchester, CD-Track 1-3
    Das war das Erste Klavierkonzert von Alfred Schnittke mit der Solistin Ewa Kupiec und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel. In etwas verkleinerter Orchesterbesetzung, doch mit erweitertem Schlagzeug und Maria Lettberg als zweiter Pianistin hat Frank Strobel mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester im Jahr 2006 auch Schnittkes Konzert für Klavier vierhändig und Kammerorchester eingespielt. Entstanden 1988 noch in Moskau, ein Jahr vor Schnittkes Übersiedlung nach Hamburg, markiert es die Schwelle zum Spätwerk des damals schon von einem schweren Schlaganfall gezeichneten, in seiner Kreativität aber ungebrochenen Komponisten. Beide Klavierkonzerte trennt eine Spanne von fast vier Jahrzehnten, in denen sich Schnittkes Musiksprache - auch als Reaktion auf Impulse westlicher Avantgardemusik und die, wie er es nannte, "unvermeidlichen Mannhaftigkeitsproben der seriellen Selbstverleugnung" - in Richtung einer - auch das ein Begriff von ihm - "Polystilistik" entfaltet hat. Im ersten, insgesamt eher konventionell gearbeiteten Konzert deutet allerdings noch wenig darauf hin, und auch das spätere kann nicht oder besser: nicht mehr als Beispiel herhalten, denn die Einbeziehung von Fremdmaterial und Quasi-Zitaten ist einem Rückbezug auf das eigene Werk gewichen. Auf eine Äußerlichkeit hat Schnittke selbst hingewiesen: "Nun ist es fertig, und es kam wieder zu der von mir (wie auch von anderen nach Liszt) mehrmals realisierten Form eines mehrsätzig-einsätzigen Werkes." Kaum nachweisbar sind hingegen die in anderen Werken wie der Dritten Sinfonie fast überdeutlich ausgelegten Spuren zu Johann Sebastian Bach.
    2. MUSIK: A. Schnittke, Konzert für Klavier vierhändig und Kammerorchester, CD-Tr. 5
    Das war mit Ewa Kupiec und Maria Lettberg (Klavier) und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel das Konzert für Klavier vierhändig und Kammerorchester von Alfred Schnittke. Mit dessen Dritter Sinfonie hat das RSO vor einem Vierteljahr sein bisher wohl größtes Schnittke-Projekt realisiert. Es ist eine Partitur von einschüchterndem Format, die allen Beteiligten nicht nur höchste Konzentration, sondern auch Kondition abverlangt - und fast die komplette Sendezeit der nächsten Stunde beansprucht. Darum sei diese erste Stunde noch genutzt für ein Statement des Dirigenten Vladimir Jurowski im Gespräch mit Stefan Lang von Deutschlandradio Kultur. Es geht um die in Noten chiffrierten Komponistennamen, aus denen Schnittke das Material seiner - wir sagten es eingangs schon - dezidiert "deutschen" Sinfonie gewann:
    "Das hatte teilweise auch mit seiner persönlichen Geschichte zu tun: Ein Wolgadeutscher mit jüdischen Wurzeln, der die wichtigen, formativen Jahre der Kindheit in Wien verbracht hatte ... Das ist die möglichst vollständige Sicht der deutschen Kultur, aber von außen her gesehen [...] Es gibt für mich nach Schostakowitsch ganz wenige Komponisten, die im Bereich der großen Symphonik etwas den Errungenschaften der Mahler- und Nach-Mahler-Zeit Ebenbürtiges geleistet haben ... Und ich finde, die werden in der heutigen postmodernen, jetzt nicht unbedingt sehr geradlinig positivistisch denkenden Zeit wieder aktuell. Schnittke wagt hier wirklich eine imaginäre Reise durch die ganze deutsche Musikgeschichte, wobei er natürlich deutsche und österreichische Musikgeschichte vermischt - das war für ihn eine untrennbare Einheit."
    T e i l II
    Willkommen zum zweiten Teil des Alfred Schnittke gewidmeten Programms im Rahmen unserer Sendereihe "Die musikalische Quadriga" mit herausragenden Produktionen der vier in der Berliner Radio-Orchester und -Chöre Gesellschaft (kurz: ROC) vereinigten Klangkörper. Im Mittelpunkt heute steht das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit einer Aufführung von Schnittkes Dritter Sinfonie, fürs Radio aufgezeichnet am 10. September dieses Jahres in der Berliner Philharmonie. Der Dirigent ist Vladimir Jurowski.
    3. MUSIK: A. Schnittke, Dritte Sinfonie
    Sie hörten in einer Aufnahme mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Vladimir Jurowski die Dritte Sinfonie von Alfred Schnittke, aufgezeichnet am 10. September dieses Jahres in der Philharmonie Berlin. Morgen auf dem gleichen Sendeplatz, im letzten Teil unserer Reihe "Die musikalische Quadriga", ist wieder das Bach'sche Weihnachtsoratorium zu hören, genauer: die beiden Kantaten zum Sonntag nach Neujahr und zum Epiphanias- oder Dreikönigsfest.
    Orchester und Chöre der 'roc berlin' präsentieren Höhepunkte des Jahres (7/8)
    Alfred Schnittke
    Erstes Konzert für Klavier und Orchester
    Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
    Leitung: Frank Strobel
    Alfred Schnittke
    Dritte Sinfonie
    Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor Berlin
    Leitung: Vladimir Jurowski
    Alfred Schnittke
    Konzert für Klavier vierhändig und Kammerorchester
    Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor Berlin
    Leitung: Frank Strobel
    Mit Johannes Jansen
    (Teil 9 am 31.12.14)