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Musik für alle Römer

Ein italienischer Banker stiftet jedes Jahr 5,5 Millionen Euro für die römischen Symphoniker, ein Orchester von 100 Musikern, das ungeheuer erfolgreich ist - und nun seinen zehnten Geburtstag feiert. Ihr Rezept: Sie wollen Musik für alle machen.

Von Thomas Migge | 03.11.2012
    Francesco La Vecchia nimmt überdurchschnittlich häufig die Werke deutscher Komponisten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in sein Programm auf. Genug Möglichkeiten dazu hat er ja. Der Chefdirigent des Orchestra Sinfonica di Roma ist in der beneidenswerten Position, jedes Jahr rund 33 Konzertabende zusammenstellen zu dürfen. Niemand redet ihm bei der Programmgestaltung hinein. Um finanzielle Fragen muss er sich nicht kümmern. Das tut jene Person, die die Idee zur Gründung seines Orchesters hatte, damals, vor genau zehn Jahren:
    "Das war der Präsident der Stiftung Fondazione Roma, eine Bankenstiftung. Er entwickelte dieses Projekt, weil er begeistert war von meiner damaligen Arbeit bei der Ausbildung junger Orchestermusiker. 2001 unterrichtete ich 80 junge Leute. Das war ein großer Erfolg. Die Fondazione Roma bat mich daraufhin, aus dem Nichts ein Orchester zu gründen."

    So entstanden 2002 die römischen Symphoniker. Deus ex machina dieser kulturpolitischen Operation war und ist der Mäzen Emanuele Francesco Maria Emanuele. Der Bankier zeigt im barocken Palazzo Sciarra, der seiner Bankenstiftung gehört, Kunstausstellungen und finanziert komplett das Orchestra Sinfonica di Roma. Ein Bankier mit einer großen Vision. Emanuele Francesco Maria Emanuele:

    "Das ist Poesie, das ist Liebe, das ist Hoffnung und das ist ein Ort, an der der kulturelle Horizont erweitert werden soll. Wir wollen deshalb klassische Musik nicht nur für eine Elite, sondern für eine breite Öffentlichkeit und zu demokratischen Preisen bieten. Mit Musik für eine bessere Welt!"
    Die Konzerte der römischen Symphoniker sind ständig ausverkauft. Zum einen, weil die teuersten Plätze im Auditorio della Concilliazione, in der Nähe des Vatikans, das Emanuele für 500.000 Euro pro Jahr angemietet hat, nur maximal 20 Euro kosten. Und zum anderen, weil vor allem gängige klassische Musik geboten wird, die man immer wieder gern hört: Beethovens und Haydns Symphonien, Mozart-Ouvertüren, Klavierkonzerte von Tschaikowsky, slawische Tänze von Bartok etc. Dann und wann sind die Konzerte auch mit Werken von Komponisten aus dem frühen 20. Jahrhundert gespickt, aber eher selten.

    Mit so einem Programm und so niedrigen Preisen zieht man ein Publikum an, für das die Konzerte des berühmten Orchesters der Accademia di Santa Cecilia im Auditorium von Renzo Piano zu teuer und zu anspruchsvoll sind. Über die populäre Programmgestaltung der römischen Symphoniker rümpfen Italiens Musikkritiker ihre Nasen - doch das ständig volle Haus beweist, dass Francesco La Vecchia richtig liegt.

    Der Chefdirigent ist stolz darauf, dass er und sein Orchester "Musik für alle" bieten. Emanuele lässt sich sein Orchester etwas kosten. Mit 5,5 Millionen Euro jährlich werden rund 100 Musiker, der Chefdirigent Francesco La Vecchia, Gastdirigenten und Solisten bezahlt. Die Musiker des römischen Bankiers haben neben ihren 33 Konzerten im Jahr viel zu tun. Francesco La Vecchia:
    "Mit meiner innovativen Informationspolitik machen wir auf uns aufmerksam. So spielen wir immer wieder gratis in Schulen, Universitäten und Gefängnissen. In den zehn Jahren unseres Bestehens haben wir 400 Gratiskonzerte gegeben."

    Mit dem finanziellen Segen von Mäzen Emanuele realisieren La Vecchia und seine Musiker ein weiteres ehrgeiziges Projekt: Sie spielen auf rund 60 CDs die 100 wichtigsten Symphonien italienischer Musik der letzten 150 Jahre ein. Darunter zahlreiche selten zu hörende Werke von Respighi, Martucci, Casella, Sgambati, Petrassi und vielen anderen. Die meisten Kompositionen sind zum ersten Mal auf einem Tonträger zu hören.

    Im finanziell recht ausgetrockneten Kulturland Italien ist die musikpolitische Initiative des Bankiers Emanuele eine saftig-grüne Oase. Bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Bankenkrise Italiens nicht auch auf den Geldgeber der römischen Symphoniker übergreifen wird.