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Musik für den Himmel

Ein Komponist sei ein Handwerker, der sich mit der Formung von Luftschwingungen befasst, wusste der Komponist Karlheinz Stockhausen. Für dessen Sehnsucht nach dem Fliegen schaffte das diesjährige Musikfest in Berlin einen besonderen Raum. Mit einem Konzert im Hangar 2 des Flughafens Tempelhof ging nun die Konzertreihe zu Ende.

Von Georg-Friedrich Kühn | 23.09.2008
    Das Vogelkonzert aus Olivier Messiaens "Éclairs sur l'Au-Delà ... ", den "Gedanken über das Jenseits". 1992 zum 150.Geburtstag der New Yorker Philharmoniker entstand es und wurde uraufgeführt einige Monate nach dem Tod des französischen Komponisten - hier mit dem Deutschen Symphonie Orchester unter Ingo Metzmacher.

    Im Dezember vor hundert Jahren wurde Messiaen in Avignon geboren. Die Spiritualität des Ortes hat auf ihn zeit seines Lebens gewirkt. Die "Éclairs" schrieb er einige Jahre nach seinem bekenntnishaften Opernwerk über den heiligen Franziskus. Messiaen war einer der wesentlichen Ideengeber der jüngeren Komponisten-Generation nach dem zweiten Weltkrieg.

    Sein Werk stand im Mittelpunkt des diesjährigen Musikfests Berlin. Vor allem auch seinen frühen und frühesten Stücken konnte man hier begegnen. Sie zeigen - wie das "Tombeau" auf den Tod seiner Mutter - dass vieles von seinem Stil wie die metallenen Mixtur-Klänge, die zu breitem Mahlstrom sich ausweitenden Hymnen schon bei dem Messiaen der 30iger Jahre vorgeprägt ist.

    Flankiert wurde Messiaen von zwei anderen spirituell orientierten Komponisten, Anton Bruckner zum einen und Karlheinz Stockhausen, der heuer 80 Jahre alt geworden wäre, zum anderen.

    Mit "Stimmung", einer Komposition aus den politisch zerrissenen 1970iger Jahren, als Stockhausen sich von seiner technizistischen 60iger-Jahre-Phase mit den immer neuen Versuchen elektronisch-serieller Kompositionen abwandte, wurde erinnert an einen wesentlichen Zug in Stockhausens Denken.

    "Stimmung" ist der Versuch von sechs Sängern, auf einander und gleichsam improvisatorisch auf ihr Inneres zu hören. Der meditative Charakter mit auch entsprechend garniertem Äußeren wirkt heute freilich trotz der erotischen Eindeutigkeiten doch schon etwas verstaubt.

    Ergänzt wurde die Stockhausen-Abteilung unter anderem mit einer der Inkunabeln der neueren Musik, den "Gruppen" von 1957, einem für den frühen Stockhausen ungewöhnlich klangsinnlichen Werk, in dem Stockhausen versuchte, die tradierte Hierarchie zwischen den Klanggruppen der Orchester und auch die zwischen Orchester und Dirigent aufzuweichen.
    Für die optimale Aufstellung der drei räumlich getrennt agierenden Orchester waren Berlins Philharmoniker und Sir Simon Rattle sowie die zwei "Unter"-Dirigenten Daniel Harding und Michael Boder in einen Hangar des Flughafens Tempelhof ausgewichen.

    Die "Gruppen" mit ins Programm zu nehmen, hatte Musikfest-Leiter Winrich Hopp bei seinen Gesprächen mit Stockhausen vor dessen Tod letzten Dezember freilich Mühe, den Meister zu überzeugen.

    " Er hätte lieber ganz neue Sachen gehabt. Ich hab dann schon drauf beharrt, ich will die "Gruppen" haben. Und ich hab‘s immer wieder beim Stockhausen erlebt, wenn man ihm klar gemacht hat, warum man etwas will, dann war er am Ende auch richtig dabei."

    Immerhin ein ganz neues, das letzte aus seiner Produktion, wurde ad hoc in einem Konzert der MusikFabrik NRW ins Programm integriert, das Streichtrio "Hoffnung" mit zweimaligem von allen drei Musikern unisono zu sprechenden "Dank" an Gott für "das Werk" à la Bachs "Soli Deo Gloria", einem b-a-c-h-Zitat und erstaunlich redundant kreisenden Verzierungen in allen Stimmen.

    Erstmals in diesem Jahr hat das aus den Berliner Festwochen hervorgegangene "Musikfest" ein eigenes Gesicht gefunden. Ob es dazu unbedingt einer Parade europäischer Spitzenorchester bedarf steht dahin. Das Wichtigste ist sicher eine klug vernetzte Programmplanung, wobei man sich auch kompaktere Laufzeiten durchaus denken und wünschen kann.