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Musik für die Laienbühne

Heute bewegen wir uns im Theaterbereich - genauer gesagt in einem Spezialfall desselben: ich stelle Ihnen eine (übrigens nicht ganz unamüsante) Einspielung eines Einakters vor, für dessen Komponist Theater und Oper zum wahren Trauma erwuchsen.

Von Frank Kämpfer | 04.06.2006
    * Musikbeispiel: Felix Mendelssohn Bartholdy - aus: "Heimkehr aus der Fremde", op. 89

    Das geradezu hymnische Selbstlob entlarvt ihn schon im Auftrittsgesang. Musik, beim Worte genommen, sagt das Gegenteil aus als der Text; Albert Lortzing lässt grüßen. Der sich so weltgewandt gibt, aller europäischer Herren und Länder Tanzschritte weiß, kann nur ein Falschspieler sein. - In der Tat: Kauz, die komische und zugleich die dramatisch forcierende Figur in Felix Mendelssohns Einakter "Heimkehr aus der Fremde", ist einer, der das Rollenspiel liebt und sich jeder sich verändernden Lage anpassen kann. Hier gibt er vor, der verschollene Hermann zu sein, der Sohn eines Dorfschulzen, den seine Mutter Jahre zuvor in die Welt geschickt hat, damit er dem Soldatsein entgehe und der nur eine Gesangsnummer später heimkehrt als Werbeoffizier für neue Rekruten.

    Klingt hier Autobiographisches an? Vermutlich kaum. Felix Mendelssohn schreibt das Liederspiel als Zwanzigjähriger 1829 auf jener Reise durch Schottland und England, die ihn zur Hebridenouvertüre anregt - bei seiner Rückkehr ins Vaterhaus Leipziger Straße Nr. 3 in Berlin mag er gereift durch das Erlebnis der Fremde aber kaum unerkennbar geworden sein. Immerhin griff der Jung-Komponist eine private Tradition wieder auf und führte sein op. 89 (wie alle musik-dramatischen Entwürfe der Jugend) im Familienkreis auf. Ausreichend Zuspruch garantierte bereits der Aufführungsanlass - die Silberhochzeit der Eltern. Und tatsächlich: ein relativ kurzes, musikalisch unterhaltsames Stück wurde da präsentiert. Einige der vierzehn Nummern wirken originell - zum Beispiel jenes Duett Nr. 2, wo Alt und Sopran entgegengesetzte Gefühle behaupten. Es singen die Mutter, die den Verlust des Sohnes beklagt, und dessen zu junge Verlobte, die das Dienstjubiläum des Schulzen, ihres Vormunds und künftigen Schwiegervaters, ausrichten hilft:

    * Musikbeispiel: Felix Mendelssohn Bartholdy - aus: "Heimkehr aus der Fremde", op. 89

    Juliane Banse (Sopran) und Iris Vermillion (Alt) im Duett als Lisbeth und Mutter in Felix Mendelssohn-Bartholdys "Heimkehr aus der Fremde". Auch wenn der musikalische Urheber nur zu gern Opernkomponist geworden wäre, als musiktheatralisches Werk ist sein Liederspiel nur schwer zu bezeichnen. Die knappe Handlung um Hermann, den Heimkehrer aus der Fremdenlegion, kulminiert in einer szenischen Doppelbegegnung mit Kauz, darin beide Herren Serenaden für Lisbeth vortragen und jeweils einander irritieren, indem sie den Nachtwächter doubeln. Diese im Grunde schein-dramatische Harmlosigkeit geht auf den Londoner Legationsrat Karl Klingemann zurück, dessen laienschriftstellerischen Talenten der sonst extrem wählerische Komponist offenbar stark vertraute. Klingemann bedient sich beim Unterhaltungstheater der Zeit, um biedermeierliche Beschaulichkeit, Maskerade und Intrigenspiel zusammen zu fügen. Auch der Komponist hat Standards genutzt - die vierzehn Musiknummern enthalten Ensembles bis zum Terzett, ein Zwischenspiel, Chor und Chorfinale - angelegt meist in Liedform. Ein zwischengeschalteter Erzähler bringt die inhaltlich nicht unbedingt zwingend zusammengehörigen Miniaturen auf einen Handlungsstrang, an dessen Höhepunkt die Identität Hermanns geklärt wird und Kauz sich augenzwinkernd als Falschspielers outet. Ein leider unkomponierter Moment, dem ein programm-musikalisch reichlich harmloses Instrumentalstück vorausgeht. Substanzieller gestaltet sich beider nächtliche Begegnung, in der Mendelssohn-Bartholdy eine verhältnismäßig komplexe Szene zusammenbaut, in der das gerissen-burschikose Duell der Rivalen Hermann und Kauz umschlägt in ein Rossini-Duett. Tenor Carsten Süß und Bariton Christian Gerhaher sind die Ausführenden.
    * Musikbeispiel: Felix Mendelssohn Bartholdy - aus: "Heimkehr aus der Fremde", op. 89

    Soweit Carsten Süß (Tenor) und Christian Gerhaher (Bariton) mit dem Rivalen-Duett aus Felix Mendelssohn-Bartholdys "Heimkehr aus der Fremde". Helmuth Rilling dirigiert in dieser Aufnahme das Radio-Sinfonieorchester des SWR Stuttgart.

    Rilling, international bekannt als Bachinterpret und Bachforscher, hat in den letzten Jahren begonnen, sich mit Mendelssohn-Bartholdys theatralischem und musiktheatralischem Erbe auseinander zu setzen. In diesem Zusammenhang entstanden konzertante Darbietungen der Schauspielmusik "Athalia" und der vergessenen heiteren Oper "Der Onkel aus Boston", die das Label hänssler classic in Zusammenarbeit mit dem SWR bzw. dem WDR auf CD dokumentierte. Auch die hier angespielte Aufnahme resultiert aus einer Konzertaufzeichnung, die Rilling mit seiner Gächinger Kantorei und international erfolgreichen Sängern bestritt, die vor Kurzem noch zum deutschen Nachwuchs gehörten. Ihre Mitwirkung hier verschafft dem operngeschichtlich unbedeutenden Werk Aufmerksamkeit. Denn es ist selbstverständlich mehr spektakulär als substanziell, heute den nicht unproblematischen Theatermann Mendelssohn zu entdecken.

    Schon als Kind hatte der Komponist szenisch gedacht und Werke wie "Die Soldatenliebschaft", "Die wandernden Komödianten" oder das Singspiel "Die beiden Pädagogen" verfasst, deren Wirkung den Privatraum nicht überschritt. Ein über-kritischer Umgang mit Librettisten, Erfahrungen im realen Theaterbetrieb, das eigene Ungenügen an seiner gleich nach der Uraufführung abgesetzten Cervantes-Oper "Die Hochzeit des Camacho" ließen ihm das Genre Oper zum Trauma geraten, worin Erfolg für ihn nicht herstellbar war. - Das Liederspiel "Heimkehr aus der Fremde" jedoch wurde nach Mendelssohns Tod auf mehreren Bühnen im In- und Ausland gespielt, bis es nach der zunehmend antisemitischen Stimmung gegen seinen Schöpfer in jene Kultursphäre kam, für die es tatsächlich gemacht ist: für die Laienbühne und den Liebhaberkreis.

    * Musikbeispiel: Felix Mendelssohn Bartholdy - Finale aus: "Heimkehr aus der Fremde", op.89

    Juliane Banse, Iris Vermillion, Carsten Süß, Christian Gerhaher und Stefan Müller-Ruppert sowie die Gächinger Kantorei mit dem Finale von Felix Mendelssohn-Bartholdys "Heimkehr aus der Fremde". Helmuth Rilling dirigierte das Radio-Sinfonieorchester des SWR Stuttgart. Erschienen ist diese Produktion als Konzertmitschnitt im Frühjahr diesen Jahres bei hänssler classic.

    Mendelssohn Bartholdy - "Heimkehr aus der Fremde", op.89
    div. Solisten
    Gächinger Kantorei
    Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
    Leitung: Helmuth Rilling
    Label: Hänssler Classic
    Labelcode: LC 06047
    Bestellnr.: CD 98.487