Freitag, 19. April 2024

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Musik
Heilende Saiten

Schon die Bibel erzählt von der wundersamen Wirkung der Harfe. Heute wird das Instrument in der Therapie eingesetzt, um Patienten zu beruhigen oder Blockaden zu lösen. Eine akustische Seelenmassage.

Von Tom Daun | 18.12.2017
    Eine Frau spielt auf einer Harfe.
    Die Saiten der Harfe bringen in vielen Menschen etwas zum Mitschwingen (Imago / McPhoto)
    "O Harfe, süß ist das Seufzen deiner Saiten
    Zart, wohlklingend, erfrischend, schwermütig.
    Sanft und weich biegt sich dein Holz
    Deine Saiten singen unter den feinen Fingern,
    Du verzauberst uns mit vollendeter Melodie."
    Die zauberhafte Musik der Harfe beschreibt Geoffrey Finn O'Daly in einem irischen Gedicht des Mittelalters. In der keltischen Welt wärmte der Klang ihrer Saiten nicht nur die langen, kalten Winternächte. Der Harfe wurde sogar eine magische Wirkung zugeschrieben:
    "Den Vogel lockst du weg von seinem Schwarm
    Unsere Herzen kühlst du
    Den verwundeten Krieger heilst du,
    Die hartherzige Frau stimmst du um
    Alle Instrumente läßt du verstummen
    Mit deiner süßen, geheimnisvollen Musik."
    "Die Obertöne an der Harfe sind sehr stark. Und wenn ich einen Ton zupfe, entsteht so eine Wolke und die verändert sich auch, weil im Raum Dinge mitschwingen und weil die Harfe in sich ja viele Saiten hat und auch die oberen Saiten und die unteren mitschwingen, weil sie alle auf dem gleichen Holz gespannt sind. Und ich könnte mir vorstellen, dass das irgendwas erreicht, was in uns selber auch schwingt, dass das eine eigene Frequenz immer erreicht, mehr als bei anderen Tönen vielleicht", sagt Luzinde Hahne.
    Auch heute nutzt man geheimnisvollen Schwingungen des Harfenklangs: etwa im Hospiz oder auf der Frühgeborenenstation, mit Wachkoma- oder Schlaganfall-Patienten.
    "Diese Leute sind oft nicht ansprechbar - oder können sich nicht äußern, muss man vielleicht sagen -, reagieren aber auch sofort, dass der Puls zum Beispiel ruhiger wird oder auch ein bisschen schneller geht, wenn sie in Ruhephasen sind und ich ein bisschen schneller spiele, dass sich direkt so 'ne Interaktion ergibt."
    Harfenistin Luzinde Hahne aus Dortmund setzt ihr Instrument seit vielen Jahren erfolgreich in der Therapie ein.
    "Es gibt Leute, die sind sehr laut und aufgewühlt und die werden vom Harfenklang ganz ruhig; und andere fangen an zu weinen, weil es sie tief berührt – was jetzt auch nicht schlimm ist, wenn sie das tun. Aber es gibt eigentlich immer ein Feedback, in jedem Fall."
    Wie David zu Saul kam
    Schon im Alten Testament wird die heilende und beruhigende Wirkung des Harfenklangs beschrieben.
    "Der Geist Jahwes war von Saul gewichen, es plagte ihn ein böser Geist. Da sprachen Sauls Diener zu ihm: 'Siehe, dich plagt ein böser Geist. So möge doch unser Herr befehlen, so werden deine Knechte einen Mann suchen, der das Harfenspiel versteht. Sooft dann der böse Geist über dich kommt, soll er die Saiten rühren – und es wird dir wieder wohler werden.' Saul erwiderte seinen Dienern: 'Seht euch für mich nach einem Mann um, der gut zu spielen versteht und bringt ihn zu mir.'
    So kam David zu Saul und wurde sein Diener. Sooft der böse Geist über Saul kam, griff David zur Harfe und spielte. Dann wurde Saul leichter; er fühlte sich besser und der böse Geist wich von ihm."
    Auch Luzinde Hahne erlebt immer wieder, wie unmittelbar ihr Instrument emotionale Reaktionen freisetzt; etwa als eine Dame im Altersheim sie bat, ein wenig zu spielen.
    "Das war ein Doppelzimmer; und die andere Frau sagte: 'So ein Scheiß! Also das brauch ich jetzt überhaupt nicht.' Und beide waren bettlägerig. Ich konnte jetzt schlecht sagen: ich spiel für die eine und für die andere nicht. Da mussten wir irgendwie ein bisschen diskutieren. Und die andere: 'Ja wenn's dann sein muss, machen Se mal' – Ich hab ein kleines Stück gespielt, gucke hoch – und dann sitzt die Frau, die es erst gar nicht hören wollte da und war wirklich tränenüberströmt, tief berührt und guckte mich nur noch an. Ich war so ein bisschen unsicher, ehrlich gesagt, und hab gedacht: Hör ich jetzt auf? Ist das hier richtig? Und die andere sagte: 'Machen Sie mal weiter! Die ist seit 6 Jahren in psychologischer Betreuung, weil sie nicht heulen kann. Das machen Sie ganz gut.'"
    Warum das Harfenspiel so stark auf die menschliche Seele wirkt, lässt sich wissenschaftlich kaum erklären. Der romantische Dichter Matthias Claudius vermutet:
    "Der menschliche Körper voll Nerven und Adern, in deren Centro die menschliche Seele sitzt, wie eine Spinne im Centro ihres Gewebes, ist einer Harfe zu vergleichen, und die Dinge in der Welt um ihn den Fingern, die auf der Harfe spielen. Alle Harfensaiten beben und geben einen Ton, wenn sie berührt werden. Einige Harfen aber sind von einem so glücklichen Bau, daß sie gleich unter'm Finger des Künstlers sprechen, und ihre Saiten sind so innig zum Beben aufgelegt, daß sich der Ton von der Saite losreißt und ein leichtes ätherisches Wesen für sich ausmacht, das in der Luft umherwallt und die Herzen mit süßer Schwermut anfüllt."