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Musik in Fernsehserien
Soundtrack fürs Komaglotzen

Fernsehserien haben heute eine Popularität wie Kinofilme – und klingen auch so. Die Musik von Mad Men, Breaking Bad, Downton Abbey oder Game of Thrones muss sich vor Hollywood-Soundtracks nicht mehr verstecken. Damit den Zuschauern die Melodien nach ihren stundenlangen Serien-Marathons allerdings nicht zum Hals raus hängen, müssen die Komponisten tief in die musikalische Trickkiste greifen.

Von Raphael Smarzoch | 19.08.2015
    Bryan Cranston als Walter White in einer Szene der Serie "Breaking Bad" (undatierte Filszene).
    Bryan Cranston als Walter White in einer Szene der Serie "Breaking Bad" (undatierte Filszene). (picture alliance / dpa / Frank Ockenfels/Amc)
    Eine Resonatorgitarre und elektronisch manipulierte Schlaginstrumente: Diese nicht so recht zusammenpassende Kombination symbolisiert den internen Konflikt von Walter White, der vom mittelständischen Chemielehrer zum finsteren Drogenbaron wird. In nur 18 Sekunden gibt Komponist Dave Porter im Vorspann zu Breaking Bad wesentliche Einblicke in die ambivalente Geschichte der Serie.
    "Für uns Fernsehkomponisten ist das eine der schwierigsten Herausforderungen. Wir müssen die Titelmusik sehr früh komponieren, ohne genau zu wissen, worum es in der Serie überhaupt gehen wird. Sogar die Leute, die sie schreiben, wissen das nicht genau."
    Das liegt in der Natur der seriellen Erzählform. Sie ist eine "work in progress", eine Arbeit, die ständig fortgesetzt wird. Die Story entwickelt sich dynamisch. Diesen Prozess muss die Musik aufgreifen. Sie verändert sich im Laufe der Serie und passt sich an die neuen erzählerischen Rahmenbedingungen an. Das fordert von den Komponisten ein stetiges Mitdenken und einen intensiven Austausch mit den Produzenten der Serie.
    "Dowtown Abbey ist mittlerweile über 50 Stunden lang. Kein einziges Mal haben wir dieselbe musikalische Begleitung doppelt verwendet. Alles wird neu aufgenommen und genau mit den Dialogen abgestimmt. Nichts funktioniert auf die gleiche Art."
    John Lunn komponiert den Soundtrack für das Historiendrama Downtown Abbey. Die Serie gibt Einblicke in das Leben einer britischen Adelsfamilie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In seiner Arbeit spricht Lunn von sogenannten "relationship themes", musikalischen Beziehungsthemen, die an den Verlauf der Geschichte angepasst werden und das Innenleben der Hauptfiguren zum Ausdruck bringen.
    "Ich begreife meine Musik als emotionale Brücke für die Zuschauer, die vielleicht eine vorhergehende Episode verpasst haben. Die Musik verdeutlicht sehr schnell die Stimmung zwischen zwei Leuten in einem Raum."
    Nur nicht zu eintönig
    In Fernsehserien haben Komponisten die Möglichkeit, ihr musikalisches Material über einen sehr langen Zeitraum zu entwickeln, es ausgiebig zu erforschen. Sie erschaffen eine eigene Klangwelt, eine akustische Marke, die immer wieder neue Formen annimmt. In Filmsoundtracks ist das anders. Für musikalische Langzeitexperimente ist hier kein Platz. Dafür haben Filmkomponisten mehr Zeit und müssen viel seltener unter Druck arbeiten.
    "Der größte Unterschied zwischen dem Komponieren für Film und Fernsehen liegt für mich in der Verteilung von Zeit. Den Zuschauern ist das nicht bekannt. Im Fernsehen hat man sehr wenig Zeit. Das ist schon sehr ironisch. Man hat 62 Stunden um eine Geschichte erzählen, jedoch sehr wenig Zeit, um sie zu schreiben. Ich komponiere die Musik für eine einstündige Episode in nur drei bis vier Tagen."
    Musik für Fernsehserien wird heutzutage auch zunehmend durch Streamingdienste beeinflusst. Sehgewohnheiten haben sich verändert. Komponisten müssen das berücksichtigen. Mittlerweile ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass neue Serien in ihrer Vollständigkeit zum digitalen Konsum angeboten werden. Zuschauer können sie in wenigen Tagen komplett sehen. Man spricht vom sogenannten binge watching, Komaglotzen. Serienmarathons brauchen musikalische Diversität, Soundtracks, die nicht zu aufdringlich oder eintönig sind.
    "Man muss sehr vorsichtig mit wiederkehrenden Musiken sein. Wenn die Zuschauer ein musikalisches Thema einmal pro Woche hören, ist das OK, schauen sie allerdings vier Folgen am Stück, und der Komponist wiederholt ein Thema vier bis fünf Mal pro Stunde, kann das schon ein wenig monoton sein."
    Diese veränderten Sehgewohnheiten stellen Komponisten vor neue Herausforderungen. Sie müssen sich Musik ausdenken, die neutral ist, sich selbst bei wiederholtem Hören nicht abnutzt. Das fordert die Kreativität, bereitet Dave Porter aber gelegentlich Magenschmerzen."
    Wenn mir Leute sagen, sie hätten Breaking Bad in drei Wochen geguckt, entgegne ich: 'Wow, das ist fantastisch. Ich hoffe, du verstehst aber, dass du acht Jahre meines Lebens in einem sehr kurzen Zeitraum verschlungen hast'.