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Musik & Literatur um Fanny Mendelssohn, Friedrich Schiller und Wilhelm Busch

In drei neuen musikalisch-literarischen CD-Produktionen fällt ein jeweils genre-übergreifender Blick auf die Geschwister Mendelssohn, auf Friedrich Schiller, sowie auf Bernd Alois Zimmermann und Wilhelm Busch.

Von Frank Kämpfer | 23.10.2005
    Am Anfang stehen ein Tagebucheintrag, ein Brief und ein romantisches Lied.

    * Musikbeispiel: Fanny Hensel - aus: "Sehnsucht nach Italien"

    Öffentliche Bewunderung - innerfamiliärer Einspruch - ästhetische Grenzen und Lust des Aufbruchs im eigenen Werk. Damit sei es auf die Punkte gebracht, worin ihr Drama bestand und was Briefschreiber Felix Mendelssohn und Konzertgängerin und Kollegin Johanna Kinkel in denen verlesenen Zeilen gewiss nur skizzieren. Fanny Hensel, die begabteste Komponistin der deutschen Romantik, konnte sich nur in begrenztem Rahmen entfalten - eine Entwicklung, die ihren Talenten entsprach, wurde bereits im engsten Kreise gebremst. Gewiss, die heute berühmte Familie bot damals für beide Geschwister die Basis für umfassende humanistische Bildung. Aber sowohl Vater Abraham, als später auch Bruder Felix Mendelssohn vertraten das Weiblichkeits-Ideal ihrer Zeit und - dies sah für Fanny den Hausstand vor, nicht den Schreibtisch oder das Kapellmeisterpult. Und vor allem nicht das Verlegen eigener Kompositionen von Rang, wie sie etwa in den Jahren der Ehe mit dem Maler Wilhelm Hensel entstanden.

    Im Vorfeld des 200. Geburtstags am 14. November diesen Jahre ist die Lage deutlich verändert. Musikologische Forschung hat Leben und Œuvre der komponierenden Schwester Felix Mendelssohn-Bartholdys erschlossen, der CD-Markt kennt Einspielungen, in Konzertprogrammen finden sich ab und an ihre Streichquartette und Lieder. Etabliert im allgemeinen Bewusstsein sind Werk und Person keineswegs. Dies zu befördern, kann vorliegende Berliner Hörbuch-Produktion zweifellos helfen. Zugrunde liegt eine lineare szenische Lesung der Potsdamer Gruppe Poetenpack, die Briefe der Geschwister, Zeitzeugen-Stimmen, Lieder Fannys und einen erläuternden Rahmentext zu einer biographischen Montage vereint. Im Blickfeld steht die Frage nach den Entfaltungsmöglichkeiten als künstlerisch tätige Frau. Aloysia Assenbaums Fassung gewinnt an Tiefe, wenn die Originaltexte sprechen: wenn Felix heftigst Einspruch erhebt, wenn Fanny sich aus Depressionen frei machen kann und kreative Schübe verspürt. Dies gelingt historisch nachweisbar in Italien, dem klassischen Sehnsuchtsort der deutschen Romantik, wo Fanny glückliche, schöpferische Monate hat:

    * Musikbeispiel: Fanny Hensel - aus: "Nach Süden"

    "Nach Süden", eine Komposition von Fanny Hensel, geborene Mendelssohn. Hier dargeboten von Barbara Tisler (Gesang) und Mechthild Winter (Klavier). "Nach Süden" ist auch der Titel besagter Hörbuch-CD, die der neue Berliner Klein-Verlag O-Ton-Produktion produziert hat und die unter der der ISBN-Nummer 3-9810256-1-X im Handel erhältlich ist.

    Im Folgenden gilt die Aufmerksamkeit Friedrich Schiller, dessen 200. Todestag in diesem Jahr für zahlreiche musikalisch-literarisch-theatralische Produktionen Anlass ist. Uns interessiert ein Hörbuch-Produkt, das für das Schweizer Wort- und Bild-Festival in Schaffhausen entstand. Im Mittelpunkt steht hier der Lyriker Schiller, dessen Verse es mittels interpretierendem Lesen aus heutiger Sicht zu befragen, zu erhellen gilt. Herzstück der Platte sind 13 von Schiller-Biograf Rüdiger Safranski ausgewählte Balladen, bei deren Vortrag die Sprecher Mona Petri, Mathieu Carriere, Dieter Laser und Gerd Andresen höchst intelligent und vergnüglich miteinander agieren. Bekannte Titel wie "An die Freude", "Der Handschuh" oder "Pegasus im Joche" erklingen dramatisiert und werden von mehreren Sprechern szenisch gesprochen, wobei der besondere Reiz aus gestischen Brüchen, frechen Konnotierungen und stimmlichen Extremen erwächst. Beileibe geht es nicht um den Klassiker auf hohem Sockel, vielmehr wird ein höchst scharf formulierender junger Rebell aus seinen Texten erweckt.
    Nicht gleichwertig ist die musikalische Zutat. Anders Miolin (Gitarre), Ruedi Linder (Trompete und Alphorn), Benedikt Vonder Mühll (Kontrabass) und Pit Gutmann (Perkussion und Klangelemente) illustrieren in ihren stärksten Momenten - meist hat der musikalische Part nur grundierende oder Intermezzo-Funktion. Hier wäre Anderes denkbar gewesen, als Etüden des Pressburger Gitarrenvirtuosen Johann Kaspar Mertz zugrunde zu legen. Doch auch die schon beim zweiten Hören leicht durchschaubaren Sounds und Effekte sind nicht ganz ohne Wirkung. Manch Drama, manch philosophierender Text geraten auf diese Art melodramatisch, gewinnen so an Transparenz.

    * Musikbeispiel: A. Miolin - aus: "Unruhe”

    "Einzigartig Schiller". Unter diesem Titel erschien beim Schweizer Label Claves eine bemerkenswerte Konzept-CD mit szenisch gesprochenen Balladen, Geräuschen und Improvisationen über Stücke des Romantikers Johann Kaspar Mertz.

    Auf der für heute dritten und letzten CD erklingen Wort und Musik höchst sorgsam getrennt, wiewohl sie zusammen gehören. Denn Bernd Alois Zimmermanns Komposition "Die Fromme Helene" von Wilhelm Busch als Rondo popolare getönt birgt mehr weitaus als nur Lesung mit neo-klassizistischer Zwischenmusik. Zugrunde liegt Buschs tragikomische Ballade vom lebensfrohen Lenchen und vom heiligen Vetter Franz - ein Sittengemälde aus dem Jahre 1872, das doppelbödige Moral und spießige Scheinheiligkeit höchst treffend karikiert. Die Titelgestalt, Opfer und Täterin in einer Person, bemüht sich vergebens, Trieb und Laster hinter Frömmelei zu verbergen - die Hölle ist ihr und ihren Partnern gewiss. In Buschs Knittelvers klingt dies unterhaltsam. Zimmermanns Dramaturgie - sie entsteht 1957, im selben Jahr, als der Avantgardist seine Professur an der Kölner Musikhochschule antritt - rückt der Stoff näher. Was hier - beflügelt von 16 ironisch packenden Instrumental-Miniaturen - subtil nuanciert im kunstvollen Versmaß erzählt wird, ist so fern mitnichten. Vor allem nicht, wenn (in wahrer Hochform!) Gisela May die Rezitierende ist.

    Musikbeispiel: B.A: Zimmermann - aus: "Fromme Helene"

    Gisela May (Rezitation) und das Emsland Ensemble haben Bernd Alois Zimmermanns "Die fromme Helene" nach Wilhelm Busch produziert. Weiterhin auf dieser beim Label musicaphon jüngst erschienenen Platte befinden sich Zimmermanns "Rheinische Kirmestänze", Tänze aus Smetanas "Verkaufter Braut" und zwei dem Volkston abgelauschte Kompositionen von Antonin Dvorak. Diese CD ist in Deutschland über den Vertrieb Klassik Center Kassel zu beziehen. Ebenso auch die bei Claves in Thun herausgebrachte Produktion "Einzigartig Schiller". Das eingangs angespielte Hörbuch "Nach Süden" mit Briefen und Liedern von Fanny Mendelssohn-Hensel ist im Buchhandel erhältlich.

    "Nach Süden"
    Barbara Tisler, Gesang
    Mechthild Winter, Klavier
    Verlag: O-Ton-Produktion
    ISBN-Nr.: 3-9810256-1-X

    "Einzigartig Schiller"
    diverse Solisten
    Label: CLAVES (Vertrieb: Klassik Center Kassel)
    Labelcode: LC 3369
    Bestellnr.: 50-2512

    "Die fromme Helene"
    Gisela May, Rezitation
    Ensemble: Emsland Ensemble
    Label: musicaphon (Vertrieb: Klassik Center Kassel)
    Labelcode: LC 0522
    Bestellnr.: CD M 56859