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Musik
Mozart und Bach in historischen Aufnahmen

Gelegenheiten, das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach zu hören, gibt es in diesen Tagen viele - und es gibt gute Gründe, dabei eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1950 zu wählen. Damals haben RIAS Kammerchor und -orchester in wegweisenden Aufnahmen Bachs großes Werk eingespielt. Außerdem gibt es in der dritten Folge der "Die musikalische Quadriga" das RIAS-Symphonie-Orchester unter seinem ersten Chefdirigenten Ferenc Fricsay mit Aufnahmen aus den 1960ern zu hören.

Von Johannes Jansen | 26.12.2014
    Der ungarisch-österreichische Dirgent Ferenc Friscay.
    Der Dirgent Ferenc Friscay (picture alliance / dpa)
    Orchester und Chöre der 'roc berlin' präsentieren Höhepunkte des Jahres (3/8)
    Johann Sebastian Bach
    Weihnachtsoratorium III/IV
    sowie Werke u.a. von
    Wolfgang Amadeus Mozart
    in historischen Aufnahmen
    RIAS-Kammerchor und - Orchester
    Leitung: Karl Ristenpart / Ferenc Fricsay
    Älter heißt natürlich nicht sofort "historisch". Hier jedoch ist der Begriff am Platze, denn diese Produktion aus dem Archiv des Deutschlandradios ist auch ein Dokument der Zeitgeschichte - und ein erstaunlich gut erhaltenes dazu.
    1. MUSIK: Joh. Seb. Bach, Eingangschor ("Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen") aus: Weihnachtsoratorium III
    Im Bach-Gedenkjahr 1950, fünf Jahre nach Kriegsende, waren die Rahmenbedingungen für ein Aufnahmeprojekt von der Größe des Weihnachtsoratoriums wenig komfortabel. Berlin, das war eine verwundete Welt voller Unvollkommenheiten. Aber man hatte das Leben - und den Willen, es zum Besseren zu verändern. Etwas Starkes, Aufrichtendes schwingt mit in diesem Eingangschor zum dritten Teil. Von demütigem Lallen ist jedenfalls nichts zu hören, zumal Bach selbst seine Musik erkennbar gegen den Strich gebürstet oder vielmehr: dem gegebenen Text eine bereits vorhandene Musik übergestülpt hat. Freuen wir uns, wenn wir noch lallen können! So hat es der Bachforscher Martin Geck gedeutet.
    Mit Freude bei der Sache waren offenbar alle Beteiligten. Und hatten Grund dazu. Denn die wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen waren ja erfüllt. Zum einen durch die Institution des RIAS (oder: Rundfunks im amerikanischen Sektor), zum anderen durch die in Berlin durchaus vorhandenen musikalischen Ressourcen. Sie zu bündeln, brauchte es freilich einen Dirigenten wie Karl Ristenpart, der neben künstlerischer Autorität - zu der auch gehörte, dass er politisch unbelastet war - das notwendige Organisationstalent besaß.
    Letzteres war um so mehr gefordert, als die sechs Teile des Weihnachtsoratoriums wiederum nur ein Teil des noch viel ehrgeizigeren Unterfangens waren, sämtliche Bach-Kantaten für den RIAS einzuspielen. Auch wenn das Projekt dann 1952 nach drei Jahren und nicht ganz dreißig Kantaten beendet werden musste, waren diese Aufnahmen mit dem RIAS Kammerchor und -orchester doch ein Meilenstein der Bach-Rezeption im 20. Jahrhundert. Sich ein Bild davon zu machen, ermöglicht nicht nur das im Jahr 2013 - in digitaler Aufbereitung der Original-Bänder von damals - auf drei CDs veröffentlichte Weihnachtsoratorium. Vorausgegangen war ihm schon, ebenfalls beim Label Audite in Zusammenarbeit mit der ROC, das "RIAS Kantatenprojekt": eine Box mit neun CDs.
    Ältere Wiederveröffentlichungen einiger ausgewählter Kantaten verdankten sich weniger dem Interesse an Ristenpart und dem Projekt an sich als einem speziellen Sammlerinteresse an frühen Aufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau. Am Weihnachtsoratorium war er nicht beteiligt. Dennoch kann man von illustren Solisten sprechen, zuerst der Sopranistin Agnes Giebel in der frühen Glanzzeit ihrer Karriere und in der Hauptpartie des Evangelisten Helmut Krebs, der vier Jahrzehnte dem Ensemble der Deutschen Oper Berlin angehörte. Als Altistin wirkte Lotte Wolf-Matthäus mit, eine schon vor dem Krieg und auch danach viel beschäftigte Spezialistin fürs barocke Repertoire. Last but not least zu nennen ist Walter Hauck, der nicht nur als lyrischer Bariton und Gesangspädagoge, sondern nebenher auch als Rundfunksprecher erfolgreich war.
    Nachdem gestern im Rahmen unserer Sendereihe bereits die Kantaten zum 1. und 2. Weihnachtstag zu hören waren, geht es heute um die Teile III und IV. Hier zunächst die Kantate zum 3. Weihnachtstag, aufgenommen im Dezember 1950 in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem. Den Eingangchor haben wir bereits gehört. Es musizieren zusammen mit den schon genannten Solisten der RIAS Kammerchor und das RIAS-Kammerorchester unter der Leitung von Karl Ristenpart.
    2. MUSIK: Joh. Seb. Bach, Weihnachtsoratorium III (ohne Eingangschor)
    "Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen": Das war, heute nur etwas verfrüht, der Schlusschor zum dritten Teil des Bach'schen Weihnachtsoratoriums. Es ist der gleiche Chor wie am Anfang, ein Stück mit Festcharakter, dessen Nachhall uns über die Zäsur von fünf Tagen hinweg bis zur Neujahrskantate tragen soll. Dieser vierte Teil steht durch seine abweichende Besetzung mit Hörnern etwas isoliert da und wird bei Konzertdarbietungen gerne übersprungen.
    Was schade ist, weil er mit der oboenbegleiteten Echo-Arie, den sie rahmenden Ariosi und der Tenor-Arie vor dem Schlusschor einige der berückendsten Passagen des ganzen Oratoriums enthält. Karl Ristenpart hat natürlich nicht auf sie verzichtet, was dieses Tondokument um so wertvoller macht. Bestechend ist auch die Tonqualität. Trotz fühlbarem Abstand zu heute hat sie doch das Wesentliche - den Charakter dieser Interpretation und ihrer Zeit - bewahrt.
    3. MUSIK: Joh. Seb. Bach, Weihnachtsoratorium IV
    Sie hörten in einer historischen Aufnahme aus dem Jahr 1950 die Teile III und IV des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach mit dem RIAS Kammerchor und -orchester unter der Leitung von Karl Ristenpart. Die Solisten waren Agnes Giebel (Sopran), Charlotte Wolf-Matthäus (Alt), Helmut Krebs (Tenor) und Walter Hauck (Bariton). Nach der Nachrichtenpause geht es "historisch" weiter - aber nicht mit Bach, sondern mit Mozart und Aufnahmen des RIAS-Symphonie-Orchesters unter der Leitung seines ersten Chefdirigenten Ferenc Fricsay.
    Wolfgang Amadeus Mozart in historischen Aufnahmen
    Willkommen zum zweiten Teil des heutigen Programms im Rahmen der achtteiligen Sendereihe "Die musikalische Quadriga" mit aktuellen und älteren Aufnahmen der vier in der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH Berlin zusammengeschlossenen Ensembles. Eines davon ist das Deutsche Symphonie-Orchester, hervorgegangen aus dem Radio-Symphonie-Orchester und, als dessen Vorläufer, dem RIAS-Symphonie-Orchester. 1946 gegründet, stand es 1953 schon vor dem Aus. Den Musikern wurde gekündigt, aber der Ensemblegeist hielt sie über eine lange Durststrecke zusammen bis zur Neugründung 1956 mit dem Sender Freies Berlin als zweitem Partner. Drei Jahre später kehrte Ferenc Fricsay noch einmal auf die Position des Chefdirigenten zurück. Insgesamt waren es nur fünf Jahre, doch sie haben genügt, den Ruf dieses Klangkörpers, dem auch viele vormalige Mitglieder der Staatskapelle aus dem Ostteil der Stadt angehörten, und das Gesicht Berlins als Musikmetropole nachhaltig zu prägen. Zum internationalen Renommee trugen Gastspielreisen bei, vor allem aber Schallplattenaufnahmen wie die folgende mit Maria Stader als Solistin in der Solo-Motette "Exsultate, jubilate" von Wolfgang Amadeus Mozart.
    4. MUSIK: W. A. Mozart, "Exsultate, jubilate" (KV 165)
    Wie zehn Jahre zuvor das Bach'sche Weihnachtsoratorium mit Karl Ristenpart entstand 1960 auch diese Produktion von Mozarts "Exsultate, jubilate" in der wegen ihrer guten Akustik als Aufnahmeort gern genutzten Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem. Es sang Maria Stader (Sopran), begleitet vom RIAS-Symphonie-Orchester unter der Leitung von Ferenc Fricsay. Am 9. August 2014 wäre er hundert Jahre alt geworden. Nicht einmal halb so alt wurde er tatsächlich. Hier sind das Orchester und sein Dirigent noch einmal zu hören, 1955 in einer Live-Produktion der Sinfonie Nr. 29 in A-Dur (Köchel-Verzeichnis 201) - auch dies eine Mozart-Aufnahme mit Referenzcharakter in ihrer, so paradox es klingen mag, elektrisierenden Gelassenheit.
    5. MUSIK: W. A. Mozart, Sinfonie A-Dur Nr. 29 (KV 201), Dauer: 21'20
    Das war von Wolfgang Amadeus Mozart die Sinfonie Nr. 29 in A-Dur in einer Berliner Aufnahme mit dem RIAS-Symphonie-Orchester unter der Leitung von Ferenc Fricsay. Die heutige Sendung war ein Ausflug in die Vergangenheit des Deutschen Symphonie-Orchesters, das heißt in die ersten Nachkriegsjahre, als es unter Fricsays Leitung als RIAS-Symphonie-Orchester firmierte. Morgen dann zwei neue große Produktionen des Deutschen Symphonie-Orchesters unter seinem gegenwärtigen Chefdirigenten Tugan Sokhiev. Nur für heute spulen wir die Zeit noch einmal kurz zurück mit Mozarts "Laudate Dominum" - in einer Aufnahme wieder mit Maria Stader; es spielt das RIAS-Symphonie-Orchester, und auch der RIAS Kammerchor wirkt mit unter der Leitung von Ferenc Fricsay. Damit verabschiedet sich am Mikrofon - auf Morgen, wenn Sie mögen! - und dankt fürs Zuhören Johannes Jansen.
    6. MUSIK: W. A. Mozart, Motette "Laudate Dominum" aus: Vesperae solennes de Confessore (KV 339)