Freitag, 29. März 2024

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Musikbuch "Lady Bitch Ray über Madonna"
Angriff auf das saturierte Popmilieu

Die Rapperin und promovierte Sprachwissenschaftlerin Lady Bitch Ray geht gerne dahin, wo es weh tut. Sie provoziert mit expliziten Texten und freizügigen Outfits. Die Sängerin Madonna ist ihr Vorbild. Nun hat die sexpositive Rapperin ein Buch über sie geschrieben. Eine zwiespältige Paarung.

Sonja Eismann im Gespräch mit Christoph Reimann | 04.04.2020
Reyhan Şahin, in schwarzem Rollkragenpullover und schwarzem Lederrock, schaut lässig und herausfordernd in die Kamera.
Die Rapperin und promovierte Sprachwissenschaftlerin Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray hat ein Buch über die Sängerin Madonna geschrieben (Carlos Fernández Laser)
Christoph Reimann: Sonja Eismann, Lady Bitch Ray über Madonna, das ist das sechste Buch in dieser sogenannten Kiwi Musikbibliothek. Wie fühlt sich das da ein?
Sonja Eismann: Diese Reihe scheint bis jetzt ja relativ offen angelegt zu sein. Es gibt zum Beispiel Frank Goosen über die Beatles, Thees Uhlmann über die Toten Hosen oder Anja Rützel über Take That, so dass ich da eigentlich bis jetzt weder bei den Autorinnen und Autoren noch bei der besprochenen Musik so eine ganz klare kuratorische Linie erkennen konnte, außer, dass es eben immer schon sehr berühmte Mainstream-Musiker sind. Bis auf Madonna waren es tatsächlich alles Männer bis jetzt. Und die Autorinnen und Autoren dieser Bücher die kommen eher so aus dem Pop-Journalismus oder Pop-Bereich insgesamt. Das erstaunt mich einerseits, weil ich so in der heutigen Ära, wo alles absolut digital verfügbar ist zu jeder Zeit, da hätte ich schon eher damit gerechnet, dass die Auswahl der Musik so ein bisschen geschmäcklerischer oder auch spezialistischer ausfallen würde und dass man da auch vielleicht noch Schreiberinnen und Schreiber außerhalb des Pop-Kosmos' anfragen würde, um so ein bisschen besonders zu sein. Aber es kann natürlich sein, dass man bei Verlagen jetzt davon ausgeht, dass eher ältere Menschen überhaupt noch gedruckte Bücher zu Musik lesen wollen und die dann sozusagen bei ihrer gewohnten Kost bleiben wollen.
Und da würde ich schon sagen, dass Lady Bitch Ray eine durchaus mutige und spannende Autorinnen-Wahl ist, weil sie eben bis jetzt die erste ist, die über eine Frau schreibt und, um in ihrer Diktion zu bleiben, keinen Migrations-Defizit hat, wie all die anderen Autorinnen und Autoren dieser Reihe. Und sie ist da jetzt nicht so klassisch erzählend oder auch humorvoll, wie die Leute vor ihr, sondern sie geht das Ganze schon auch autobiografisch an, aber irgendwie auch essayistischer, theoretischer, um eben anhand von Madonna ihren Zugang zu Feminismus zu erklären. Und da hebt sie sich schon auch von den anderen ab.
Reimann: Ihr eigener Zugang zu Feminismus - da frage ich mich, hat sie das schon nicht in den Büchern davor gemacht also in "Bitchsm" oder in "Yalla, Feminismus", ein Buch, das ja er erst im letzten Herbst erschienen ist?
Eismann: Genau! Und das ist schon ein bisschen das Problem dieses Buches, das einige Ansichten und Erlebnisse wiederholt, die man schon aus anderen Büchern kennt. Also für Leute, die das zum ersten Mal lesen, ist das zwar immer noch extrem aufschlussreich, aber man bekommt stellenweise doch ein wenig das Gefühl, das sie nicht so ganz mit brennendem Eifer bei der Sache war.
Reimann: Woran könnte das liegen? Vielleicht auch am Subjekt des Buches Madonna?
Madonna bleibt seltsam blass und leblos
Eismann: Gute Frage, denn wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich schon diesen Eindruck bekommen habe, dass sie nicht wirklich so ein riesiger Fan von Madonna ist, wie jetzt zum Beispiel Anja Rützel von Take That oder Sophie Passmann, die ja über Frank Ocean geschrieben hat. Es ist so, dass sie bestimmte Aspekte von Madonnas Bühnenpersönlichkeit eigentlich eher so als Sprungbrett nutzt, um ausführlich darüber zu schreiben, was sie selbst für ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Also zum Beispiel mit dem offenen Umgang mit Sexualität, über ihre Bühnenkostüme, über ihren Zugang zu Religion und Spiritualität. Und da ist es schon so, dass das, was sie von ihren eigenen Erfahrungen mit zum Beispiel unfähigen Managern oder sexistischen Labelbossen beschreibt um einiges spannender und auch kantiger wirkt, als die bekannten Skandale von Madonna, über die man jetzt nicht so wirklich etwas Neues erfährt. Man muss schon sagen, dass im Vergleich zu Lady Bitch Ray Madonna selbst in diesem Buch irgendwie seltsam blass, leblos bleibt.
Reimann: Aber liegt Lady Bitch Ray das Format nicht oder hätte sie vielleicht besser über eine andere Musikerin schreiben sollen?
Eismann: Ich würde sagen, dass sie dieses Format definitiv anders ausfüllt als die Autorinnen und Autoren vor ihr. Ihr Buch ist weniger gefällig zu lesen, es ist weniger geschmackvoll, humorvoll erzählt, wie wir das von den anderen Büchern der Reihe kennen. Aber ich würde sagen, das ist durchaus eine Stärke ihres Textes. Denn ihre massive Wut auf Sexismus, Rassismus und das männlich dominierte Musik-Establishment in Deutschland, das wird darin immer wieder thematisiert. Und das Buch ist damit in gewisser Weise schon auch ein Angriff auf dieses saturierte, weiße Pop-Milieu, in dem die anderen Autorinnen und Autoren der Reihe zu verorten sind.
Eine fundierte Kritik
Ob Madonna die so ganz richtige Wahl war, das habe ich mich beim Lesen auch immer wieder gefragt, weil so ihre Begeisterung für Rapperinnen wie Lil Kim oder Foxy Brown oder Missy Elliott, die sie im Buch eben auch zum Ausdruck bringt, die wirkt um einiges authentischer. Und dann, ganz am Ende des Textes, kommt dann auch noch das, was schon die ganze Zeit zu erwarten war, nämlich eine doch ziemlich fundierte Kritik daran, wie Madonna sich zum Beispiel die Voguing-Bewegung der Schwarzen und lateinamerikanischen Gay-Community zu eigen gemacht hat, ohne ihnen wirklich etwas zurückzugeben. Oder eben auch, wie lange sie gebraucht hat, sich explizit feministisch zu äußern, nämlich erst dann, als es völlig gefahrlos war. Aber trotzdem, würde ich sagen, oder vielleicht auch gerade deswegen, ist es doch ein schönes Statement, sich zu einer Rolemodel-Figur mit allen Widersprüchen zu nähern. Also so eine frühe Pop-Liebe zu zelebrieren, weil ich finde die Frage, wer zu welchen Role-Models überhaupt Zugang hat, wer überhaupt was kennen kann, darüber entscheiden schon auch ganz oft Faktoren wie Klasse oder Herkunft. Und genau darüber schreibt eben Lady Bitch Ray in ihrem Buch auch.
Lady Bitch Ray: "Madonna."
KiWi-Taschenbuch Köln, 2020. 144 Seiten, 10 Euro