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Musiker Charlie Christian
Der Mann, der die Jazzgitarre populär machte

Charlie Christian war einer der Ersten im Jazz, der eine elektrisch verstärkte Gitarre spielte. In seinem nur kurzen Leben brachte er es mit der Benny Goodman Band zu internationalem Ruhm und vollzog den Übergang vom populären Swing-Stil zu einer Art musikalischen Revolution: dem "Bebop". Vor 100 Jahren wurde er geboren.

Von Karl Lippegaus | 29.07.2016
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    Erst durch die elektrische Verstärkung konnte die Gitarre in die Frontlinie einer Jazzband vorrücken. Daran hat nicht zuletzt Charlie Christian seinen Anteil. (imago/Westend61)
    "Es ist verblüffend, wenn man sich anschaut, aus welchen Orten Amerikas zahlreiche herausragende Jazzmusiker stammen. In den Anfangsjahren kamen viele aus der Gegend in und um New Orleans. Überraschend ist, dass viele danach in Kansas, Oklahoma und Texas geboren wurden und aufwuchsen", so der Jazzhistoriker Gunther Schuller in einer großen Studie über die Swing-Ära 1930-1945. Ein zentrales Kapitel seines Buches befasst sich mit Charlie Christian. Als der 23-Jährige die New Yorker Jazzszene im Sturm eroberte, da fragten sich viele: "Woher kam dieser junge Mann? Wie hatte er es so früh zu einer solchen Reife gebracht? Als einer der ersten, der ein neues Instrument, eine elektrisch verstärkte Gitarre in den Jazz einführte.
    "Die simple Antwort darauf ist: Der Südwesten der USA ist Gitarrenland und Bluesland. Die Bluestradition in Texas ist vermutlich viel älter als die von New Orleans, obwohl diese als die primäre Quelle des Jazz gilt."
    Der Bluesmusiker B.B. King sagte:
    "Charlie Christian war für mich ein Meister der verminderten Akkorde. Als ich anfing Musik zu hören, hatten sie für viele Akkorde keine Namen wie wir sie heute haben: verminderte oder erweiterte Quinten und so weiter. Viele Arrangeure benutzten verminderte Akkorde. Das lag Charlie Christian einfach sehr. Ich hörte, wie er mit Benny Goodman 'Seven Come Eleven' spielte."
    "Es waren die aufregendsten Improvisationen, die ich je gehört hatte"
    Charlie Christian brachte nicht nur Blues, sondern auch andere Musikstile in den Jazz. Er besaß ein immenses künstlerisches Talent: ihn interessierte einfach alles an Musik, unter anderem die hochvirtuose Spielart der Country'n'Western-Musik, die man Western Swing nennt. Der Talentsucher John Hammond erlebte ihn zum ersten Mal in Oklahoma City.
    "Charlie hatte einen Tonabnehmer an eine spanische Gitarre angebracht und mit einem primitiven Verstärker und einem 12-inch-Lautsprecher verkabelt. Er benutzte die Verstärkung sparsam, wenn er mit Akkorden begleitete, und drehte auf, wenn sein Solo dran war. Es waren die aufregendsten Improvisationen, die ich je gehört hatte. Der Kontrast zwischen seiner nicht enden wollenden Inspiration und seiner mittelmäßigen Begleitgruppe war frappierend."
    Hammond holte Christian an die Ostküste und stellte ihn seinem Schwager, dem Klarinettisten und Bandleader Benny Goodman vor, der anfangs skeptisch war. Eine elektrische Gitarre? Wer wollte denn sowas hören? Als Charlie aber ein 45 Minuten langes Solo spielte, konnte Benny gar nicht anders, als ihn für seine Band zu engagieren: sein neues Sextett von 1939.
    Geboren wurde er am 29. Juli 1916 in Bonham, einer Kleinstadt in Texas, und wuchs nicht weit entfernt in Oklahoma City auf. Seine ganze Familie war hochmusikalisch: als Teenager spielte Charlie schon in der Family Band seines Vaters, einem Ensemble aus Saiteninstrumenten, zusammen mit seinen Brüdern. Sie traten in den Wohngegenden der Weißen ihrer Stadt auf und kamen durch die neuen Medien Radio, Schallplatte und Jukeboxes nicht nur in Kontakt mit Jazz, sondern auch mit Klassik und den Traditionen der Immigranten aus Europa. Charlie blies anfangs Trompete, dann übertrug er deren Phrasierung aufs Gitarrenspiel – sogar die kleinen Pausen zum Luftholen! Er improvisierte wie ein Bläser, verwendete aber auch Dinge, die typisch sind für die Gitarre.
    Endlich war eine Gitarre so gut hörbar wie Saxofon, Schlagzeug oder Posaune. Sie rückte durch die elektrische Verstärkung vor in die Frontlinie einer Jazzband. Charlies Spielweise verdankte viel der des Saxofonisten Lester Young und seinen logisch aufgebauten, cool swingenden Melodielinien.
    Erst durch die Platten mit Lionel Hampton und vor allem mit Benny Goodman wurde die Welt im Herbst 1939 auf dieses Talent aufmerksam. Charlie Christian war auch bei Goodmans heute legendärem Carnegie Hall-Konzert dabei. Aber es gibt keine Platten von ihm aus der Zeit davor.
    Fast ein Jahr verbrachte er im Krankenhaus, und es wurde eine sehr einsame Zeit für ihn, obwohl das Downbeat-Magazin ihn drei Jahre hintereinander zum besten Gitarristen im Jazz wählte. Am 3. März 1942 ist dieser großartige Künstler mit nur 25 Jahren gestorben. Drei Jahre später landete seine erstaunliche Single "Solo Flight" auf Platz 1 der Harlem Jazzcharts. Sie brachte unzählige Gitarristen auf ihren Weg.