Freitag, 19. April 2024

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Musiker und Dichter Anthony Joseph
Pan-karibisches Musikgemisch

Anthony Joseph verbindet Sozialkritik und Lyrik. Zusammen mit seiner Spasm Band bettet er seine Spoken-Word-Performance in ein pan-karibisches Musikgemisch aus Calypso, Soca, Jazz und Afro-Funk.

Am Mikrofon: Jan Tengeler | 11.08.2017
    "Ich verstehe mich in erster Linie als Dichter. Alles andere, wie schreiben, unterrichten oder Musik machen, ergibt sich daraus. Ein Dichter zu sein bedeutet, Poesie als Medium zu nutzen."
    Anthony Joseph, der auf Trinidad geboren ist und seit 1989 in England lebt, ist vielseitig produktiv: seine Doktorarbeit hat er über einen karibischen Calypsomusiker geschrieben, an einer Universität in London unterrichtet er das Fach ‚creative writing’. Außerdem hat er einen Roman und vier Gedichtbände veröffentlicht. Nicht zuletzt aber ist er auch ein Experte des gesprochenen Wortes, der seine Texte zur Musik darbietet.
    Brustbild von Anthony Joseph, der mit geschlossenen Augen in ein Mikrofon singt
    Spoken Word Artist und Stimme der schwarzen literarischen Avantgard in England: Anthony Joseph (Frank Szafinski)
    Als 'Spoken Word Artist' hat er mittlerweile sechs Alben veröffentlicht, live tritt er gemeinsam mit seiner Spasm Band auf. Schlagzeug, Perkussion, Bass, Gitarre und Saxofon bilden den rhythmischen Boden für Josephs Sprechgesang.
    Der Spoken Word Artist ist in England zur Stimme der schwarzen literarischen Avantgarde geworden. Über seine Arbeitsweise als Dichter und seine inhaltlichen Schwerpunkte, insbesondere die Suche nach einer karibischen Identität, sagt er:
    "Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit"
    "Ich bin in der glücklichen Lage, verschiedene Dinge zu können. So wie ein guter Musiker sowohl Jazz als auch Funk spielen kann und nicht nur einen Stil bedient. Das gilt auch für die Sprache: Ich schreibe Romane und Gedichte. Das ist ein anderer Umgang mit den gleichen Werkzeugen: Buchstaben, Wörter, Rhythmen, Bedeutung, Emotionen. Das Gedicht sagt: Seht mich an, ich stehe im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die Geschichte eines Romans trägt einen dagegen aus dem Text hinaus.
    Mein jüngstes Album 'Carribean Roots' begreift die Karibik als Einheit, die verschiedenen musikalischen Einflüsse werden in einem Klang gebündelt: Denn die Karibik ist nicht so fragmentiert, wie man immer denkt. Wir sind verbunden durch das Meer und eine gemeinsame Geschichte der Plantagen-Sklaverei. Wir teilen die Erfahrung der Diaspora, und nicht zuletzt ist die Karibik eine Region des Durchgangs: Menschen, Waren und Geschichten kommen und gehen.
    "Ihr wisst in Deutschland, wer Ihr seid."
    Eigentlich habe ich das bei den anderen fünf Alben zuvor auch schon so gemacht und festgestellt: Je länger ich in Großbritannien lebe, desto mehr fühle ich mich als Mensch der Karibik. Man sehnt sich nach all den Dingen, die man zurück gelassen hat: Die Klänge, die Familie, das Essen. Ich versuche, unsere eigene Identität zu betonen. Vermutlich ist das für Menschen aus der Karibik viel wichtiger als hier in Deutschland. Ihr habt seit Jahrhunderten eine gemeinsame Geschichte, ihr wisst, wer ihr seid."
    All das: Die Erfahrung der Diaspora, die Suche nach Identität, der Kampf gegen die Folgen der Kolonialzeit, bringt Anthony Joseph in seinen Texten zur Sprache, ein bisschen wie die Prediger, die er einst in den Kirchen seiner jamaikanischen Heimat erlebt hat. Mit seiner Band entwickelt er die Stücke vor allem über den rhythmischen Fluss der Sprache.
    Dabei sorgt insbesondere der aus Guadaloupe stammende Perkussionist Roger Raspail dafür, dass die Rhythmen der Karibik präsent sind. Saxofonist Jardon Yarde wiederum bringt Einflüsse vom erdigen Blues bis zum modalen Jazz im Stile eines John Coltrane mit. Insgesamt agieren die Musiker - darunter auch Eddi Hick, Schlagzeug, Andrew John, Bass, und Christian Arcucci, Gitarre - wie in einer improvisierenden Jazzband, die die Musik zu den rhythmischen Vorgaben frei gestalten.
    Aufnahme vom 8.7.2017 beim Rudolstadt-Festival
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sechs Monate nachhören.