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Musikerin Mísia
Die Anarchistin des Fado

Die portugiesische Liedkultur Fado mutet meist melancholisch an - nicht so bei Mísia: Die Fado-Künstlerin, die heute 60 Jahre alt wird, gilt als stilistisch grenzenlos. Sie interpretiert den Fado auf ihre ganz eigene Art. So macht sie auf ihrem aktuellen Album unter anderem gemeinsame Sache mit Iggy Pop.

Von Katrin Wilke | 18.06.2015
    Die Fado-Künstlerin Mísia, singend, ein Mikrofon haltend.
    Die Fado-Künstlerin Mísia. (dpa/picture alliance/Maciej Kulczynski)
    Es bekommt diesem 50 Jahre alten Fado gut, dass sich Mísia gegen die traditionelle portugiesische Gitarre und für eine elektrische entschieden hat. Gemeinsam mit ihrem Landsmann, dem Bluesmusiker "The Legendary Tigerman" gestaltet die Vokalistin ihre so schlichte wie expressive Reminiszenz an Tony de Matos: einen vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren populären Sänger und Schauspieler, der dieses Lied bekannt machte. Zumeist sind es jedoch weniger bekannte Lieder oder Poesien, die die entdeckerfreudige, sympathisch unkalkulierbare Fado-Avantgardistin für ihre Arbeit ans Licht holt.
    "Ich bin keine Sängerin mit absehbarem Repertoire. So von wegen: Jetzt singe ich ein wenig von dem, nach der Mode - nein. Als ich zum Beispiel Fado zu singen begann, war das ein sehr schlechter Moment für diese Musik. Anfang der Neunziger war der Fado - anders als heute - in keiner Weise kommerziell. Ich mache die Dinge immer eher dann, wenn ich möchte. Ohne groß darüber nachzudenken. Ich singe immer eher, was und wie es mir beliebt."
    "Mein Kopf ist ein Kuriositätenkabinett"
    Der Freigeist der privat wie musikalisch polyglotten Kosmopolitin wurde früh beflügelt. Ihre bis heute ausgelebter Lust vereint sie alles: einen: Kitsch- und "Hochkultur", Eleganz und Frivolität, Drama und Amüsement. Die 1955 in Porto als Susana Maria Alfonso de Aguiar geborene Tochter eines portugiesischen Ingenieurs und einer katalanischen Tänzerin wuchs mit Mutter und Großmutter auf, zum Teil in deren spanischer Heimat, in Barcelona, später in Madrid. Das familiäre Bohemien-Ambiente inspirierte mit viel Melodrama und Kreativität.
    "Mein Kopf ist ein Kuriositätenkabinett. Als Tochter einer spanischen Ballerina mit Schauspieler-Großmutter, und eines Portugiesen dachte ich, mich entscheiden, auswählen zu müssen. Doch dann fand ich es stattdessen viel besser, einfach alles zuzulassen. Später nahm durchs Reisen diese Pluralität, diese kulturelle Vielfalt noch zu. Ich bin ein alles aufsaugender Schwamm, fasziniert von den anderen Kulturen. Und so absorbiere ich, lerne von all diesen Orten."
    "Ich bin stolz auf meine 60 Jahre"
    Und so singt, vielmehr interpretiert Mísia auch schon mal einen Fado auf Japanisch, eine mexikanische Ranchera, einen Tango. Stets mit dem ihr eigenen, mehr nach Persönlichkeit als nach Technik klingenden Charisma. Von Anfang büchst die geschmackssichere Autodidaktin immer wieder in andere Liedgefilde aus, gerne mithilfe teils renommierter Poeten oder aber fado-ferner Musiker, wie zuletzt Iggy Pop. Mit "As time goes by" - auf Englisch und mit der markanten, elegant-wehmütigen Fado-Haltung vorgetragen - etwa klang 1993 ihr zweites Album aus. Wie auch das aktuelle Album "Delikatessen" von Mísia selbst produziert, war jene Veröffentlichung namens "Fado" zunächst nur für den japanischen Markt geplant. Doch sie brachte der Portugiesin schließlich auch zuhause die wohlverdiente Anerkennung.
    "Wir haben ein Leben und ein Alter, das heißt, an einem gewissen Tag sind wir eh alle gleich alt! (lacht) Nein, ich bin wirklich stolz auf meine 60 Jahre. Es gibt keine andere Option: älter werden oder sterben - dazwischen gibt es nichts. So werde ich also lieber mit Stolz älter, während ich nicht sterbe. Die Zeit, die mich noch erwartet, ist eine heilige Zeit. In der ich, wie ich glaube, viel glücklicher sein werde, als in der zurückliegenden."