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Musikfestspiele Potsdam Sanssouci - eine Bilanz
Bonjour Frankreich!

Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci folgten in diesem Jahr den vielfältigen Impulsen Frankreichs bis ins Europa der Gegenwart und suchten nach Antworten auf die islamistischen Terroranschläge in Paris.

Von Kirsten Liese | 28.06.2016
    Blick auf das Musenrondell im Park von Sanssouci. Peter Joseph Lenné hat die Parklandschaft gestaltet
    Auch ein Musikveranstaltungsort: der Park von Schloss Sanssouci (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Der Hass beanspruchte schon in der französischen Barockoper viel Raum. Oft tritt er als Person auf. In dem Fünfakter "Scylla und Glaucus" von Jean-Marie Leclair bedroht er eine freie, glückliche, aber in blinder Sorglosigkeit befangene Welt. In Jean-Philippe Rameaus "Zoroastre" gibt er der Rache eine Handvoll Schlangen.
    Wo der Hass so stark präsent ist, ergeben sich unweigerlich Parallelen zum islamistischen Terror. Darauf in irgendeiner Form zu reagieren, war dem Festival sehr wichtig: "Unser Festival ist politischer geworden" sagt Jelle Dierickx, der künstlerische Koordinator des Festivals. Entsprechend stand schon das Eröffnungskonzert unter dem Motto "Im Zeichen der Toleranz":
    "Wir haben versucht, eine neue Geschichte zu erzählen anhand von Musik von Rameau, Mondonville und Leclair, es sind alles Komponisten, die versucht haben, die höheren menschlichen Ideale in ihrer Musik zu verarbeiten. Es würde nicht Frankreich sein, wenn nicht die Lösung für das alles die Liebe sein würde, die Liebe zwischen Menschen, die Einiges lösen kann."
    Absage eines Jugendprojekts
    Die schrecklichen Nachrichten aus Paris haben sich auch direkt auf das Programm ausgewirkt. Ein Jugendprojekt über den Komponisten Rameau musste Jelle Dierickx kurzfristig absagen:
    "Die Idee war, dass eine Schule aus Versailles und eine Schule aus Potsdam zusammen ein Projekt machen würden, um zu zeigen, dass Rameau sehr modern ist und bis heutzutage auch junge Leute begeistern kann. Und dann nach dem Attentat in Brüssel haben wir einen Anruf bekommen von beiden Schulen, dass die Eltern entschieden haben, die Kinder nicht nach Potsdam zu schicken."
    Ursprünglich vorgesehen war auch eine Produktion von Jacques Offenbachs Operette Ba-ta-clan, aber nach den schrecklichen Massakern in der gleichnamigen Pariser Konzerthalle verzichteten die Verantwortlichen auf die schon ziemlich weit gediehene Neuinszenierung. Stattdessen stritten auf dem Theaterkarren in Potsdams Straßen Friedrich II. und Voltaire über Gott und die Welt.
    "Wir wollten auch nicht schweigen, wir wollten das nicht einfach wegtun vom Programm und nichts gegenüberstellen. Friedrich der Große und Voltaire waren die besten Freunde, wenn sie nicht beieinander waren. Aber sobald die beieinander waren, haben die gestritten über alles Mögliche, das wollen wir die heutzutage auch tun lassen, aber sie streiten sehr unhöflich, sehr ungepflegt über heute. Warum all dieser Zorn? Sind wir überhaupt noch tolerant, ist Europa galant? Diese Idee von Europa - zerstören wir sie nicht gerade?"
    Anspruchsloser Diskurs
    Voltaire, dessen Schriften seit Charlie Hebdo bei französischen Lesern eine Renaissance erleben, kam auf Einladung Friedrichs des Großen im Sommer 1750 nach Sanssouci und amtierte dort für drei Jahre als Königlicher Kammerherr, bis er wegen eines unerlaubten Wertpapiergeschäfts in Ungnade fiel. Das Stück "Friedrich, Voltaire und Wir" entpuppte sich, wiewohl es das Publikum aktiv stark einbezieht, jedoch nur als ein anspruchsloser, mit Plattitüden, simplen Parolen und derb vorgetragenen Liedern gespickter Diskurs um Zuwanderung, Ausgrenzung und Rassismus.
    Die Idee für dieses Straßentheater-Projekt war mithin gut gemeint, die Produktion aber nicht gut genug für ein Festival mit einem exzellenten Ruf.
    Großartige Barockopernproduktion
    Diesen bestätigte dafür umso mehr die wunderbare Barockoper "Armide" mit den Folies Francoises unter Patrick Cohen-Akenine, eine Koproduktion der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci und dem Centre de musique baroque de Versailles. In dieser letzten Oper von Jean-Baptiste Lully tritt der Hass auch wieder in Erscheinung. In der Inszenierung von Deda Cristina Colonna ist er ein korpulenter, stark beleibter Hüne. Mit schweren Schritten folgt er dem Ruf der Zauberin Armide, die mit seiner Hilfe eine Liebe überwinden will. Für die Regisseurin spiegelt sich darin das Drama der modernen Frau:
    "Armide erscheint als erfolgreiche junge Frau, sie gewinnt alle Kämpfe gegen die Kreuzritter, gibt sich damit aber nicht zufrieden, weil mit Renaud ein einziger noch ungeschlagener Feind übrig geblieben ist. Ihr Onkel Hidraot will, dass sie endlich heiratet und für Nachwuchs sorgt. Die Situation der Frauen hat sich kaum verändert, wir sind immer noch Perfektionistinnen, werden, sobald wir die höchste Stufe in unserer Karriere erreicht haben, wieder in die Rolle von Ehefrauen und Müttern zurück gedrängt und erfahren die Liebe oft als gefährliche Falle."
    Das alles vermittelt sich in Potsdam ohne das verkrampfte Bemühen, die Handlung mit der Brechstange in die Gegenwart zu katapultieren. Die Regisseurin hat ihre Inszenierung vielmehr ästhetisch auf das vornehme Interieur der Orangerie abgestimmt. Die Sänger tragen farbenprächtige barocke Roben nebst federreichem Kopfputz nach Originalentwürfen für die Versailler Uraufführung. Dazu bescheren die auf den historischen Barocktanz spezialisierten Nordic Baroque Dancers mit anmutigen raffinierten Schrittkombinationen und kriegerischem Gestampfe ein Fest fürs Auge, und gesungen und musiziert wird aufs Vorzüglichste.
    Ein spektakuläres Nachtkonzert mit feierlicher Musik vom Hofe Versailles und pyrotechnischem Feuerwerk bildete einen weiteren Höhepunkt der auch wirtschaftlich gut aufgestellten Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, die im Zuge der frisch unterzeichneten Städtepartnerschaft mit Versailles ihre überregionalen guten Beziehungen ausbauten und wie kein anderes Barockfestival auf aktuelle Krisen reagierten.