Donnerstag, 25. April 2024

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Musikprojekt für Beduinenkinder
Strings of change

Der Süden Israels wird von der Negevwüste geprägt - hier leben etwa 600.000 Menschen, darunter über 70.000 Beduinen. Integriert in die israelische Gesellschaft sind sie nicht. Wegen fehlender Zukunftsperspektiven drohen viele Jugendliche in die Radikalisierung abzugleiten. Ein ehrgeiziges Musikprojekt des Dirigenten Omer Meir Wellber will das verhindern.

Von Thomas Migge | 25.10.2016
    Ein Junge spielt in der Wüste Negev mit einem Luftballon
    Problematischer Ort für junge Beduinen: die Negevwüste (dpa / picture alliance / EPA / Jim Hollander)
    Ein hochmoderner Zug. Mit Klimaanlage und Wifi. Von Tel Aviv aus nach Rahat ist es keine Stunde Fahrtzeit. Der Bahnhof von Rahat ist modern und blitzblank sauber. Man wähnt sich nicht im nördlichen Teil der Negevwüste. 1972 wurde Rahat von der israelischen Regierung für die beduinische Bevölkerung gegründet. Also für Menschen wie Jarmal Alkirnawi, der uns mit seinem Wagen vor dem Bahnhof erwartet. Er bringt uns in die Kleinstadt Rahat – vorbei an einem grünen Villenort, in dem Juden in gepflegten Straßen und mit üppigen Gärten leben. Rahat hat keine Villen und gepflegten Gärten. Viele Straßen sind noch nicht einmal asphaltiert. Vor einer recht heruntergekommenen Hütte parkt Jarmal. "A new dawn" steht am Eingang geschrieben, eine neue Morgendämmerung, in arabisch, hebräisch und englisch. Drinnen Tische, Stühle, Fotos lachender Kindergesichter, ein Kühlschrank und an die Wände gemalte Blumen mit Mottos wie "Follow your dreams". "A new dawn" ist der Name einer Nichtregierungsorganisation, die sich in Rahat um die kulturelle Bildung junger Beduinen und deren Integration in die israelische Gesellschaft bemüht. Jarmal Alkirnawi:
    "Wir sind hier mehr als 70.000 Beduinen, von denen etwa 60 Prozent jünger als 16 Jahre sind. Diese Menschen haben ihr Nomadendasein aufgegeben und sind hier sesshaft geworden. Das hat große Veränderungen mit sich gebracht."
    Traum gegen dunkle Zukunft
    Und viele Probleme. Auch wenn der Staat den Beduinen eine Stadt baute, bietet er dieser Bevölkerungsgruppe keine Zukunftsmöglichkeiten. Die meisten jungen Menschen sind arbeitslos. Nicht wenige haben Sympathien für den IS, was terroristische Übergriffe auf jüdische Israelis beweisen, die Rahat besuchen. Um Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zu geben, arbeitet Jarmal eng mit "Sarab" zusammen. Das ist eine von dem israelischen Dirigenten Omer Meir Wellber vor zwei Jahren geschaffene Organisation zur musikalischen Ausbildung junger Beduinen aus Rahat. Jarmal Alkirnawi:
    "Omer Wellber und Jakov Reuven, Leiter des Konservatoriums im nahen Beer Sheva, kamen auf mich zu und wir begriffen sofort, dass hier was geschehen muss. So entstand unser Musikprojekt. Unser Traum: ein Beduinenorchester."
    Omer Meir Wellber stammt aus Beer Sheba. Sein Vater hatte sich darum bemüht, die Beduinen in die israelische Gesellschaft zu integrieren. Das aber, so der Dirigent, sei bis heute nicht geschehen:
    "Der größte Fehler Israels ist, dass man sich nicht darum kümmert, die Beduinen, die Araber zu Freunden des neuen Staates zu machen. Die Menschen wissen nicht, wo sie in unserer Gesellschaft hingehören. Sie schwanken zwischen dem Staat Israel und der palästinensischen Sache hin und her und drohen sich zunehmend politisch zu radikalisieren. Das betrifft vor allem die jungen Leute."
    Musik als Hoffnungsträger
    Junge Leute, die in Rahat zuhauf auf den Straßen zu finden sind: ohne Arbeit, ohne Schulbildung oder ohne Perspektiven, denn wer aus dieser Stadt kommt und ein Beduine ist, findet im schicken Tel Aviv keinen Job. Der israelische Staat sieht schulische Musikausbildung für nichtjüdische Kinder nicht vor. Deshalb gehen in Rahat die jungen Beduinen auch in diesem Punkt leer aus. Aber gerade mit Musik, davon ist der Dirigent fest überzeugt, könne man der beduinischen Jugend ein wenig Hoffnung geben. Omer Meir Wellber:
    "Unser Projekt hat drei Phasen. Erstens Musikunterricht in den Schulen. Dort werden 8- bis 10-jährige ein Jahr lang in Geige oder Violoncello unterrichtet. Zweitens: die begabtesten Kinder kommen anschließend ein Jahr lang in eine musikalische Förderklasse. In der dritten Phase haben die besten Nachwuchsmusiker die Möglichkeit, sich im Konservatorium in Beer Sheva weiterzubilden. Und dort zusammen mit jüdischen Schülern. Das ist ganz wichtig, denn zwischen Beduinen und Juden gibt es so gut wie keine Kommunikation."
    Doch bis beduinische Jungmusiker am Konservatorium in Beer Sheva musizieren und studieren können, muss geübt werden. Mit der Geige in der Hand und mit einer strengen Lehrerin. Anna Arama ist Jüdin:
    "Das hier sind ganz kleine Anfänger, die gerade mal dabei sind, mit der Geige das Notensystem zu erkunden."
    In einem zartrosa gestrichenen Klassenraum mühen sich drei Jungs und ein Mädchen mit ihren Geigen ab. Alle vier waren von dem Projekt Sarab gleich begeistert. Wie die achtjährige Zedan Alkrenawi:
    "Mich fasziniert das Instrument und die Musik, die ich so noch gar nicht kannte. Das ist etwas ganz Neues für mich und da will ich weitermachen!"
    Religion kontra Musik
    Zedans Vater war von dem Hobby seiner Tochter gleich begeistert. Doch das ist unter beduinischen Eltern eher eine Seltenheit, berichtet Omer Meir Wellber:
    "So kurios es sich anhört, aber die meisten Eltern wollten von diesem Musikunterricht zunächst nichts wissen. Vor allem aus religiösen Gründen, denn streng gläubige Muslime wollen nicht, dass Jungs mit Mädchen zusammen unterrichtet werden, dass eventuell ein Musiklehrer kein Muslime ist. Viele lehnen a priori eine kulturelle Öffnung ab."
    Seit einiger Zeit und nach ganz viel Mund-zu-Mund-Propaganda sind immer mehr beduinische Eltern in Rahat davon zu überzeugen, ihre Kinder zum Musikunterricht zu schicken, in der vagen Hoffnung, dass sie auf diese Weise einen Weg finden, sich in die israelische Gesellschaft integrieren zu können. Inzwischen machen etwa 50 Beduinenkinder bei der Initiative des Dirigenten mit. Omer Meir Wellber gibt sich allerdings keine Illusionen hin, dass sein Projekt die jüdisch-beduinischen Probleme aus der Welt schaffen kann:
    "Ich glaube nicht, dass man mit etwas Externem, wie es ja dieses Musik-Projekt ist, etwas verändern kann, was man selbst nicht ändern will. Man kann nur eine Situation verändern und verbessern, wenn man das auch selbst mit Überzeugung will."