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Musikprojekt "Sahel Sounds"
Die Wüste klingt

Hama hat noch nie einen Song veröffentlicht, und trotzdem hören in Westafrika Millionen Menschen seine Musik. Weil es kein stabiles Internet gibt, teilen seine Fans die Songs per Bluetooth - von Handy zu Handy. In der Sahelzone ist das nichts ungewöhnliches - das zeigt das Musikprojekt des Amerikaners Christopher Kirkley.

Von Mike Herbstreuth | 30.11.2016
    Szene aus dem Film "a story of Sahel Sounds"
    Szene aus dem Film "a story of Sahel Sounds", einer Doku über das Musikprojekt (neopankollektiv / Markus Milcke)
    Eine Straßenecke in Niamey, der Hauptstadt des Niger. Zwei Musiker sitzen auf dem Boden und spielen auf traditionellen Instrumenten - verstärkt durch eine umfunktionierte Boombox. Ein paar Leute kommen dazu, tanzen, klatschen mit. Neben der Band kniet Christopher Kirkley, Amerikaner, Mitte 30, schmal, kahlgeschorener Kopf. Vor den Musikern hat er ein Mikrofon aufgebaut.
    Es ist eine Szene aus dem Film "a story Of Sahel Sounds" - eine Doku, die das Neopan-Kollektiv aus Stuttgart über Christopher Kirkley gedreht hat. Die drei Filmemacher haben ihn mehrere Wochen begleitet auf einer Reise durch den Niger, auf der Suche nach neuer Musik für sein Projekt "Sahel Sounds".
    "Das erste was ich damals aus dieser Gegend gehört habe, war eine CD von Afel Bocoum."
    Ein berühmter Gitarrist aus Mali. Sein Stil hatte diese Blues-Pentatonik, aber auch diesen komplexen Polyrhythmus, den ich nicht so richtig begreifen konnte. Nur eine Person, eine Gitarre, eine Stimme. Und mit so wenig etwas so schönes zu schaffen, das hat mich damals ziemlich fasziniert.
    Musikalische Anfänge in Mali
    2009 war das - damals wusste Kirkley nach dem Studium nichts so richtig mit sich anzufangen. Inspiriert von den Field Recordings des Musikethnologen Alan Lomax packte er seine Sachen - inklusive digitalem Aufnahmegerät - und machte sich auf den Weg nach Mali. Er blieb dort zwei Jahre, lernte Musiker kennen, nahm sie auf und postete die Ergebnisse auf seinem Blog sahelsounds.com. Seitdem war er acht Mal in der Region, in Mali, im Niger - manchmal mehrere Monate, manchmal nur ein paar Wochen.
    "Wenn ich reise, dann höre ich einfach genau hin. Musik ist in Westafrika ein wichtiger Teil des sozialen Lebens. Die Leute spielen Musik auf ihren Handys, jeder hat ein Radio aufgedreht - es gibt in der Öffentlichkeit einfach jede Menge laute Musik. Und wenn ich etwas Interessantes höre, dann frage ich die Leute einfach: Was hörst Du da? Wie heißt diese Band, und so - oh, sorry, ein Anruf aus Mali."
    Vom Blog zum Label
    Solche Anrufe bekommt Kirkley oft. Von Musikern, mit denen er zusammenarbeitet oder deren Touren er organisiert. Denn mit der Zeit hat sich aus seinem Blog ein Label entwickelt, auf dem Kirkley mittlerweile über 30 Platten mit Musik von seinen Reisen veröffentlicht hat. 50 Prozent der Einnahmen gehen an die Musiker, die alle Rechte am ihrem Material behalten, 50 Prozent an Kirkley.
    "Finanziell trägt sich das Ganze eigentlich nicht so richtig. Ich habe schon ein paar Mal darüber nachgedacht, aufzuhören. Aber jedes Jahr wird es ein kleines Stückchen besser. Und das wichtigste: Für die Künstler wird es besser. Jetzt das Handtuch zu werfen, wäre Quatsch. Wenn ich sehe, dass Künstler wie Mdou Moctar oder die Filles de Illighada jetzt auch außerhalb ihrer Heimat auftreten, auf anderen Kontinenten… Diese Arbeit verändert die Leben meiner Freunde. Finanziell ist es vielleicht schwierig, aber alle Beteiligten haben etwas davon."
    Szene aus dem Film "a story of Sahel Sounds"
    Szene aus dem Film "a story of Sahel Sounds" (neopankollektiv / Markus Milcke)
    Der nigrische Gitarrist Mdou Moctar ist einer der Stars des Tuareg-Blues. Kirkley hat seine Touren durch Europa und Amerika organisiert, von denen in der Doku "a story of Sahel Sounds" einige Ausschnitte zu sehen sind. Im Sommer spielte Moctar unter anderem in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland.
    "Rüber zu einem Ort der Menschlichkeit"
    Die Filles de Illighadad haben dank Kirkley gerade ihre erste Europa-Tour gespielt.
    "Es ist auch irgendwie eine persönliche Mission. Ich habe durch diese Musik viel gelernt. Dank ihr habe ich eine tiefe persönliche Verbindung zur Sahara. Und im Prinzip hätte es für mich, einen Typen aus Portland, niemals einen Grund gegeben, diese Verbindung zu haben. Diese Orte trennt Welten. Und jetzt weiß ich so viel über diese Region und habe dort hunderte Freunde. Diese Beziehung wird immer bleiben. Und vielleicht können wir mit unserer Arbeit auch andere Menschen für diesen Teil der Erde interessieren ihnen und dabei helfen, aus ihrer Blase rauszukommen."
    Für Christopher Kirkley ist seine musikalische Arbeit deshalb auch eine politische. Heutzutage noch mehr als jemals zuvor.
    "In Zeiten wie diesen, mit Trump oder dem Rechtsruck in Europa - da finde ich es einfach wichtig, dass man eine Brücke baut zwischen den Leuten, die sich nicht verstehen oder die Angst voreinander haben - aus welchen Gründen auch immer. Musik kann solche sprachlichen oder kulturellen Barrieren überwinden. Musik aus unterschiedlichen Kulturen kann der Schlüssel dazu sein, sich für andere Orte und Menschen zu begeistern und etwas über sie zu lernen. Und Dinge aus diesem Reich des Exotik oder der Angst herauszuholen, rüber an einen Ort der Menschlichkeit."