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Musikszene der 80er-Jahre
Punk made in Hagen und Düsseldorf

Musik made in Germany war in den 80er-Jahren ein Gütesiegel. Bands wie Extrabreit, Fehlfarben DAF oder Nena sorgten international für Furore. Inspiriert von den englischen Punks, entwickelten sich in Düsseldorf und Hagen blühende Musikszenen. Zwei WDR-Dokumentationen erzählen die Geschichte der Helden von damals und was aus ihnen geworden ist.

Von Susanne Luerweg | 04.07.2016
    Das Titelbild der Jugendzeitschrift "Bravo" (Ausgabe vom 21.04.1983) zeigt die Sängerin Nena.
    Das Titelbild der Jugendzeitschrift "Bravo" (1983) zeigt die Sängerin Nena, die ein Gewächs aus Hagen ist. (dpa / picture alliance / Bravo)
    Kai Havaii von der Band "Extrabreit": "Man stand morgens auf und hatte das Gefühl, dass sich über Nacht schon wieder fünf Bands gegründet haben."
    Kai Havaii, so der Künstlername des Sängers der Hagener Band Extrabreit beschreibt die Stimmung Anfang der 80-er Jahre. Hagen- ein Kaff zwischen Sauerland und Ruhrgebiet. Eine Arbeiterstadt, kein kreativer Schmelztiegel und dennoch für kurze Zeit eine Art Hotspot für neue Musik, erzählt Gabriele Susanne Kerner, besser bekannt als Nena.
    Nena: "Das war dieser Vibe damals in der Stadt. Man geht dann mal los und macht das."
    Aus England schwappte die Punkbewegung nach Deutschland. Das Gefühl man kann erfolgreich sein ohne hundert Gitarrenstunden, jahrelangen Klavierunterricht und ausgefeilte Gesangsübungen.
    "Wenn du jetzt jemand sagst, das ist die Band die sich nach den Sex Pistols ausgerichtet hat und dann spielst du denen 'Hurra Hurra die Schule brennt'."
    Nicht in London, sondern in Hagen
    Die Hagener Band Extrabreit um Gründungsmitglied Stefan Kleinkrieg bereitete den Boden für alle die nach ihnen kamen. Doch nicht alle sangen auf deutsch wie sie. Nenas erste Band- The Stripes- orientierte sich an Blondie. The Ramblers, die Gruppe des heutigen BMG Chefs Hartwig Masuch versuchte sich auch an englischen Texten. ebenfalls Aber es war das Gefühl, das alle einte: Wir wohnen zwar nicht in London, aber hier geht was, erzählt der ehemalige Nena Freund und Schlagzeuger Rolf Brendel.
    "Bevor wir mit Nena nach Berlin zogen, stapelten sich in den Läden die Extrabreit CD´s und da wusste man: es ist möglich als Hagener großen Erfolg zu haben."
    Der Film des Hageners Peter Scharf mischt Archivbilder mit Aufnahmen von heute und erzählt die Musikgeschichte der Stadt als eine Art Popmärchen. Auftritte von Extrabreit und anderen in den 80zigern sind ebenso Teil der 45minütigen Dokumentation wie Interviews mit Nena und anderen Helden von damals. Alle kommen erstaunlich sympathisch daher und können immer noch nicht fassen, wie erfolgreich sie waren. Rolf Brendel erinnert sich, dass der spätere Superhit "99 Luftballons" eher zufällig in Amerika im Radio landete, und Nena weiß noch genau wie sie das erste Mal den Text gesehen hat.
    "99 Luftballons" ging um die Welt
    Ein Song der vom sogenannten Tor zum Sauerland über Berlin in die Welt ging. Und plötzlich eine graue Industriestadt bekannt machte. Nach dem kurzen Hype verschwand die Stadt wieder im Grau des Alltags, auch das eine Erkenntnis des Films. Ganz anders das nicht so weit entfernte Düsseldorf, das fast parallel zu Hagen einen ähnlichen Aufstieg als Musikmetropole feierte. Mit einem großen Unterschied:
    In Düsseldorf gab es nicht nur Musiker, sondern auch Künstler und man hielt zusammen, erklärt Kurt Dahlke von "Der Plan."
    "Wir hatten damals das Motto: mehr Kunst in der Musik. Mehr Musik in der Kunst."
    Die Düsseldorfer Kunst- und Musikszene hatte einen festen Treffpunkt. Die Kneipe Ratinger Hof in der Altstadt. Carmen Knoebel, Frau von Künstler Imi Knoebel, übernahm den Laden Ende der 70ziger Jahre und machte aus der ehemaligen Hippie Kaschemme einen kühlen Neonschuppen, der alles andere als behaglich war und dennoch die kreativen Köpfe der Stadt magisch anzog, wie Gabi Delgado Sänger von DAF.
    "Das war unser Wohnzimmer. Da konnte man rauchen, trinken, Flipper spielen."
    Punk und Neue Deutsche Welle sind nicht das Gleiche
    Ende der 70er war die Stimmung im Land aufgeheizt. Der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer war von Mitgliedern der RAF entführt worden, der Staat rüstete auf, verschärfte die Gesetze.
    Mittendrin Bands wie "Fehlfarben" und auch eine noch ganz junge Kombo, die später auf jeden Fall Geschichte schreiben sollte: Die Toten Hosen, deren Sänger Campino eine einfache Erklärung für den späteren Erfolg der Hosen hat.
    "Der Vorteil bei den Hosen war: Wir waren eher Freunde als Musiker."
    Die beiden WDR Dokumentationen geben einen guten Überblick über die Anfänge des Punk in NRW und erinnern noch einmal daran, dass Punk und Neue Deutsche Welle nicht das Gleiche sind. Schade nur, dass in beiden Filmen "Fräulein Menke" als schlimmer Neue Deutsche Welle Auswuchs herhalten muss.
    Aber schön zu sehen, dass neben Nena auch noch andere Pioniere von damals weiter auftreten und mit der Düsseldorfer Band "Stabil Elite" die Zukunft gesichert scheint.