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Muslime in Deutschland

Burhan Qurbani ist afghanischer Herkunft, versteht sich als deutscher Weltbürger. Sein Debütfilm "Shahada" schaffte es in den Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele. Qurbani hält Religion für interpretationsfähig, deswegen versteht er seinen Film als Aufruf zum Dialog der Religionen.

Von Josef Schnelle | 30.09.2010
    Im Lichte der Debatten der letzten Wochen um die Thesen von Thilo Sarrazin und sämtlicher Repliken dagegen wirkt Burhan Qurbanis Film, der im Januar noch im Wettbewerb der Berlinale lief, nun plötzlich wie eine Botschaft aus einer sehr fernen Zeit. Der Ansatz dieses Abschlussfilms eines Schülers der Filmakademie in Ludwigsburg ist nämlich überhaupt nicht die Frage Islam und/oder Integration. Er setzt viel mehr voraus, dass es eine Parallelkultur junger deutscher Muslime mit Migrationshintergrund gibt, die mit ihrer Religion und Kultur allerdings auch hadern und ihre ganz persönlichen Bedürfnisse mit dem Koran vereinbaren wollen. "In Allahs Augen sind alle Arten der Liebe gut" sagt der liberale Imam, der wirkt wie ein Pfarrer, der dem rheinischen Katholizismus anhängt. Doch gerade er bekommt die größten Schwierigkeiten in diesem Episodenfilm, der das Leben dreier deutscher Muslime in unterschiedlichen kulturellen Milieus Berlins nachzeichnet. Was soll zum Beispiel Samir machen, der erkennt, dass er ist, was er nicht sein darf: Er ist schwul und liebt seinen Kollegen David.

    Maryam freut sich ihres Lebens im Freundeskreis und in Clubs. Längst nicht alles von ihrem Leben erzählt sie ihrem Vater, dem eigentlich aufgeschlossenen Imam einer kleinen Gemeinde, in der sich die Wege der Filmfiguren in diesem Episodenfilm immer wieder kreuzen. Vater Vedat hat sie alleine großgezogen. Und natürlich ist die junge Frau in den Discos Berlins unterwegs, wo sich Jugendliche aller Milieus von den Einflüssen der Eltern freistrampeln. Sie protestieren laut und ungezogen, gegen die Grenzen, die ihnen gesetzt werden, und lieben zum Beispiel ein Lied der Gruppe Großstadtgeflüster, das frech und schmutzig daherkommt.

    Für Maryam hat der Sex Konsequenzen. Sie wird schwanger. Ihrem Vater glaubt sie sich nicht anvertrauen zu können und versucht alleine, mit Ihrem Problem fertig zu werden - mit schrecklichen Folgen. Als eine Art Selbstkasteiung wandelt sie sich zu einer Predigerin islamischer Werte und zieht gegen ihren Vater zu Felde. Sie wiegelt die ganze Gemeinde gegen ihn auf.

    Die dritte Geschichte erzählt von dem gut integrierten Polizisten Ismail, der vor einiger Zeit bei einer Razzia auf dem Großmarkt eine junge Frau schwer verletzt hat. Nun trifft er sie erneut, schiebt ihr aber die abgelaufene Aufenthaltserlaubnis wieder zu. "Sie können gehen." Diese Begegnung wirft ihn - auch er ist Muslim - aus der Bahn. "Shahada" - das ist das Glaubensbekenntnis des Islams. Nach ihm hat der Regiedebutant Burhan Qurbani seinen Film strukturiert. In differenzierter Art und Weise geht es bei diesem Film um den Glauben und wie man ihn mit dem Leben vereinbart. Der von einem Kinoanfänger bemerkenswert elegant inszenierte Film vermeidet die üblichen Klischees mit erhobenem Zeigefinger und Groschenheftschluss komplett. Weder strenge Muslime noch westliche Verfechter des Kampfes der Kulturen gegen den Islam werden sich in diesem Film wohlfühlen. Es ist ein Film über die Suche nach dem richtigen Weg, der zwischen pragmatischen Lebenskonzepten und der Sehnsucht nach Spiritualität vermittelt.

    Plötzlich fällt es einem wie Schuppen von den Augen. Hatten wir Christen das nicht vor ganz kurzer Zeit noch alles auch. Die Ächtung unerwünschter Schwangerschaft und die Angst davor, die Schwulen und Fremdenfeindlichkeit. In kleinen Dörfern der deutschen Mittelgebirge - in der Eifel, im Hunsrück und im Odenwald sollen auch immer noch Kopftücher gesichtet worden sein. Burhan Qurbani, der sich nicht als Afghane sieht, sondern wie seine kleine Crew als deutscher Weltbürger, dreht mit seinem eindrücklichen Film die allzuschnell hochgedrehte Spirale der Vorurteile ein paar Grad zurück und hat abgesehen von vielen Filmpreisen auch schon eine große Fangemeinde bei Facebook. Vielleicht ist es ja schon soweit, dass man sich abseits des dumpfen Rassismus wieder den wichtigen Fragen zuwenden kann. Wo will ich hin? Woran orientiere ich mich? Was ist der Sinn?