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Muslime in Frankreich
Hollandes Wunsch nach einem französischen Islam

Einen französischen Islam will Frankreichs Premierminister Hollande schaffen. Es unterstützten zwar etwa 40 Männer und Frauen seinen Aufruf in einem offenen Brief. Aber es kommt auch Kritik: Der Staat könne nicht eine nationale Religion verordnen. Ein junger Imam wirft der Regierung entmündigende Politik mit kolonialistischem Beigeschmack vor - und möchte selbst reformieren.

Von Margit Hillmann | 26.09.2016
    "Wir - Franzosen und Muslime - stellen uns unserer Verantwortung" - so lautete die Überschrift eines offenen Briefs, den rund 40 Frauen und Männer unterschrieben haben: bekannte Intellektuelle, Unternehmer, Künstler und Mediziner, die den Aufruf des Premierministers unterstützen. Wir brauchen einen Islam, der uns muslimischen Franzosen ähnelt, erklärte kürzlich Arzt und Mitunterzeichner Madjid Si Hocine in einem Interview mit dem Radiosender France Inter. Ein Seitenhieb auf den muslimischen Rat Frankreichs, dessen Mitglieder - so Si Hocine - seien religiöse Statthalter der Maghreb-Staaten, die einen französischen Reformislam blockierten.
    "Wir müssen andere Persönlichkeiten hervorheben, die den Islam in der öffentlichen Debatte repräsentieren. Muslime, die in Frankreich geboren und aufgewachsen sind, die hier gearbeitet haben, Französisch sprechen und voll integriert sind. Muslime, die kein Problem damit haben, dass sie Franzosen sind. Sie können mehr oder weniger religiös sein. Wichtig ist, dass sie einen Teil der muslimischen Franzosen abbilden, dass es keine Karikaturen mehr sind."
    Einen 'Pakt mit dem Staat gegen den IS-Terror' schließen und einen französischen Islam schaffen - auf die Forderung des Premierministers reagiert jedoch die Mehrheit der Muslime skeptisch. Der Premierminister werfe erneut Islam und Terrorismus in einen Topf, unterstelle Frankreichs Muslimen pauschal, religiösen Extremismus zu decken. Scharfe Kritik kommt auch von muslimischen Intellektuellen und Geistlichen, die sich in Frankreich seit Jahren für einen aufgeschlossenen und liberalen Islam einsetzen.
    Wie Nassr Eddine Errami, Imam in Straßburg. Er wirft der Regierung entmündigende Politik mit kolonialistischem Beigeschmack vor.
    "Die Muslime müssen ihren Islam selbst entwickeln. Der Staat kann nicht von oben einen Islam verordnen. Schon der Begriff 'Islam de France' ist völlig unangebracht. Es gibt keinen nationalen Islam, er ist supranational und vielfältig. Nebenbei gesagt: Radikalisierung lässt sich nicht bekämpfen, wenn man sich nicht mit Ursachen und Wirkung fundamentalistischer Lektüren des Islams aus dem Ausland auseinandersetzt - wie etwa den saudischen Wahhabismus. Und wie passt es zusammen, dass die Regierung einen Islam fordert, der individuelle Freiheiten respektiert, das säkulare Prinzip und die Gleichstellung der Frauen, gleichzeitig aber Saudi-Arabien aus wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen zu einem privilegierten Partner macht? Diese Politik ist voller Widersprüche."
    Der 32-jährige Imam ist Mitbegründer von 'Musulmans inclusives de France'. Der kleine aber sehr aktive Verein ist aus der muslimischen LGBT-Bewegung hervorgegangen. Er wirbt für einen emanzipatorischen und universellen Islam, in dem sexuelle Minderheiten genauso ihren Platz haben, wie heterosexuelle Muslime, in den Frauen gleichberechtigt sind. Auch Herkunft oder Hautfarbe sollen keine Rolle spielen. Humanistisch und befreiend, das ist für Errami der eigentliche Islam, den es wiederzuentdecken gelte.
    "Sich auf das Spirituelle des Islam zurück besinnen, sein Wesen neu begreifen - darum geht es uns. Das heißt, Schriften und Traditionen müssen in ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext interpretiert und gerade gerückt oder abgelegt werden. Wir wollen aufräumen mit der Behauptung, die islamische Theologie und ihre Rechtsprechung seien ewig und für alle Zeit verbindlich. Die ist falsch."
    Der junge Imam ist überzeugt, dass heute auch konservative Muslime bereit sind, Traditionen zu hinterfragen. IS-Gräueltaten und Terror, die erschreckende Gewalt im Namen des Islams, erzählt er, habe viele Muslime tief verunsichert.
    "Sie fragen sich: Habe ich mich wirklich der besten Religion hingegeben, der besten Spiritualität? - Bei all dem, was passiert? Es ist psychologisch und spirituell so schwer zu ertragen, dass selbst religiöse Muslime ihren Islam in Frage stellen: Bin ich wirklich Muslim, oder nicht?" Nassr Eddine Errami glaubt nicht an Ad-hoc-Lösungen. Den Islam entstauben, Traditionen und religiöse Dogmen hinterfragen - das brauche Zeit und Geduld. Auch sei es mit intellektuellen oder theologischen Debatten allein nicht getan.
    Nur ein progressiver Islam, der lebendig und alltagstauglich ist, mit dem die Muslime positive Erfahrungen machen können, habe eine Chance sich in den Glaubensgemeinden durchzusetzen und auch junge Muslime zu erreichen.
    Imam Errami, der auch homosexuelle Ehen und interreligiöse Hochzeiten segnet, will fundamentalistischen und radikalen Prediger nicht das Feld überlassen. Doch genauso wenig will er Islamophobie hinnehmen und politischen Populismus auf den Rücken muslimischer Franzosen.
    "Ich will keinen Bürgerkrieg an die Wand malen, aber wenn die französische Gesellschaft nicht an sich arbeitet, um Stereotypen und Vorurteile gegen muslimische Franzosen abzubauen und sie zu respektieren, kann daraus etwas sehr Gefährliches entstehen."