Dienstag, 19. März 2024

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Muslimische Gefangenenseelsorge
"Sich aus der Seele sprechen, das tut schon sehr gut"

Rund ein Drittel der Gefängnisinsassen in Berlin sind muslimischen Glaubens. Einheitliche Standards für eine islamische Gefängnisseelsorge gibt es nicht. Seit einem halben Jahr wird für alle männlichen muslimischen Gefangenen eine religiöse Betreuung angeboten. Längst überfällig, meinen nicht nur Politiker.

Von Susanne Arlt | 30.03.2017
    Imran Sagir ist auf dem Weg zum Gefängnis. Der kräftige Mann mit dem ovalen Gesicht und einem dunklen Vollbart ist kein Insasse, mit dem Gefängnisleben kennt er sich trotzdem gut aus. Imran Sagir leitet das Freitagsgebet, immer drei Mal im Monat. Ab Herbst will er auch seelsorgerliche Gespräche führen. So wie es bei den christlichen Kirchen schon seit mehr als einem Jahrhundert Usus ist.
    "Sie sind ja nicht nur Täter oder Insassen, sondern sie sind vor allem erst einmal Menschen und das soll halt auch in den Mittelpunkt gerückt werden und vor allem auch die Hoffnung, dass sie Vergebung in einer religiösen Dimension finden können."
    Jeden der neun muslimischen Gottesdienstbesucher begrüßt Imran Sagir mit Handschlag. Der Gebetsraum ist eigentlich ein Konferenzzimmer. Weiße Wände, graues Linoleum, Gitterstäbe vor den Fenstern, kaum 16 Quadratmeter groß. In der Mitte des Raumes stehen sechs Tische, die müssen noch raus, bevor die Predigt beginnt.
    Regelmäßiges religiöses Angebot längst überfällig
    Jeder packt mit an, auch Mamadou, 42 Jahre alt. Er ist froh, dass in der JVA Plötzensee endlich auch ein Imam regelmäßig predigen darf. Vorher sei dies eher provisorisch passiert, erzählt er.
    "Erstens ist es meine Religion, friedliche Religion, nicht so wie man es so sieht und hört. Wir sind als Muslime geboren, genauso werden wir auch sterben. Hat nix mit Kriminalität zu tun. Das ist Glauben, Frieden, ja."
    Dann packt er seinen beigefarbenen Gebetsteppich aus, legt ihn auf den Boden in eine Reihe neben die acht anderen. Ein buntes Bild. Grüne, weiße, graue Teppiche, in deren Mitte oft eine Moschee prangt, umringt von Palmen. Die Männer ziehen ihre Schuhe aus, manche haben ihre Gebetskette dabei, lassen sie durch ihre Finger gleiten. Weil kein Wasser zur rituellen Waschung da ist, reicht der Imam ein Duftwässerchen herum. Ein junger, schlanker Mann mit einer Gebetsmütze auf dem Kopf und in einen schwarzen Kaftan gehüllt, ruft seine Brüder zum Gebet.
    Rund 3.000 Männer sitzen zurzeit in den Berliner Gefängnissen im Vollzug. Etwa 30 Prozent davon seien Muslime, schätzt Justizsenator Dirk Behrendt. Ein regelmäßiges religiöses Angebot für sie sei längst überfällig gewesen, sagt der Grünen-Politiker und betont, es sei kein Deradikalisierungsprogramm.
    Angebote mit authentischen Vertretern der Religionsgemeinschaften
    "Die Situation, eingesperrt zu sein und eine längere Haftstrafe vor sich zu haben, veranlasst den einen oder anderen ja auch über sein Leben nachzudenken. Und da ist es uns wichtig, mit authentischen Vertretern dieser Religionsgemeinschaften die Angebote zu machen. Verbunden ist damit die Hoffnung, dass wenn sie eben religiöse Fragen haben, sich an die von uns ausgewählten Personen wenden und nicht an religiöse Scharlatane, die die schnellen Erklärungen anbieten und die dann womöglich in die Radikalisierung gehen."
    Dass Gefängnisse Brutstätten islamischer Radikalisierung sein können, ist aus Ländern wie Frankreich oder Belgien bekannt. Justizsenator Behrendt glaubt aber nicht, dass in Deutschland ähnliche Verhältnisse herrschen. In den Berliner Haftanstalten sitzen nach seinen Angaben zurzeit rund drei Dutzend Gefangene mit einem islamistischen Hintergrund.
    "Eine relevante Rolle spielen Syrien-Rückkehrer, die dort eben Verbrechen begangen haben und deswegen im Gefängnis sitzen, zum Teil die, die hier Anschläge geplant haben, wo wir ihnen das nachweisen konnten. Und dann haben wir noch einen Teil, der jetzt nicht so zum harten Kern gehört, sondern eher zum Sympathisantenbereich, die wegen Alltagskriminalität sitzen, aber wo wir zum Teil vermuten, dass sie da auch ansprechbar sind oder auch schon eingebunden sind."
    Verfassungsschutz und Polizei überprüften
    Um eine seriöse Betreuung zu garantieren, hat die Justizverwaltung eine umfangreiche Rahmenvereinbarung mit mehreren muslimischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde abgeschlossen. Darin steht zum Beispiel, dass die Predigt auf Deutsch gehalten werden muss, nur der liturgische Teil, also die Formeln und Gebete auf Arabisch sein dürfen. Vollzugsbeamte können die Gottesdienste überwachen. Außerdem wurde jeder Imam überprüft – von der Polizei und vom Verfassungsschutz. Bundesweit einmalig sei, dass es jetzt in allen fünf Gefängnissen regelmäßig Gottesdienste und religiöse Veranstaltungen für Sunniten, Schiiten und Aleviten gebe, sagt Justizsenator Behrendt.
    Imran Sagir hält sich an die vereinbarten Regeln. Er trägt eine arabische Sure vor, dann folgt der deutsche Text, so geht es abwechselnd weiter. In seiner Predigt geht es um das Thema Heuchelei, dass man nicht lügen, nicht betrügen soll, um alltägliche Dinge. Dinge, die den Häftlingen Halt geben können.
    Nach gut einer Stunde ist das Freitagsgebet vorbei. Fati schaut zufrieden. Der 37 Jahre alte Berliner nimmt regelmäßig teil. Der Imam und seine Predigten gäben ihm Halt, sagt er und lächelt. Er wurde zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt. Warum, das möchte Fati nicht verraten.
    Der Imam ist in dieser Situation der Neutrale
    "Man ist nicht stolz auf so was und deswegen ist auch peinlich ein bisschen. Ja ist so."
    Für ein persönliches Gespräch mit Imran Sagir bleibt nach dem Gebet keine Zeit. Fati bedauert das und freut sich zugleich, dass es ab Herbst endlich Einzelgespräche mit dem muslimischer Seelsorger geben wird. Denn die Aussprachen mit den Sozialarbeitern seien einfach nicht dasselbe.
    "Man kann sich denen nicht immer öffnen, weil, man will immer seine gute Seite zeigen. Und der Imam ist in dieser Situation der Neutrale, man kriegt nichts von ihm, man gibt ihm nichts und er hört zu, er gibt dir Rat oder Tipps und man wird das los. Und wenn man das aus der Seele heraus freispricht, tut das schon einem sehr gut."