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Muslimische Gefängnis-Seelsorge
Was Imame in deutschen Haftanstalten bewirken können

Immer wieder passiert es: Einige junge Muslime radikalisieren sich hinter Gefängnismauern. Um dem etwas entgegenzusetzen, wollen Politiker vermehrt Imame als Gefängnis-Seelsorger ins Haftanstalten entsenden. Diese Idee wurde in einigen Bundesländern bereits umgesetzt, ist aber bei den Seelsorgern nicht unumstritten.

Von Michael Hollenbach | 31.08.2015
    Ein Blick durch ein vergittertes Fenster in der Justizvollzugsanstalt Heidering während des Baus des Gefängnisses.
    Imame sollen eine Radikalisierung im Gefängnis verhindern. (Imago / Lars Reimann)
    Das Gefängnis im niedersächsischen Celle. Viele der Inhaftierten hier verbüßen eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Einlasskontrollen für Besucher sind streng. Doch die drei muslimischen Vorbeter, die einmal im Monat ins Gefängnis kommen, werden durchgewunken. Einer von ihnen ist Can Tufan, von Beruf IT-Spezialist. Die Inhaftierten betreut er ehrenamtlich.
    "Es mag zwar sein, dass Mauern uns jetzt trennen, aber seelisch und gedanklich sind wir dennoch zusammen. Und das den Menschen zu vergegenwärtigen, das ist, was wir mit der Seelsorge bezwecken."
    Rund zehn muslimische Gefangene sind in der Gefängniskirche zusammengekommen. Einer von ihnen ist Thomas, der vor fast 30 Jahren zum Islam konvertierte:
    "Das ist das Schöne, wenn die Imans kommen, dass sie dann Teppiche mitbringen und dass wir dann die Möglichkeit haben zu beten. Das sind auch so Momente, wo es eine Erleichterung gibt, weil man den Zusammenhalt hat nur unter den Muslimen."
    Nach dem Gebet in der Gefängniskirche setzen sich die drei muslimischen Seelsorger an den Kopf des Tisches. Einmal im Monat kommen die drei – zwei Vorbeter und der Imam – für eineinhalb Stunden in den Celler Knast. Hier findet aber keine Seelsorge statt, sondern eine religiöse Unterweisung im Islam. Der Imam erläutert den Koran auf Türkisch.
    Spätestens seit dem islamistischen Terroranschlag auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo Anfang des Jahres stehen Muslime im Gefängnis unter besonderer Beobachtung. Zwei der französischen Attentäter hatten sich hinter Gittern radikalisiert. Dass Salafisten im Knast ein Problem sein können, weiß auch Winfried Gebhardt.
    "Wir behalten es im Auge, aber ich sehe es zurzeit nicht."
    Der stellvertretenden Gefängnisleiter der Celler JVA will die Muslime in der Anstalt, die hier rund 15 Prozent ausmachen, nicht unter Generalverdacht stellen:
    "Wenn jemand seinem normalen Glauben nachgeht, dann ist das für uns Christen, was Moslems angeht, in einigen Bereichen vielleicht ungewöhnlich. Fünfmal am Tag sich zu verbeugen auf einem Gebetsteppich, das ist für uns ungewöhnlich. Aber das ist für mich keine Radikalisierung, sondern das ist Normalität im religiösen Glauben."
    Arbeit der Imane als Prävention
    Winfried Gebhardt begrüßt es, dass muslimische Seelsorger ins Gefängnis kommen. Für ihn ist diese Arbeit auch eine Art Prävention.
    "Ich denke, dass Religion für viele sowieso eine große Bedeutung hat, gerade im Justizvollzug, weil man dann doch wieder mehr auf sich selbst konzentriert wird. Und viele finden innerhalb des Vollzugs wieder zu einer Art des Glaubens zurück. Und das unterstützen wir auch."
    Viele Politiker erhoffen sich von dem Einsatz islamischer Gefängnisseelsorger, dass Muslime sich im Gefängnis nicht zu Salafisten radikalisieren. Der Gefangene Tuncay kennt das Problem mit ultra-frommen Glaubensbrüdern:
    "Das sind Leute, die sich nur mit diesem Glauben beschäftigen, aber von solchen Leuten halten wir automatisch Abstand, weil das Leute sind, die andere Leute umbringen oder den Tod wünschen."
    Vor einem Jahr hat das Land Niedersachsen in einer kleinen Feierstunde 36 ehrenamtliche muslimische Gefängnisseelsorger berufen. Doch da die meisten nur einmal im Monat für ein, zwei Stunden ins Gefängnis kommen, ist es nicht viel mehr als ein gut gemeintes Zeichen. Das sieht auch der Inhaftierte Thomas so.
    " Für uns wäre es sinnvoller, wenn wir unsere eigene Stelle hätten. Wenn der Imam da sein Büro hätte, einfach, dass er auch bezahlt wird."
    Die muslimischen Seelsorger bekommen gerade einmal zwölf Euro Aufwandsentschädigung pro Besuch, während die kirchlichen Gefängnisseelsorger Vollzeitstellen haben und vom Land bezahlt werden – so wie Gunhild Warning. Die Pfarrerin arbeitet in der U-Haft am Hamburger Dammtor. Allerdings kommt sie – wie ihr muslimischer Kollege – nicht nur einmal pro Monat für eineinhalb Stunden in den Knast; sie ist jede Woche 40 Stunden für die Inhaftierten da. Gunhild Warning stört es, wenn in der Politik der Einsatz von muslimischen Gefängnisseelsorgern nun oft mit dem Hinweis diskutiert wird, die Imame sollten verhindern, dass muslimische Gefangene sich hinter Gittern radikalisieren.
    "Ich finde es bedenklich. Das ist eine Engführung von Seelsorge. Das, was wir hier tun als Seelsorger, ist zunächst einmal vorurteils- und zweckfrei."
    Gunhild Warning weist darauf hin, dass alles, was die Inhaftierten ihr erzählen, nicht weiter gegeben wird. Sie könne sich – anders als die muslimischen Seelsorger – auch gegenüber der Justiz aufs Beichtgeheimnis und das Zeugnisverweigerungsrecht berufen:
    "Für die Gefangenen ist es wichtig, dass dort, wo Seelsorge draufsteht, auch Seelsorge drin ist. Es muss bestimmte Standards geben, die auch für muslimische Imame gelten, und da ist der wesentliche Standard sicherlich das Seelsorgegeheimnis. Das muss gelten, und zwar nicht nur gegenüber der Vollzugsanstalt und den Gerichten, sondern auch zum Beispiel auch gegenüber dem eigenen Dienstgeber, das wäre auch der türkische Staat für die Imame der DITIB."
    DITIB – das ist die Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion – ein Ableger der staatlichen türkischen Religionsbehörde. Die DITIB-Imame, die in Deutschland – meist nur für wenige Jahre – arbeiten, sind türkische Staatsbeamte. Auch Islamwissenschaftler Esnaf Begic, der an der Universität Osnabrück mit der Ausbildung muslimischer Seelsorger begonnen hat, würde es begrüßen, wenn es mehr muslimische Geistliche im Knast gäbe. Aber der ehemalige bosnische Imam sagt auch:
    "Ein Imam ist in erster Linie Theologe, lehrt die Gemeinde über unterschiedliche religiöse Inhalte."
    Und ein Imam setze ganz andere Prioritäten als zum Beispiel ein Pfarrer:
    "Da stelle ich fest – auch aus der eigenen Erfahrung als Imam, dass viele Kompetenzen im seelsorgerischen Bereich leider nicht vorhanden sind, dass die Seelsorge in der Umsetzung, in der Praxis, nicht vorhanden ist, wie wir das im Christentum kennen. Und zwar, dass traditionell eine Art islamischer Seelsorge in der Familie stattfindet, also eher amateurhaft, ohne professionelle Bezüge und auch nicht institutionalisiert und auch keine entsprechend ausgebildeten Kräfte am Werk sind."
    Esnaf Begic setzt auf die Zukunft. Aber er weiß auch, dass es noch ein langer Weg dahin ist, bis man tatsächlich von muslimischen Gefängnisseelsorgern sprechen kann, die über mehr Kompetenzen verfügen als religiöse Vorbeter und die nicht nur einmal im Monat die Inhaftierten besuchen.