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Musterfall der gelenkten Justiz?

Der frühere Innenminister Jurij Luzenko soll seinem Chauffeur zu einer Wohnung und zu einer Beförderung verholfen haben und muss dafür jetzt ins Gefängnis. Luzenko ist ein Gegner von Präsident Janukowitsch und vermutet politische Gründe hinter dem Richterspruch.

Von Florian Kellermann | 28.02.2012
    Regungslos und monoton verkündet der Richter das Urteil. Der stickige Kiewer Gerichtssaal ist überfüllt, von draußen dringen die lauten Sprechchöre der Anhänger von Jurij Luzenko herein. Der Angeklagte war während der Verhandlung in einen Metallkäfig gesperrt. Nach der Urteilsverkündung gibt sich der ehemalige Innenminister kämpferisch.

    "Dieses Gericht hat die Ergebnisse monatelanger Ermittlungen gegen mich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Das hier verlesene Urteil hat politische Gründe und wurde in der Kanzlei des Präsidenten geschrieben. Hier ging es nur um eines: mich als Politiker aus dem Verkehr zu ziehen. Ich werde alle Mittel ausschöpfen, die mir das ukrainische Recht und internationale Abkommen geben, um mich dagegen zu wehren."
    Tatsächlich konnte die Staatsanwaltschaft dem früheren Innenminister nicht nachweisen, dass er sich persönlich bereichert hatte. Der Vorwurf gegen ihn lautete vielmehr, er habe seinem Fahrer unrechtmäßig Vorteile verschafft. So soll Luzenko seinem Angestellten ein überzogen hohes Gehalt und eine Wohnung zugeschanzt haben. Er selbst bezeichnete diese Beschuldigungen als absurd, und so sehen es auch die meisten Experten.

    Sie gehen davon aus, dass der amtierende Präsident Viktor Janukowitsch nicht nur einen politischen Gegner ausschalten will. Viele, so die bekannte Publizistin Julia Mostowa, glauben, Janukowitsch wolle sich persönlich rächen. Denn Luzenko steht der ebenfalls verurteilten ehemaligen Ministerpräsidenten Julia Timoschenko nahe, der schärfsten Gegnerin des Staatsoberhauptes. Wie sie hatte er 2004, nach der manipulierten Wahl, dagegen gekämpft, dass Janukowitsch Präsident wurde - mit Erfolg. Deshalb gelangte der Mann aus der Ostukraine erst vor zwei Jahren an die Staatsspitze, diesmal bei Wahlen, die einigermaßen frei und fair abliefen.

    Feinde machte sich Luzenko auch unter vielen Unternehmern, die in der Ukraine oft eng mit der Politik verflochten sind. Denn als Innenminister habe er das korrupte System im Polizeiapparat zerschlagen wollen, sagt ein ehemaliger Steuerfahnder, der seinen Namen nicht nennen will:

    "Bei uns hat jede Partei Geschäftsleute, die sie finanzieren. Nach einem politischen Wechsel wollen diese Unternehmer dann belohnt werden. Zum Beispiel durch Gefälligkeiten der Steuerfahndung. Gleichzeitig werden ihre Konkurrenten dann besonders schonungslos überprüft. Luzenko bekämpfte dieses System, jedenfalls versuchte er es. Sein Problem dabei war, dass er kaum einschlägige Erfahrung für seinen Posten mitbrachte."

    Nicht nur das Urteil gegen Luzenko empört viele Menschen, sondern auch seine Haftbedingungen. Wie bei Timoschenko verschlechterte sich seine Gesundheit nach der Verhaftung vor über einem Jahr offenbar drastisch. Er selbst erwähnte eine Leberentzündung, die er sich durch schlechte Ernährung und eine mangelhafte medizinische Versorgung zugezogen habe. Seine Mitstreiterin Timoschenko, die über ein schweres Rückenleiden klagt, konnte inzwischen durchsetzen, dass sie von einem Arzt aus Deutschland untersucht worden ist. Sie sei ernsthaft krank, stellte ein Spezialist der Berliner Charité fest. Einzelheiten sind bisher nicht bekannt.

    Für Präsident Janukowitsch haben die Urteile gegen seine politischen Gegner auch eine Kehrseite. Er will das Assoziierungsabkommen mit der EU unter Dach und Fach bringen, aber das ist nun in weite Ferne gerückt. In einem Interview gab er sich kürzlich großzügig:

    "Wenn die Urteile in letzter Instanz Bestand haben, dann kann ich über eine Begnadigung entscheiden. Das sieht das ukrainische Recht vor. Eine Kommission wird sich dann mit der Sache beschäftigen, und ich werde eine Entscheidung fällen. Voraussetzung ist natürlich eine entsprechende Bitte der Verurteilten, ohne die geht es nicht."

    Für die beiden Oppositionspolitiker dürfte das aber kaum in Frage kommen. Timoschenko habe sich nichts zuschulden kommen lassen, erklärte ihr Anwalt bereits, deshalb brauche sie auch nicht um Gnade zu betteln.