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Musterknabe aus dem hohen Norden

Norwegen lebt vom Öl und Gas, das der Staatskonzern Statoil überall in der Welt fördert. Auch dort gibt es den Konflikt zwischen Umweltschutz und Milliardengewinnen. Besonders umstritten ist ob noch weitere Schutzgebiete für die Ölförderung geöffnet werden sollen.

Von Alexander Budde | 14.06.2010
    Norwegens Umweltminister Erik Solheim ist bester Laune, als er am Morgen vor die versammelten Landsleute tritt. Im Konferenzsaal des Thon-Hotels in Svolvær lauschen Fischer, Ölarbeiter und Umweltaktivisten. Solheim preist erst die Schönheit der Landschaft und rühmt die zivilisierte Streitkultur der Norweger. Dann wird der Minister von der Linkspartei deutlich: Die Ölpest im Golf von Mexiko, sagt Solheim, bereite ihm schlaflose Nächte:

    "Diese Havarie wurde nicht von einer dubiosen Firma in einem korrupten Entwicklungsland verursacht, sondern von einem weltbekannten Petrokonzern unter Einsatz von Hochtechnologie in der fortschrittlichsten Industrienation. Die Frage muss erlaubt sein, ob sich Vergleichbares auch bei uns ereignen könnte. Ich bin der Meinung, wir sollten die Lofoten und Västerålen nicht für die Offshore-Förderung öffnen. Die Region hat unschätzbaren Wert für Tourismus und Fischerei. Wir können uns das Risiko einer verheerenden Ölpest nicht leisten."

    In Norwegen gelten weit strengere Grenzwerte und Auflagen als in den meisten anderen Förderländern, hält Sigbjørn Aanes, Sprecher des Branchenverbands OLF dagegen. Der Vorstoß in den Norden sei mit der Aussicht auf unermessliche Bodenschätze verbunden. Die Geologie sei bekannt, behauptet Aanes, die technischen Probleme zu bewältigen.

    "Wir vermuten, dass die potenziellen Fördergebiete um die Lofoten und Västerålen große Mengen an Öl und Gas enthalten. Wir reden vielleicht von sechs Milliarden Barrel Öläquivalent. Die Lofoten sind das ganze Jahr über eisfrei, das Meer ist mit 200 bis 300 Metern nicht besonders tief. Zwar ist der Kontinentalsockel an dieser Stelle sehr schmal. Auch werden die Gewässer intensiv befischt. Aber wir würden uns an strenge Vorschriften halten, zum Beispiel nicht während der Laichsaison produzieren. Eine friedliche Koexistenz mit den Fischern wäre also möglich."

    300 dicht bedruckte Seiten mit Messtabellen, Schautafeln und Satellitenbildern umfasst der jüngste Bericht zum Zustand des Ökosystems und zu den Risiken der Ölförderung, den 26 Forschungsinstitutionen unter Leitung von Bjørn Fossli Johansen vom Polarinstitut in Svolvær präsentierten.

    "Bei einer Havarie vor Røst an der Südspitze der Inselgruppe zum Beispiel würde sich das Öl sehr schnell mit der Strömung entlang der Küste und bis in die Westfjord hinein ausbreiten. Besonders gefährdet wären die Seevögel. Bei denen registrieren wir einen dramatischen Rückgang der Populationen im Gebiet rund um die Lofoten und das Nordkap. Das kann mit dem Klimawandel zusammenhängen und mit dem veränderten Nahrungsangebot an Larven, Krill und Lodde."

    Auch ohne große Unfälle ist die Offshore-Förderung ein schmutziges Geschäft, betont Frederic Hauge. Norwegens stolze Vision einer emissionsfreien Produktion sei reine Augenwischerei, sagt der Gründer der einflussreichen Umweltorganisation Bellona. Der Staatskonzern Statoil etwa leite Chemikalien, Schwermetalle und hoch belastetes Produktionswasser in ausgediente Bohrlöcher ein, an denen immer wieder Leckagen auftreten. Zudem habe es auch in der Nordsee im Lauf von 30 Jahren eine Vielzahl von Havarien und Beinahe-Katastrophen gegeben.

    "Auch Statoil hüllt sich bei Unfällen in Schweigen. Auch Statoil arbeitet mit hochkomplizierter Technik. Zugleich registrieren die Behörden überall in der Branche gravierende Regelverstöße. Ölarbeiter erzählen uns, dass die Sicherheit unter überlangen Schichten bei wachsenden Arbeitsaufgaben leidet. Immer mehr unterqualifizierte Subunternehmen kommen zum Einsatz. Zugleich schaffen alternde Installationen Probleme. Wenn wir Norweger glauben, wir sind Weltmeister in allen Bereichen, wird uns das Unglück früher oder später einholen."

    Zum Thema:
    Schwarzes Gold, schwarze Pest
    Reihe über Auswirkungen der globalen Erdölförderung (DLF)