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Musterprozess im Dieselskandal
Kleinanleger versus VW-Konzern

Im Zusammenhang mit dem Dieselskandal hat vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig ein Musterprozess gegen den VW-Konzern begonnen. Damit soll die Vielzahl der Klagen gebündelt und die Prozessdauer verkürzt werden. Ein betroffener Kleinanleger aus Hamburg erwartet ein Verfahren von rechtshistorischer Bedeutung.

Von Alexander Budde | 10.09.2018
    Die Richter Nicolai Stephan (l-r), Christian Jäde und Friedrich Hoffmann stehen zum Prozessauftakt im Oberlandesgericht Braunschweig. In einer mündlichen Verhandlung im Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Volkswagen AG fordern Aktionäre nach dem Abgas-Skandal Schadenersatz in Milliardenhöhe.
    In einer mündlichen Verhandlung im Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Volkswagen AG fordern Aktionäre nach dem Abgas-Skandal Schadenersatz in Milliardenhöhe. (dpa/ picture alliance/ Swen Pförtner)
    "Hier haben wir zum Beispiel die Verkaufsabrechnungen vom 21. April 2015 und vom 22. Und vom 24. April - und da sieht man, dass mein durchschnittlicher Einstandspreis damals bei 234 Euro lag."
    Kay Dünschede hat im April 2015 insgesamt 400 Vorzugsaktien von VW gekauft - eine Anlage, die klug durchdacht war, wie der selbständige Unternehmensberater aus Hamburg damals glaubte.
    "VW ist ja über Jahrzehnte ein etwas konservatives, biederes Unternehmen, was aber Produkte herstellt, die in der ganzen Welt gefragt sind, und die über Jahre jetzt keine exorbitanten Gewinne erwirtschaften, aber zumindest für eine ordentliche Rendite sorgen. Ich wollte eine grundsolide Anlage haben, wo ich mit meinen Dividenden-Erträgen dafür sorgen kann, dass ich ein bisschen was für das Alter zur Seite legen kann."
    Dann flog auf: Der Wolfsburger Autobauer und seine Konzerntochter Audi haben in den Jahren 2008 bis 2015 weltweit 11 Millionen Dieselmotoren manipuliert, um Abgaswerte zu schönen. Nach dem Bekanntwerden des Betrugs am 18. September 2015 war der Aktienkurs steil nach unten gerauscht, durch den Kurssturz erlitten Anleger herbe Verluste. Ist ein Verschulden nachweisbar, können Anleger Schadensersatz oder die Rückabwicklung ihrer Aktienkäufe geltend machen, weil sie die Wertpapiere bei Kenntnis der Insiderinformationen nicht oder zumindest nicht zum damaligen Preis gekauft hätten. Bei 93.600 Euro Investment, sagt Dünschede, sei ein Schaden von 24.720 Euro aufgelaufen.
    "Dadurch, dass VW massiv betrogen hat und mir das nicht gesagt hat, bevor ich gekauft habe, ist der Wert der Aktie in den Keller gegangen. Wenn Sie offen gespielt hätten, hätte jeder entscheiden können, ob er trotzdem die Aktie kauft oder nicht. Wenn man die Informationen zurückhält, ist das nicht in Ordnung!"
    Anleger haben Aktien gekauft, die zu teuer waren
    Kleinanleger wie Dünschede aber auch so genannte institutionelle Investoren wie Banken, Versicherungen und Aktienfonds verlangen von VW Schadensersatz. Ihre Klagen sind derzeit ausgesetzt – bis das Oberlandesgericht Braunschweig im Musterverfahren über Fragen entschieden hat, die für alle Kläger relevant sind. Es geht den mehr als 2.000 Klägern insgesamt um eine Schadenssumme von 9-einhalb Milliarden Euro. Auf rund eine Milliarde Euro belaufen sich die Forderungen gegenüber der VW-Mutter-Holding Porsche SE, sagt Dünschedes Rechtsanwalt Andreas Tilp. Die Kanzlei Tilp Litigation vertritt im Braunschweiger Verfahren die Musterklägerin, dazu wurde die Sparkassen-Fondstochter Deka Investment bestimmt. Tilp´s Kernargument:
    "Die Volkswagen AG hat seit 2007/2008 erkannt, dass sie eine Technik, die sie dem Markt versprochen hat, nämlich eine saubere Diesel-Technik vor allem auch in den USA anzubieten, nicht realisieren kann – und diese Erkenntnis ‚Wir schaffen das nicht!‘, die hätte dem Markt bekanntgegeben werden müssen. Danach hat VW betrogen. Weil der Anleger das nicht wusste, hat er Aktien gekauft, die zu teuer waren."
    Der VW-Konzern ist der Auffassung, seine Veröffentlichungspflichten gegenüber den Aktionären und dem Kapitalmarkt erfüllt zu haben. In seiner Klageerwiderung stellt VW die Vorgänge so dar: Den folgenschweren Beschluss zum Einsatz der verbotenen Abschalteinrichtung hat 2005 eine kleine Gruppe von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene getroffen. Der Vorstand habe davon nichts gewusst. Auch die kursrelevanten Milliardenstrafen waren nicht absehbar, sagt Markus Pfüller von der Kanzlei SZA, die für den Konzern den Prozess führt.
    "Das Risiko war objektiv zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar. Dagegen sprach die fest etablierte Behördenpraxis in den USA – und zu Einzelereignissen und Einzelbewertungen werden wir dann im Verfahren uns zu einlassen."
    Es geht ums Prinzip
    Zweifel an dieser Version sind erlaubt, sagt Dünschede. Der streitbare Kleinanleger erwartet einen bahnbrechenden Prozess, er fürchtet jedoch, "dass VW sich hinter juristischen Floskeln verbergen wird, und das Verfahren massiv in die Länge ziehen wird. Für mich ist es sicherlich was ganz Neues, dass so viele Kleinanleger trotzdem mitmachen, und sich auch gegen VW stemmen!"
    "Ich log mal in mein Depot ein, um zu gucken wo wir heute denn stehen." Es ist eine Binsenweisheit: Wer sein Geld an der Börse investiert, geht Risiken ein. Kay Dünschede sagt, dass ihm das vollkommen klar sei. Bei seiner Klage gegen Volkswagen, sagt er, gehe es nicht nur ums Geld, sondern auch ums Prinzip: "Mir geht es darum, dass ich es sehr schlecht verknusen könnte, wenn die damit durchkämen. Es widerspricht vollkommen meinem Gerechtigkeitsempfinden. Normalerweise wäre es für meinen Blutdruck wahrscheinlich besser gewesen, das einfach abzuhaken und auf sich beruhen zu lassen und als schlechte Lebenserfahrung abzubuchen – aber da hätte ich mich nicht gut bei gefühlt!"