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Mutation, Selektion und Kooperation

Evolution. - Menschen kooperieren gerne. Sie rufen Vereine ins Leben, gründen Firmen und knüpfen selbst am Computer soziale Netzwerke. Dahinter steckt ein evolutionärer Mechanismus, sagt Martin Nowak von der Uni Harvard. Der Biologe stellt in seiner Evolutionstheorie die Kooperation gleichwertig neben Mutation und Selektion.

Von Jan Lublinski | 01.07.2009
    Martin Nowak ist eine eigenwillige Erscheinung unter den Biologen: Der groß gewachsene Österreicher leitet an der Harvard-Universität in den USA einen Lehrstuhl für Evolutionsdynamik. Aber er arbeitet weder mit Pipette im Labor noch mit Notizbuch draußen in der Natur. Er hantiert vielmehr ausschließlich mit mathematischen Formeln und programmiert spezielle Computerspiele. Nowak versucht, die Evolution mit Mathematik zu verstehen, und hält dabei ein Element für ganz zentral: die Kooperation. Sie steht für Nowak gleichberechtigt neben Mutation und Selektion, also: der genetischen Veränderung von Organismen und ihrer natürlichen Auswahl, den beiden Grundmechanismen der Evolutionstheorie.

    "Es ist ja so: Mutation führt zu einer Diversität, und ohne Mutation kann es auch keine Selektion geben. Und ohne Mutation und Selektion kann es auch keine Kooperation geben."

    Mutation und Selektion allein reichen nicht aus, um zu erklären, wie komplexe Strukturen entstehen, sagt Nowak. Die Entwicklung zu höheren Lebensformen kann man nur beschreiben, wenn man auch die Mechanismen der Kooperation mit mathematischen Methoden modelliert. Dafür nutzt Nowak die mathematische Spieltheorie. Im Zentrum seiner Analysen von Kooperation steht das "Gefangenendilemma": Zwei Straftäter, die gemeinsam etwas ausgefressen haben, werden gefasst und getrennt voneinander verhört. Verweigern beide die Aussage, kann ihnen nur wenig nachgewiesen werden, und die Strafen fallen gering aus. Gestehen beide, wandern sie für lange Zeit hinter Gitter. Gesteht nur einer von beiden, so kommt er frei.

    Bei diesem Gefangenendilemma gibt es also zwei Taktiken: Entweder zu kooperieren und zu hoffen, dass der andere dies auch tut - oder egoistisch zu sein und zu hoffen, dass man selbst von der Kooperationsbereitschaft des anderen profitiert. Nowak hat bei diesem Gedankenspiel vor allem die Fälle betrachtet, bei denen zwei Spieler immer neue Runden miteinander austragen.

    "Das heißt, dass wir nicht einmal miteinander zu tun haben, sondern heute, morgen, übermorgen, wir müssen uns immer wieder auf diese wiederholte Wechselwirkung einspielen, und das kann zu Kooperation führen."

    Tatsächlich findet Nowak die Strukturen dieses immer neuen Spiels um Egoismus und Kooperation in vielen Systemen in der Natur wieder. Etwa bei bestimmten Bakterien, die Enzyme ausschütten, um Nahrung außerhalb ihrer Zellwand zu verdauen. Wenn alle Bakterien Enzyme ausschütten, profitieren auch alle von der verdauten Nahrung. Wenn einzelne Mikroben sich aber einfach nur bedienen, ohne Enzyme beizusteuern, sparen diese Energie und profitieren mehr als die anderen.

    Nowak hat mithilfe seiner spieltheoretischen Rechnungen auch beschreiben können, wie sich Krebszellen durch bestimmte egoistische Taktiken immer weiter ausbreiten können oder wie ein HI-Virus sich so schnell vervielfachen kann, dass es das Immunsystem aushebelt.

    Bestärkt durch diese Erfolge traut Nowak sich nun noch einiges mehr zu: Er will mit seiner mathematischen Theorie der Kooperation auch komplexere Organismen und sogar die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft beschreiben.

    "Das heißt, man möchte auch Evolution von vielzelligen Organismen haben. Wie kommt es von einem Einzeller zu einem Vielzeller. Wie kommt man von einem Organismus zu einer menschlichen Gesellschaft. Das nennt man eine Konstruktion auf einer höheren Ebene - und dafür braucht man dann Kooperation."

    Um die Kooperation zwischen Menschen zu beschreiben, analysiert Nowak verschiedene Gefangenendilemma-Spiele in Netzwerken von Mitspielern. Er untersucht etwa, unter welchen Bedingungen Gruppen eng kooperieren oder welche Rolle der Ruf einer Person spielt. Dabei stellt sich unter anderem heraus: Die Leute kooperieren gerne mit solchen Mitspielern, von denen sie wissen, dass diese zuvor Dritten geholfen haben. Voraussetzung dafür ist, dass die Mitspieler sich untereinander sprachlich austauschen können. Martin Nowak hält diese Art der Kooperation darum für einen Motor der menschlichen Sprachentwicklung.

    Insgesamt geht Nowak sogar soweit, dass er die Entstehung von Religion und Moralkodizes über die gesellschaftlichen Vorteile der Kooperation erklärt.

    "Kooperation ist für Menschen etwas ganz Wesentliches. Und die Religionen verstehen, dass das Rezept zu einer wirklich langfristigen Kooperation nur dasjenige ist, dass die Menschen weniger egoistisch werden. Das heißt: Was kann ich eigentlich tun, um anderen Leuten zu helfen?"

    Fest steht auf jeden Fall: Nowaks mathematische Modelle bestechen durch ihre Klarheit und Einfachheit. Wie geeignet sie aber sind, um komplexere biologische und soziale Systeme zu beschreiben, muss sich erst noch zeigen.