Erzählungsband "Der Grüne Planet"

Ritt durch postapokalyptische Landschaften

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Cover des Buches "Der Grüne Planet" auf orangefarbenem Aquarellhintergrund.
Es gehe um ein "Bewusstsein für die Notwendigkeit eines dringend nötigen Wechsels in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft", sagen die Herausgeber. © Deutschlandradio / Hirnkost
Von Marten Hahn  · 19.06.2020
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Die Anthologie "Der Grüne Planet" will mit Klimafiktions-Erzählungen das Bewusstsein für ein Umdenken in der Politik schaffen. Manche Beiträge leben von einer guten Idee, viele überzeugen auch literarisch.
Politik formt Literatur. Die deutsche Umweltbewegung und die Grünen haben Spuren in der deutschen Science-Fiction hinterlassen. Und Klimafiktion ist zu einer deutschen Spezialität avanciert. So zumindest argumentieren die Literaturwissenschaftler Andrew Milner und J.R. Burgmann in ihrem Essay "Climate Fiction: A World-Systems Approach" (2017).
Und die Beweislage ist erdrückend. Von Dirk C. Flecks "GO! Die Ökodiktatur" (1993) über Frank Schätzings "Der Schwarm" (2004) bis hin zu Karen Duves "Macht" (2016). Nun hat der Hirnkost-Verlag den Trend vertieft. Die Anthologie "Der Grüne Planet – Zukunft im Klimawandel" versammelt Kurzgeschichten deutschsprachiger Autoren, die alle in die Schublade "Cli-Fi" (Climate-Fiction) passen.

Noch die Kurve gekriegt

Die Sammlung hat einen klaren Auftrag: Man wolle "das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines dringend nötigen Wechsels in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft [...] schärfen", so die Herausgeber Hans Jürgen Kugler und René Moreau, der Gründer des Sciene-Fiction-Magazins "Exodus". "Denn im Gegensatz zur Vorstellungskraft so mancher Politiker ist die Phantasie grenzenlos." Wer subtile Botschaften sucht, wird also enttäuscht. Doch das Buch hält mehr, als das einführende Politik-Bashing verspricht.
"Der Grüne Planet" ist ein wilder Ritt durch post-apokalyptische Landschaften, Asteroidengürtel und Kunstschnee. Manchmal ist die Endzeit schon Nachrichtenalltag, manchmal haben Pflanzen oder KI die Herrschaft übernommen, und manchmal haben wir die Kurve noch gekriegt.
Letzteres gilt ganz wortwörtlich für "Millennial Mammut Crash Derby 3000". In der temporeichen Geschichte von Tino Falke sind Verbrenner schon lange passé. Alle Welt lässt sich von emissionsfreien "SmartCars" fahren - bis eine Ausgrabung die Begeisterung für "Oldtimer" wieder entfacht. "Je lauter der Motor, je intensiver der Gestank der Abgase, desto stärker ehrte man die Alte Welt und ihre längst vergessenen Errungenschaften." "Carbonized" von Rainer Schorm spielt hingegen erfolgreich mit dem Gedanken: Was wäre, wenn die, die es sich leisten können, angesichts der Klimakatastrophe ins All fliehen, irgendwann zurückkommen, in der alten Heimat aber nicht mehr willkommen sind?

Die verbleibende Zeit bis zum Weltuntergang

Viele Geschichten in "Der Grüne Planet" leben von einer guten Idee. "Mietnomaden" von Heidrun Jänchen ist komplexer. In glasklarer Prosa erzählt die Autorin in Episoden wie die Menschheit zum Klimaflüchtling wird. Auch hier enden wir im All, in einem Generationenraumschiff. "Man brauchte kriminelle Energie, um trotz der optimierten Rationen ungesund zu leben. Die Menschen werden älter als geplant. Sie hatten das Problem der Überbevölkerung in den Weltraum mitgenommen."
Nicht alle Erzählungen sind großes Scifi-Kunst. Manche Geschichten sind recht faul gezeichnete Skizzen. Doch die Mehrzahl der Storys sind geistreich und spannend. Einige wenige, wie Erik Simons "Vom Dramp", sogar sprachlich originell. Ob der Hirnkost-Verlag, der zuletzt das Science-Fiction-Jahrbuch vor dem Aus rettete, auch den "grünen Planeten" retten kann, darf bezweifelt werden. Die neue Anthologie vertreibt ihren Lesern aber immerhin auf angenehm-unangenehme Weise die verbleibende Zeit bis zu zum Weltuntergang.

Hans Jürgen Kugler, René Moreau (Hg.): "Der Grüne Planet". Anthologie
Hirnkost Verlag, Berlin 2020
290 S., 25 Euro

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