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Mutter aller modernen Pesterreger

Archäologie. - Lange war umstritten, welcher Krankheitserreger die Pestepidemie im Mittelalter ausgelöst hat, der 25 Million Menschen zum Opfer fielen. Nun hat ein internationales Forscherteam das Erbgut des Bakteriums Yersinia pestis entschlüsselt, das für den schwarzen Tod verantwortlich sein soll. Beteiligt an den Arbeiten war Dr. Johannes Krause, Paläogenetiker am Institut für naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen.

Johannes Krause im Gespräch mit Uli Blumenthal | 13.10.2011
    Blumenthal: Herr Krause, wie gelang es Ihnen, das Genom zu rekonstruieren. Die verheerende Epidemien liegt ja 650 Jahre zurück?

    Krause: Das Wichtige ist natürlich, dass man Opfer der Pest ausfindig machen kann. Und wir haben den großen Vorteil, dass wir einen Zugang hatten zu einer Skelettsammlung von einem Friedhof in London, der ausschließlich für die Opfer des schwarzen Todes verwendet wurde, die so genannte East Smithfield Collection. Und von diesen Skeletten konnten wir Zähne entnehmen, und aus diesen Zähnen konnten wir DNA extrahieren, bei der wir tatsächlich Yersinia pestis, die Pestbakterien, nachweisen konnten. Und wir konnten sogar zeigen, dass diese DNA tatsächlich alt ist, dass sie aus dem Mittelalter stammt, dass es sich sozusagen nicht um moderne Kontamination vom Labor oder auch von Bakterien handeln könnte.

    Blumenthal: Sie haben so einfach gesagt: Wir konnten DNA rekonstruieren. Ist es denn so einfach gewesen oder mussten sie einige Tricks anwenden?

    Krause: Es ist schon relativ komplex. Das heißt, die DNA, die man aus einem solchen Zahn aus dem Mittelalter bekommt, ist eine komplexe Mischung aus DNA von der Person, von dem Menschen, und auch aus der DNA von Bakterien oder Pilzen, die vielleicht in diesem Grab einst gelebt haben und ihre eigene DNA hinterlassen haben. Das heißt, nur ungefähr jedes Millionstel Molekül, DNA-Molekül, stammt tatsächlich von den Krankheitserreger, der diesen Mensch einmal umgebracht hat. Und wir mussten eine so genannte Technologie des molekularen Angelns verwenden, um die wenigen DIN A-Fragmente heraus zu fischen, die wir dann zu diesem Genom des Pestbakteriums zusammensetzen konnten.

    Blumenthal: Und was haben Sie jetzt in der Hand? Ein komplettes Genom, also die komplette Reihenfolge aller Gene des Erregers?

    Krause: Wir haben jetzt ungefähr 99 Prozent aller Positionen im Erreger-Genom entschlüsselt. Allerdings sind wir uns nicht ganz sicher, in welcher Reihenfolge diese Gene einst auf dem Genom gesessen haben. Das heißt, Bakterien rearrangieren ihre Gene sehr häufig, auch bei den heutigen Pestbakterien sieht man das, dass die ständig neu arrangieren. Und das gilt auch für die mittelalterlichen Bakterien. Allerdings sind die Fragmente, die wir dort bekommen haben, so kurz, dass wir nicht genau die Reihenfolge wieder rekonstruieren können. Allerdings haben wir sozusagen alle Bereiche abgedeckt. Das heißt, wir sind uns relativ sicher, wie die DIN A-Sequenz der Gene aussieht, aber, wie gesagt, die Reihenfolge lässt sich nicht genau bestimmen.

    Blumenthal: Und was wissen Sie jetzt über diesen damaligen Pesterreger? Wo kam er her, wann ist er entstanden, und wann und warum ist er so tödlich geworden?

    Krause: Unsere Frage war natürlich, herauszufinden: warum war damals die Pest so viel aggressiver und virulenter als die heutige Pest. Das war unsere Motivation, diese Pesterreger zu untersuchen. Wir haben allerdings festgestellt, dass die DNA, das Genom dieses historischen Pesterregers sich gar nicht von den heutigen Pesterregern unterscheidet, nur in ganz wenigen Positionen, nicht mehr als ein Dutzend Positionen unterscheiden sich diese Varianten von heutigen Varianten. Das heißt, man kann im Prinzip sagen, die heutigen Pestbakterien sind fast identisch mit dem Erreger aus dem Mittelalter. Dann stellt sich trotzdem noch die Frage: wo kann der her und warum war der so viel virulenter, soviel tödlicher als die heutigen Pestbakterien? Dazu muss man vielleicht sagen: Das lag vielleicht auch an den Umständen im Mittelalter. Damals gab es Hungersnöte, Kriege. Man hatte sich auch noch nicht auf die Pest eingestellt, unsere Ergebnisse zeigen, dass die Pest damals wahrscheinlich zum ersten Mal auftrat in der Menschheitsgeschichte. Das heißt, man wusste gar nicht, was das für ein Krankheitserreger ist, wie man mit ihm umgehen soll. Die Menschen dachten, das wäre die Apokalypse, das Ende der Welt und hatten sich im Prinzip noch nicht kulturell angepasst. Aber vielleicht auch nicht biologisch, das heißt, man kann sich vielleicht auch vorstellen, dass es zu Veränderungen im Menschen kam, dass Menschen, die vielleicht etwas empfindlicher waren gegenüber dieser neuen Krankheit, dieser Krankheit zum Opfer fallen, während Menschen, die vielleicht Resistenzen ausgebildet haben, sich dann stärker in der Population verbreitet haben. Wir gehen im Moment davon aus, dass die Pest aus China kam, das heißt aus China und Zentralasien. Da gibt es die größte Diversität von Pestbakterien heutzutage und auch aus den historischen Quellen kann man rekonstruieren, dass die Pest wahrscheinlich über die Seidenstraße, dann über das Schwarze Meer und Sizilien nach Europa gekommen ist und sich dort hauptsächlich über Schiffe in den Hafenstädten verbreitet hat.

    Blumenthal: Vor 650 Jahren verbreitete sich diese Pestepidemie in Mitteleuropa, aber 541 bis 770 gab es schon einmal, man sagt so, die erste Pestepidemie. Wer ist sozusagen der Ursprungserreger? Der, den Sie jetzt identifiziert haben, oder ist der von 770 sozusagen der Vater aller Pesterreger? Wie kann man die miteinander zusammenbringen? Was wissen Sie darüber?

    Krause: Die heutigen Pesterreger, die heute auch noch auf der Welt grassieren, in Amerika, in Asien und auch in Afrika, die gehen alle zurück auf die Pest aus dem Mittelalter. Das heißt, die Mittelalterpest ist sozusagen die Mutter der heutigen Pestvarianten. Wir haben keinen Peststamm heute, der bisher aus den ganzen Genomen untersucht wurde, der sich im Prinzip auf diese Justinianische Pest, die Pest im 6. Jahrhundert, zurückführen lässt. Allerdings muss man dazu sagen, es gibt im Moment nur ungefähr 20 Genome von heutigen Peststämmen, die untersucht wurden. Also, es ist nicht ausgeschlossen, dass es noch irgendwo auf der Welt Peststämme gibt, die vielleicht im Stammbaum zurückgehen auf diese justinianische Epoche. Aber alle, die bisher untersucht wurden, kann man zurückführen auf die mittelalterliche Pest. Es steht also sozusagen die Frage aus, ob die justinianische Pest durch einen Peststamm verursacht wurde, der vielleicht heute ausgestorben ist, oder bisher noch nicht gefunden wurde, oder vielleicht durch ein komplett anderes Pathogen, vielleicht war es gar nicht die Beulenpest, sondern vielleicht eine komplett andere Krankheit.