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Mutter aller Säugetiere

Paläontologie. - Mehr als 5000 Säugetierarten bevölkern derzeit die Erde, viele tausend weitere taten es in der Vergangenheit. Seit wann es diese enorm erfolgreiche Wirbeltierklasse gibt, ist allerdings unter Evolutionsbiologen heftig umstritten. Umstritten ist auch, wie das Tier ursprünglich aussah, das an der Wurzel dieser Entwicklung stand. Den höchstwahrscheinlichen Ursäuger präsentierten Wissenschaftler im Fachmagazin "Science".

Von Michael Stang | 08.02.2013
    Die Evolutionsbiologin Maureen O'Leary von der Stony Brook University im US-Bundesstaat New York wollte eine an sich einfache Frage beantworten, um die aber über Forschergenerationen hinweg gestritten wird. Haben die höheren Säugetiere, also jene, die weder einen Beutel haben noch Eier legen, schon während der Blütezeit der Dinosaurier gelebt oder haben sie sich erst entwickelt, nachdem die Urzeitriesen vor 65 Millionen Jahren ausgestorben sind?

    "Unsere Studie gibt darauf eine einfache Antwort. Wenn wir fragen, ob zur Zeit der Dinosaurier bereits Fledermäuse, Nagetiere und Primaten gelebt haben, sagen unsere Ergebnisse eindeutig: Nein."

    Um eine derart klare Aussage treffen zu können, haben Maureen O'Leary und ihr internationales Forscherteam ein Mammutprojekt gestemmt. Zunächst haben sich die Wissenschaftler mehr als 4500 äußerliche Merkmale der Säugetiere herausgesucht. Dazu zählten anatomische Besonderheiten wie der Aufbau des Skeletts, das Vorhandensein und die Funktion bestimmter Organe, aber auch Verhaltensmerkmale wie die Ernährung und die unterschiedlichen Fortpflanzungsmethoden.

    "Nachdem wir alle diese äußerlichen Daten beisammen hatten, haben wir diesen Datensatz mit Gendatenbanken kombiniert. Der Hintergedanke war, dass wir nur auf diese Weise tatsächlich ein umfassendes Bild bekommen können, um den Baum des Lebens skizzieren zu können."

    Heraus kam der Stammbaum der Säugetiere. Anhand der neuen Daten ist nicht nur klar, dass sich die höheren Säugetiere erst entwickelt haben, nachdem die Dinosaurier verschwunden sind. Sondern Maureen O'Leary konnte auch belegen, dass jene alte Theorie nicht stimmt, wonach die Kontinentaldrift für die Vielfalt und die weltweite Verbreitung der höheren Säugetiere verantwortlich war.

    "Wir konnten zeigen, dass bei der Entwicklung der Säuger die Kontinente schon grob in den Positionen waren, so wie wir das heute kennen, also dass sich Südamerika etwa schon von Afrika gelöst hatte. Die Teilung der Kontinente war bereits im Gange und hatte somit keinen großen Einfluss auf die Ausbreitung und Entwicklung der höheren Säugetiere, denn diese Spezialisierung passierte erst später, also erst nachdem die Erdteile schon auseinandergebrochen waren."

    Also blieb den neuen Ergebnissen zufolge den Säugetieren auch viel weniger Zeit für ihre breite Aufspaltung, nämlich weniger als 60 Millionen Jahre. Schon relativ kurze Zeit später hat sich diese große Vielfalt geradezu explosionsartig entwickelt: hin zu Primaten, Walen und Nagetieren. Um herauszufinden, wie letztendlich der Ursäuger ausgesehen hat, bedienten sich die Forscher der so genannten Optimierungsmethode. Dabei errechneten sie die Urform aller äußerlichen und innerlichen Merkmale, angefangen vom Uterus, über das Gebiss, Körperform und Körpergröße. Dieses Tier hat es nie in dieser Form gegeben, aber es verkörpert alle Ursprünge der höheren Säugetiere in einem einzigen Wesen, einer Urform von heute mehr als 5000 Arten, die auf der ganzen Welt verteilt leben.

    "Wir können nun also den Urahn aller heutigen Säugetiere skizzieren: Dabei handelt es sich um ein kleines Tier, das weniger als 245 Gramm auf die Waage bringt, und nicht annähernd so aussieht wie irgendeins der heute lebenden Tiere. Dieser Ursäuger hatte einen pelzigen Schwanz, seine Zähne waren in beiden Kiefern fast identisch, denn wir haben es mit einem Insektenfresser zu tun und er war hinsichtlich der Fortbewegung noch nicht spezialisiert."

    Und aus diesem winzigen Vierbeiner haben sich Blauwale, Giraffen, Eisbären, Hunde, Katzen, Mäuse und schließlich auch die Menschen entwickelt.