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"Mutter Krausens Fahrt ins Glück"

Als "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" 1929 ins Kino kam, wurde das sozial-realistische Werk gefeiert. Der Film über eine Arbeiterwitwe, die aus Verzweiflung über die aussichtslose finanzielle Notlage Selbstmord begeht, kombiniert erstmals eine fiktive Spielfilmhandlung mit den Mitteln des dokumentarischen Films.

Von Christian Berndt | 30.12.2009
    "Das sind Bilder von starker Intensität. Aber der Kulminationspunkt ist erreicht, als die Arbeiter marschieren. Wie Funken sprüht es da über, vom Vorderparkett zum Hinterparkett. Sie klatschen, sie rufen. In den ersten Spielwochen mussten in manchen Kinos Hunderte von Besuchern abgewiesen werden."

    Die Arbeiter in der Reichshauptstadt Berlin sind begeistert, ebenso wie der Kritiker der sozialistischen Tageszeitung "Welt am Abend". Damit hat der Film sein Zielpublikum erreicht. Mit dem Stummfilm "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" will Regisseur Phil Jutzi das Proletariat zum Kampf aufrütteln. Erzählt wird die Geschichte einer Arbeiterwitwe, die aus Verzweiflung über die aussichtslose finanzielle Notlage Selbstmord begeht: eine eindringliche Anklage gegen die sozialen Verhältnisse im Deutschland der 20er-Jahre. Trotz kommunistischer Arbeiteraufmärsche ist auch die bürgerliche Presse begeistert. Das "Berliner Tageblatt" schreibt:

    "Hier marschiert man zu den Takten der Internationalen. Hier wird demonstriert, dass das Wohnungselend die Menschen erniedrigt, verstört, entmenscht."

    "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" ist der erste deutsche Spielfilm, der die dokumentarische Schilderung von sozialer Realität mit einer Spielfilmhandlung verbindet. Und es ist der erste Spielfilm des Regisseurs Phil Jutzi. Seit Beginn der 20er-Jahre dreht er soziale Dokumentarfilme für die Internationale Arbeiterhilfe. Gegründet hat die Organisation der Sozialist Willi Münzenberg:

    "Die Internationale Arbeiterhilfe ist die große Weltorganisation der proletarischen Solidarität. In der IAH ist Raum und Möglichkeit für jeden, der ehrlich die schweren Leiden der Arbeiter lindern will und ihnen ihre endliche Freiheit erkämpft. Es lebe die proletarische Solidarität. Es lebe der proletarische Klassenkampf zur Verwirklichung des Sozialismus."

    1925 gründet Münzenberg die Produktionsgesellschaft Prometheus Film. Sie soll der marktbeherrschenden, konservativen Filmgesellschaft UFA eine linke Opposition entgegenstellen. Es gibt in der Weimarer Republik zwar kommerzielle Filme, die sich mit der sozialen Realität befassen, aber in ihnen erscheint proletarisches Elend als düsteres, unveränderbares Schicksal.

    Auch Jutzi schildert in "Mutter Krausens Fahrt ins Glück", den er 1929 für Prometheus Film dreht, schonungslos das Arbeiterelend. Aber zugleich zeigt er mit Volksfesten und sinnlicher Lebenslust auch positive Seiten des Proletarierlebens und vermittelt Hoffnung auf eine neue Generation: Ist Mutter Krause das Sinnbild des alten Proletariats, das sich gegen die Ungerechtigkeit nicht auflehnt, stellt ihre Tochter Erna als selbstbewusste, lebenslustige Frau einen modernen Typus dar. Der Film endet damit, dass sich Erna in eine kommunistische Demonstration einreiht. "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" wird nach der Premiere am 30. Dezember 1929 in Berlin zum Publikumserfolg und begründet das Genre des dokumentarischen Spielfilms. Allerdings wird mit der Wirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre die finanzielle Situation für die Filmgesellschaft kritisch. Der letzte Prometheus Film ist 1931 "Kuhle Wampe", für den Bertolt Brecht das Drehbuch schreibt. Auch hier geht es um den Selbstmord eines Proletariers - eines jungen Arbeitslosen, der sich aus dem Fenster stürzt. Aber anders als Jutzi setzt Drehbuchautor Brecht nicht auf Emotionen, sondern sarkastische Distanz.

    "Was habt ihr denn hier schon wieder angestellt?"

    "Aus dem Fenster gestürzt."

    "Und die Armbanduhr hat er vorher auf den Tisch gelegt."

    "Natürlich, die wäre hin gewesen vom vierten Stock herunter."

    "Ein Arbeitsloser weniger."

    "Kuhle Wampe" und "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" sind die Höhepunkte des sozialrealistischen deutschen Films. Der Erfolg ermöglicht Jutzi 1931, mit "Berlin Alexanderplatz" einen der bekanntesten Filme der Weimarer Republik zu drehen. Aber es ist sein letzter großer Erfolg, mehrere geplante Projekte für die Kommunistische Partei scheitern. Enttäuscht wendet er sich von der KPD ab, 1933 tritt er der NSDAP bei. "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" wird jetzt verboten. Damit ist endgültig eine produktive Phase des sozial-dokumentarischen Films beendet, die in ihrer sozialen Wucht und Wirkung bis heute unerreicht ist.