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Mutterland der Kopfpauschale

Schon dreimal haben die Eidgenossen in Volksabstimmungen "nein" zu einer Einheitskrankenkasse und einkommensabhängigen Kassenbeiträgen gesagt. Jetzt scheint sich das Blatt aber gewendet zu haben. Die sozialdemokratische Idee - die über 90 Schweizer Krankenkassen zu einer zu verschmelzen - genießt in Umfragen auf einmal eine unerwartete Popularität.

Von Pascal Lechler | 10.11.2009
    Der Grund sind die massiv steigenden Krankenkassenbeiträge. Der Stimmungswandel in der Bevölkerung sorgt bei der Gesundheitsexpertin der Schweizer Sozialdemokraten, Jacqueline Fehr, für Genugtuung:

    "Für mich bestätigt sich eine Annahme, die ich getroffen habe vor ein paar Jahren, nämlich, dass das Wettbewerbssystem in eine Grundversicherung nicht funktionieren kann und das früher oder später auch jene das einsehen werden, die bisher noch an den Wettbewerb geglaubt haben. Insofern ist das keine Überraschung aber es ist jetzt ein gute Situation und eine Klärung der Ausgangslage für ein neues Projekt zu einer Einheitskasse."

    Wie in Deutschland sind es vor allem die bürgerlichen Parteien, die Christdemokraten und die FDP, die auf Wettbewerb im Kassensystem setzen. Doch dieser Wettbewerb unter den über 90 Schweizer Versicherern beschränkt sich lediglich darauf, dass man über günstige Kassenbeiträge der Konkurrenz Junge und Gesunde abjagt. Der Wettbewerb ziele nicht darauf ab, die Leistungen für die Versicherten zu verbessern, sagen die Kritiker und sprechen von Pseudowettbewerb:

    "Insgesamt ziehen wir nach 13 Jahren, seit dieses System in Kraft ist die Bilanz, das alle Erwartungen, die man damit hatte, Kostenkontrolle, Qualitätssteigerung, innovative Versorgungsmodelle, all diese Erwartungen nicht erfüllt werden konnten."

    Hinzukommt, dass sich immer mehr Schweizer die sogenannten Kopfpauschalen also die vom Einkommen unabhängigen monatlichen Kassenbeiträge nicht mehr leisten können. Erhielt Mitte der 90er-Jahre nur jeder fünf Schweizer staatliche Zuschüsse zu seiner Krankenversicherung, ist es heute bereits jeder Dritte. Tendenz steigend. Im Schnitt zahlt ein Schweizer monatlich rund 250 Euro an Kassenbeiträgen. Hinzukommt eine jährliche Franchise, also ein Betrag X, der auf jeden Fall erst mal aus eigener Tasche bezahlt werden muss, bevor die Versicherung einspringt. Pro Arztbesuch wird der Versicherte dann noch zusätzlich mit einem bestimmten Prozentsatz an den Behandlungskosten beteiligt. Für den Präsidenten der Schweizer Ärztevereinigung FMH Jacques de Haller bringt das Schweizer System der Kopfpauschale inzwischen vor allem Familien an ihre Belastungsgrenze:

    "Ich glaube doch, das wir ziemlich bald, also innerhalb von wenigen Jahren werden wir ein anderes System einführen müssen, das noch zu diskutieren ist. Über die Finanzierung des Gesundheitswesens. Sei es mit Mehrwertsteuer, sei es mit Quellensteuer, oder was immer aber eine Lösung wird gefunden werden müssen."

    Auch bei der Interessenvertretung der Schweizer Krankenkassen, dem Verband Santé Suisse, beobachtet man die Steigerungen bei den Kopfprämien mit Sorgen. Wenn sich eine Mehrheit der Schweizer ihre Kassenbeiträge nicht mehr leisten könnten, dann müsse man sich die Frage stellen, ob es nicht effizientere Alternativen gebe zum jetzt gültigen, aufwendigen Umverteilungsapparat, sagt Santé Suisse Sprecher Paul Rhyn. Von einer Einheitskasse hält der Branchenverband der Krankenversicherer aber nichts:

    "Wir sind der Auffassung, dass ein Monopol weniger Druck hat, weil die Konkurrenz fehlt, und dementsprechend auch die Verwaltungskosten schneller höher steigen, als bei der Konkurrenz. Wir sind auch der Meinung, dass Tarifabschlüsse nicht mit der gleichen Konsequenz betrieben würden, als wenn das Wettbewerbe untereinander im Kampf um Marktanteile tun müssten."

    Die Schweizer Sozialdemokraten wollen in der nächsten Parlamentssitzung das Thema Einheitskasse wieder auf die Tagesordnung bringen. In einem zweiten Schritt sollen die Schweizer ein viertes Mal über die Einheitskasse abstimmen. Dann hoffen die Sozialdemokraten auf ein klares "Ja" der Eidgenossen zu ihrem Modell.