Donnerstag, 28. März 2024

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Myiasis in Deutschland
Maden unter der Haut

Sie heißen Lucilia sericata oder Oestrus ovis - Schmeißfliegen und Dasselfliegen dieser Arten sind eigentlich in warmen Regionen Zuhause. Forscher finden ihre Maden neuerdings immer häufiger auch in Deutschland - in und unter der Haut von lebenden Menschen.

Von Joachim Budde | 15.03.2019
Zur Wundheilung eingesetzte Maden liegen auf einer Mullbinde.
Maden suchen nach Gewebe, dass sie abbauen können. Während einige Arten für die Wundheilung genutzt werden, lösen andere Krankheiten aus. (picture-alliance/ dpa - CTK Igor Sefr)
Der Fall, von dem Dr. Jens Amendt berichtet, ist schon ziemlich schaurig:
"Dass eine ältere Dame, die orientierungslos ist, zu Hause ausgebüxt ist, nicht wieder aufgetaucht ist, und dann zwei, drei Tage später per Zufall von Arbeitern, die ein Bahngleis wieder in Ordnung gebracht haben, im Gebüsch liegend gefunden worden ist. Total unterkühlt. Und dann ins Krankenhaus gebracht worden ist, wo man gesehen hat, dass sie sowohl im Anal- als auch im Vaginalbereich mit Fliegenmaden befallen gewesen ist."
Fliegen der Art Lucilia sericata hatten ihren Nachwuchs dort deponiert. Das sind diese grün-metallisch glänzenden Schmeißfliegen.
"Ein, zwei Tage später, als ihre Verwandten an ihrem Bett gesessen haben und sie besucht haben – sie war immer noch nicht wirklich ansprechbar zu diesem Zeitpunkt – kamen sowohl aus dem Auge als auch aus der Nase Fliegenmaden. Das war natürlich für die Verwandten, die am Bett sitzen und ihre lebende Großmutter, Mutter angucken, natürlich ein extremes Erlebnis gewesen. "
Touristen häufig betroffen
Es sind die Schleimhäute in den Körperöffnungen, aber auch offene Wunden, die den Menschen für die Fliegen interessant machen, sagt der Insektenkundler vom Institut für Rechtsmedizin der Universität in Frankfurt am Main. Denn dort finden die Maden Gewebe, das sie leicht abbauen können. Fälle wie dieser werden im Fachjargon Myiasis genannt. Und sie sind gar nicht so selten – besonders bei Pflegebedürftigen oder bei Obdachlosen mit Wunden, die lange Zeit nicht behandelt wurden. Gesunde Menschen hingegen fangen sich solche Parasiten allenfalls auf Reisen ein.
"Was in den letzten drei, vier Jahren mir als Fall immer wieder mal untergekommen ist, dass Touristen in Italien zum Beispiel unterwegs gewesen sind, auf Sizilien, auf Sardinien unterwegs gewesen sind und dann belegt worden sind von Oestrus ovis. Diese Dasselfliege schießt ihre Eier normalerweise in die Nasenöffnungen ihrer Wirte, also in die Schafsnase, und die schlüpfenden Maden setzen sich fest, kriechen noch ein bisschen nach oben und entwickeln sich da fertig."
Nur chirurgisch zu entfernen
Beim Menschen können sie Entzündungen auslösen. Die Maden der südamerikanischen Hautdasselfliege Dermatobia hominis dagegen entwickeln sich unter der Haut des Menschen und lassen sich nur chirurgisch entfernen.
"Die Tiere an sich sind aber nicht wirklich ein großes Gesundheitsproblem, muss man auch ganz klar sagen. Wenn man zum Beispiel eine Schmeißfliege vergleicht, die eventuell, wenn man sie lässt, an einem Obdachlosen eventuell viele Hunderte Maden deponiert, dann sind diese fünf, sechs, sieben vielleicht Dermatobia-Individuen zu vernachlässigen."
Schaut man sich die Myiasis-Zahlen in der Gesundheitsstatistik an, sind die Fälle von Fliegenbefall beim Menschen immer noch selten. In den letzten Jahren meldeten Ärzte gerade einmal zwischen acht und 23 Fälle von Myiasis. Allerdings bekomme er in den letzten zwei, drei Jahren häufiger Anfragen von Hausärzten, Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen – mit der Bitte, Fliegenlarven zu identifizieren, sagt Jens Amendt. Dabei ist ihm etwas aufgefallen:
"Wenn ich mir die Zeiten angucke: Wann kriege ich diese Anfragen? Dann sind das die Jahreszeiten, in denen es extreme Hitzeperioden gibt, also es sehr schwül ist, sehr heiß ist, die Nächte auch entsprechend gar nicht mehr richtig wirklich kühl werden. Aber grundsätzlich ist es schwierig, solche Fallzahlen wirklich valide vernünftig zu begründen."
Dunkelziffer vermutlich höher
Der Experte für forensische Insektenkunde vermutet, dass es eine beträchtliche Dunkelziffer geben könnte. Weil Ärzte, die etwa aus einer offenen Wunde am Bein Fliegenmaden entfernen, lediglich die Wundbehandlung auf ihre Abrechnung schreiben, nicht aber den Madenbefall – taucht der in keiner Statistik auf. Um einen besseren Überblick zu bekommen, plädiert Jens Amendt dafür, die Myiasis-Zahlen systematischer zu erfassen.
"Weil ich glaube, dass es eine Möglichkeit wäre, frühzeitig vielleicht Arten zu finden bei uns, die bislang nicht vorgekommen sind. Es gibt definitiv Arten, die aus dem afrikanischen, asiatischen Bereich bei den Schmeißfliegen in Südeuropa schon langsam an die Tür klopfen. Und die sind schon ein bisschen grenzwertiger hinsichtlich ihrer Biologie."
Wenn mehr Ärzte sich genauer anschauten, welche Maden ihre Patienten befallen, ließen sich solche neuen, gefährlicheren Fliegenarten frühzeitig entdecken und bekämpfen.