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Mythen und Märchen der Entwicklungshilfe

Für das Entwicklungshelfer-Drama "Schlafkrankheit" wurde der Film von Ulrich Köhler mit einem Bären auf der Berlinale ausgezeichnet. Nun kommt er in die Kinos und befasst sich mit der Frage, was Europäer in Afrika verloren haben.

Von Josef Schnelle | 23.06.2011
    Die Schlafkrankheit ist eine in Afrika verbreitete tropische Infektion, die von der Tsetse-Fliege übertragen wird. Regisseur Ulrich Köhler benutzt diesen Begriff aber auch als Bezeichnung für den Gemütszustand der Hauptfigur seines Filmes und vielleicht auch als Metapher für die erfolglosen europäischen Hilfsprojekte im dunklen Kontinent. Ebbo und Vera leben seit 30 Jahren in verschiedenen afrikanischen Ländern und sind mit medizinischen Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft beschäftigt. Anfangs erleben wir eine Atmosphäre des Aufbruchs. Die Familie soll zurückkehren nach Deutschland. Insbesondere Vera fühlt sich zunehmend verloren, vermisst auch ihre Tochter, die in ein Internat geht. Ebbo allerdings ist hin und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach einer Familie in Deutschland und dem afrikanischen Abenteuer, an das er sich längst verloren hat. Der Film beginnt mit einer Szene, die fast ganz in die Dunkelheit getaucht ist. Auf der Landstraße vom Flughafen zum Wohnort. Die Tochter ist angekommen zu einem letzten Besuch vor der Abreise. Bald taucht aus dem Dunkel eine Straßenkontrolle auf. Gefährlich wirkende Soldaten stellen unbequeme Fragen:

    Hast du irgendwas dabei. Irgendeinen Ausweis?"
    "Meinen Schülerausweis."
    "Wo ist ihr Pass? Und? Kein Visum?"
    " Natürlich nicht. Wie denn auch. Da ist kein Platz für ein Visum."
    "Sie braucht ein Visum. Ohne Visum lass ich Sie nicht weiterfahren.
    " Das ist meine Tochter. Ich arbeite seit Jahren hier. "
    " Aber sie, was macht sie hier?
    "Sie besucht ihre Familie. Wir kommen vom Flughafen. Und ohne Visum kann man doch nicht einreisen."
    "Das ist doch albern. Ich schau jetzt mal im Kofferraum."
    " Lass mal, die wollen nur Geld. Die suchen sich dann was Anderes."


    Regisseur Ulrich Köhler, dessen Eltern als Modell für die Protagonisten herhalten könnten und der selbst viele Jahre in Zaire gelebt hat, verfilmte mit "Schlafkrankheit" auch Kindheitsfantasien, Mythen und Märchen. Eine besondere Rolle spielt die Dunkelheit, in der Köhler nur mit einer speziellen neuen Digitalkamera drehen konnte. In der Mitte des Films gibt es einen unerwarteten Zeitsprung. Auftritt von Alex, einem jungen Mediziner mit kongolesischen Wurzeln, der insbesondere das Projekt evaluieren soll. Er findet kaum Unterstützung und hegt bald den Verdacht, dass es sich dabei um eine betrügerische Lüge handeln könnte. Die Krankheit ist tatsächlich ausgerottet. Das Projekt besteht aber weiter. Die Hilfsgelder versickern in dunklen Kanälen. Alex bewegt sich buchstäblich in einer Dunkelwelt. Bis der Arzt auftaucht, dessen Arbeit er evaluieren soll. Es ist Ebbo, den wir schon im ersten Teil kennengelernt haben. Er ist offenbar zurück geblieben im Dschungel und hat sich eine vielköpfige afrikanische Familie zugelegt, die von den Hilfsgeldern zu leben scheint. Alex ist ratlos.

    "Ich weiß wirklich nicht, was ich in dem Bericht schreiben soll."
    "Die Epidemie ist unter Kontrolle, sonst wäre ich kein guter Arzt."
    "Warum wollten Sie diese Evaluierung?"
    "Ich wollte die Hilfsgelder. Fahren wir?"
    " Was würden Sie an meiner Stelle tun."
    " Alles stoppen: die Finanzierung, die Evaluierung und den Verantwortlichen würd' ich nach Europa zurückschicken. Ich weiß nicht, aber ungefähr so wird alles enden."


    Längst hat der Film seinen Ton gewechselt. Es ist nun eine Geschichte vom sich Verlieren in der Fremde. Der Dschungel lockt ebenso wie das ganz andere Leben, das die Europäer hier führen. Für diese Botschaften aus dem "Herzen der Finsternis" sind die spektakulären Aufnahmen im Dschungeldickicht mit ganz wenig Licht entscheidend und ein majestätisch auftretendes Nilpferd spielt unerwartet die wichtigste Rolle für die Geschichte des Films. Kann man in der lichtlosen Finsternis unter den Blättern des Dschungels einfach so verschwinden? Eine Diskussion am knisternden Lagerfeuer.

    "Ein wunderschöner Ort."
    "Ja, wunderschön."
    "Eine wunderschöne Scheiße, würdest du hier Urlaub machen?"
    "Fang nicht schon wieder damit an. Du findest doch Afrika viel besser als ich. Hier braucht alles seine Zeit."
    "Da hast du recht. Ich kenn Afrika und ich sag dir: wir stecken in der Scheiße."


    Mit "Schlafkrankheit" riskiert ein Regisseur der "Neue Berliner Schule" erstmals einen Blick über den Tellerrand deutscher Befindlichkeiten hinaus. Es ist ein Schritt in die Zukunft des deutschen Films.