Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Mythologie und Erotik

"Hurenbeschreibung" ist die wörtliche Übersetzung des griechischen Begriffs der Pornographie. Bis ins 19. Jahrhundert war damit noch die Darstellung der Prostitution gemeint. Die "Darstellung sexueller Handlungen unter einseitiger Betonung des genitalen Bereichs", wie es im Lexikon heißt, kam erst später als Bedeutung hinzu. Die Tatsache ist natürlich älter und nicht immer von der erotischen Darstellung zu unterscheiden. Wie sich die Kunst über Jahrhunderte dazu verhielt, zeigt die Ausstellung "Mythologia et Erotica" im Palazzo Pitti in Florenz.

Von Thomas Migge | 07.10.2005
    Sie liegt bequem auf einer Art Sofa ausgestreckt. Ihr Kopf ruht auf dem rechten Unterarm. Sie scheint zu schlafen. Erst bei genauerem Hinsehen fällt dem Betrachter auf, dass die Skulptur aus weißem Marmor nicht nur über einen erotisch gerundeten Po, über zarte Schultern und eine weibliche Frisur verfügt, sondern auch über ein männliches Geschlechtsteil. Die Skulptur aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert zeigt einen Hermaphrodit, den verführerisch schönen Sohn des Gottes Hermes und der Aphrodite. Als eine Quellnymphe ihm keine Gegenliebe fand, wurde sie, als Hermaphrodit in ihrer Quelle badete, auf ihren Wunsch mit ihm zu einem zweigeschlechtlichen Wesen vereinigt. Die Hellenen und vor allem die Römer mochten androgyne Wesen. Sie galten als erotische Symbole. Der Kunsthistoriker Claudio Strinuti schließt deshalb nicht aus, dass dieses Meisterwerk der antiken Kunst in der Villa eines reichen Lüstlings gestanden haben könnte:

    "Wenn wir uns die Kunstgeschichte anschauen, finden wir zahllose erotische und auch pornographische Bezüge. In unseren Museen werden in der Regel nur jene Kunstwerke der Antike gezeigt, die nur indirekt auf erotische Inhalte verweisen. Dabei ist das Sujet Eros in der Kunst ein weites Feld. Das war in der Antike und in der Renaissance nicht anders als heute."

    Die Ausstellung "Mythologica et Erotica" im Palazzo Pitti in Florenz will eine Lücke schließen: sie will das gesamte Spektrum der Erotik und der Pornographie in den Künsten vorstellen. Von der römischen Antike bis ins 18. Jahrhundert - in dem es nicht nur bei Lebemännern wie Casanova als letzter Schrei galt, Taschenuhren mit pornographischen Motiven zu tragen. Eine solche Uhr ist in der Florentiner Ausstellung zu sehen. Klappt man das goldene Gehäuse auf ist, im Uhrdeckel, eine recht realistische Darstellung eines Geschlechtsakts en miniatur zu sehen.

    Die Ausstellung beginnt gleich ganz neckisch: in einem Alkoven. Nachgebaut wurde ein Renaissanceschlafzimmer mit Gemälden und Graphiken und Alltagsgegenständen, die allesamt erotische wie auch pornographische Bezüge haben. Nach diesem Einstieg in das Thema folgen in verschiedenen Sektionen die Entwicklungsstadien erotischer und pornographischer Kunst von der Antike bis zum Barock. Dabei wird deutlich, erklärt Claudio Strinati, dass sich die Reichen und Mächtigen seit den alten Griechen immer wieder der antiken Götter bedienten, um ihre eigenen Gelüste künstlerisch zu kompensieren:

    "Auch wenn wir es mit verschiedenen Mentalitäten verschiedener Völker zu tun haben: immer wieder tauchen Zeus und die anderen Götter des griechischen Olymp auf, deren sexuelle Betätigungen stilvoll dargestellt werden. Bei den Römern in Form von Skulpturen und Fresken. In Florenz sind zum Beispiel Fresken aus Pompeji zu sehen, die antike Götter beim Analverkehr zeigen. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Götterbezug durch die Kunstgeschichte."

    Vor allem seit der Renaissance. Die Ausstellung zeigt viele Beispiele der neuzeitlichen Rezeption des antiken Erotikkultes. Zum Beispiel das Gemälde "Die drei Grazien" von Rubens. Zu sehen sind drei vollschlanke nackte Damen, die lesbischen Vergnügungen nicht abgeneigt zu sein scheinen. Simone Peterzano malte um 1540 ein Gemälde, dass Venus darstellt, die von zwei wollüstigen Satyren und Cupido, dem römischen Liebesgott, bedrängt wird.

    Der Mensch der Renaissance, das macht die Ausstellung deutlich, scheint in der Antike eine Art großes Bordell gesehen zu haben, in dem jeder seinen Gelüsten nachgehen konnte - ohne von der damals noch nicht dominierenden christlichen Sexualmoral mit dem Sündenbewusstsein und der Androhung fürchterlicher Höllenqualen gepeinigt zu werden. Der frühbarocke Maler Paolo Fiammingo nannte die Antike deshalb "Das goldene Zeitalter". Auf einem seiner Bilder stellt er dieses Zeitalter in aller Deutlichkeit dar: nackte Männer und Frauen lieben sich in einer bukolischen Landschaft.
    Claudio Strinati:

    "Es war nur logisch, dass mit der Wiederentdeckung des antiken Denkens auch das Interesse an der antiken Sexualmoral einherging. Eine Sexualmoral so ganz ohne religiöse Korrekturmechanismen. Im Gegenteil. In der Ausstellung ist ein erigierter Marmorpenis, einen Meter hoch, zu sehen. Ein öffentliches Fruchtbarkeitssymbol der Antike. Soweit ging die neuzeitliche Kunst nicht: solche eindeutigen pornographischen Symbole waren in der Renaissance nur im Privaten zu sehen. "

    Wie zum Beispiel jene kleinen Bronzeskulpturen und Gemmen, Fayenceteller und Zeichnungen, die neckische und auch eindeutig pornographische Darstellungen menschlicher Sexualität zeigen. Sind sie doch der Nachweis dafür, dass, um es mit Goethes "Tasso" zu sagen, erlaubt ist, was gefällt. Damals wie heute.