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Mythos Antifaschismus in der DDR
Entnazifizierung nur im Schnelldurchlauf

AfD -und Pegida-Anhänger tragen bei Demonstrationen Plakate, die aufmerken lassen: "Merkel weg, Putin hilf" steht darauf. Dass es ausgerechnet ein Präsident eines autokratischen Systems richten soll, hat auch etwas mit einem jahrzehntelang verfälschten Geschichtsbild in der DDR zu tun, dem von oben verordneten Antifaschismus, der in der DDR angeblich lupenrein war.

Von Sabine Adler | 03.02.2016
    Marko Max Feingold, 102 Jahre alt, vor der Synagoge Salzburg
    Marko Max Feingold, 102 Jahre alt, vor der Synagoge Salzburg (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald hielt der Ex-Häftling Marko Max Feingold eine Rede, im Alter von 102 Jahren. Frei, ohne Blatt, ohne Stock. Sichtbar aufgewühlt.
    "70 Jahre habe ich gelitten unter der Lüge, die Häftlinge von Buchenwald hätten sich selbst befreit. Es ist kein Schuss geschehen. Das wäre ja auch nicht möglich. Auf wen hätten wir schießen sollen? Ab vormittags um halb elf gab es ja gar keine SS mehr hier. Weder auf den Türmen, noch im Lager."
    Der über hundertjährige Jude aus Wien kämpft für die Wahrheit. Bis 1938 war Marko Feingold sein Judentum wenig bewusst. In Buchenwald war er nur noch Jude, Häftling, eine Nummer. Noch wichtiger aber wurde, was er nicht war: Kommunist. Die fehlende Gesinnung erwies sich als lebensbedrohlich.
    "Wenn einer die Macht hatte, spielten die Kommunisten sie aus. Wurden die Kommunisten vorgezogen. Und kein Feingold. Feingold war überhaupt ein Dorn im Auge. Auch auf dem Block. Man hat mich dargestellt, als ob ich vorher ein Großunternehmer, ein Industrieller gewesen wäre. Wer einmal ein Krösus war, ist jetzt ein Niemand."
    Arbeitslos und gerade mal 20 hatte er seine Heimatstadt Wien verlassen und sich als Vertreter in Italien durchgeschlagen. Anfangs mühsam. Später lief das Geschäft wie geschmiert, als er in Hotels und an Hausfrauen Bohnerwachs verkaufte. Ein Glücksgriff. "Natürlich muss ich sagen. Das war Bohnerwachs. Mit einer Spritze aufgetragen: ein wundervoller Glanz. Mit dem sind wir reich geworden."
    Unter den Kommunisten im Lager waren Mörder
    Den fetten acht Jahren folgten sieben entsetzliche, die meisten verbrachte er in Buchenwald.Dort traf er den Schriftsteller Bruno Apitz. Was der später in seinem Buch schrieb, "Nackt unter Wölfen", hat Marko Feingold so nicht erlebt. Kaum etwas in dem gefeierten Heldenepos entspricht der Wahrheit, sagt Ines Geipel, die in ihrem neuen Buch "Gesperrte Ablage" Apitz porträtiert. "Verschwiegen wird das systematische Töten durch die Kommunisten im Lager durch Phenolspritzen oder durch Luftspritzen oder Spritzen mit Erreger-Bakterien."
    Auch der Wiener Jude Marko Feingold ist diesem sogenannten Abspritzen begegnet. "Ich erinnere mich an drei Häftlinge, drei Juden, die Maurer geworden sind und irgendwann vorzeitig Schluss gemacht haben. Und ein SS-Mann kommt herein und schreibt alle drei auf. Der Scharführer Spät war das. Der besteht darauf, dass man die drei abspritzt."
    Einer dieser Täter hieß Helmut Thiemann. In einem internen Bericht für die Partei schrieb Helmut Thiemann nach Kriegsende: "Im Lager hatten wir eine Zeit lang circa tausend freiwillige Wlassow-Leute. (...) Die russischen Genossen verlangten von uns die Beseitigung derselben. Wir konnten ungefähr 176 Mann vernichten."
    Die Dunkelziffer in Buchenwald und anderen Lagern dürfte weit höher sein. Unter den Kommunisten in Buchenwald befanden sich demnach Mörder.
    "Ich meine, worüber sprechen wir? Wir sprechen über ein Konzentrationslager. Und das ist klar, dass wenn es die Möglichkeit gegeben hat zu überleben, dann wird man das natürlich versucht haben. Und insofern war die Lagerorganisation der Kommunisten unwahrscheinlich effektiv. Wenn man weiß, es gibt 56.000 Tote und 72 davon waren Kommunisten."
    Dass sich ehemalige KZ-Häftlinge schuldig gemacht und kollaboriert hatten, war für Exil- Kommunisten wie Walter Ulbricht eine überaus wertvolle Information. Die sogenannten Moskauer hatten den Krieg in der Sowjetunion abgewartet und waren nicht gewillt, die Macht den angeblich moralisch überlegenen Widerständlern der Lager zu überlassen. "Pieck und Ulbricht wussten davon."
    Entnazifizierung im Schnelldurchlauf
    Doch nicht nur die belasteten Kommunisten waren erpressbar. Die Mitläufer und Täter, von denen es weitaus mehr gab, hatte die Parteiführung in der Hand. Ende der 50er-Jahre hatte die DDR ihre Entnazifizierung bereits lange hinter sich. Dank eines Schnelldurchlaufs. Der Geschichtswissenschaftler Rüdiger Bergien: "Das waren Schnellprozesse, wo im stalinistischen Stil, ohne weitergehende Zeugenvernehmungen, mit erpressten Geständnissen verurteilt wurde. Also man evaluierte nicht genau, inwiefern war die Person Mitglied eines Erschießungskommandos oder hat verbrecherische Befehle gegeben."
    Das schematische Verständnis von Faschist und Antifaschist hat bis heute überlebt. Wenn die ukrainische Bürgerbewegung auf dem Maidan von Russlands Führung als Faschisten verunglimpft wird, regt das in Osteuropa kaum jemanden auf. Doch russische Propagandaprofis haben gelernt, dass in Westeuropa ein politischer Akteur kaum effektiver diskreditiert werden kann. In Deutschland machen sich vor allem jene diese Lesart zu eigen, die von der demokratischen Gesellschaft als Ganzes wenig halten, immer noch auf starke Führer setzen. Ines Geipel verweist auf Plakate bei Pegida-Demonstrationen, auf denen steht "Putin hilf" - ein Indiz für die Nähe von Rechtspopulisten zur Moskauer Führung.
    "Man sieht daran heute, wie die AfD heute diese Putin-Lüge benutzt. Wir wissen, wie der Osten dahingehend tickt. Wir wissen, was in Dresden auf den Pegida-Demonstrationen in Sachen Putin gesagt wird. Deswegen ist es so wichtig, wie wenig Aufarbeitung da geschafft ist."