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Mythos Fremdenlegion (5/5)
Tod und Verwundung

Mehr als 40.000 Ausländer haben seit der Gründung der Fremdenlegion 1831 für Frankreich ihr Leben gelassen. Die Gefallenen zu ehren, die Verletzten nicht einfach sich selbst zu überlassen, das gehört zu den großen Versprechen der Legion. Sie musste allerdings auch hier dazu lernen.

Von Gerwald Herter | 19.07.2019
Legionäre der Fremdenlegion üben am Stützpunkt in Aubagne
Kein Einsatz ohne Gefahr: Die Legionäre sind jederzeit für eine Auslandsmission bereit (Deutschlandradio / Gerwald Herter)
Hat Mariusz Nowakowski bei allem Unglück doch noch Glück gehabt? Der polnische Veteran hat das viele Jahre selbst nicht so optimistisch sehen können. Vielleicht besteht sein wahres Glück darin, dass er seine Sichtweise ändern konnte.
Jeden Morgen, wenn er zur Arbeit kommt, parkt der 51-jährige Mann seinen Wagen auf dem Gelände der Fremdenlegion in Aubagne. Er stützt sich auf seine Krücken und kommt die Treppe hinauf. Mariusz Nowakowski hat nur noch ein Bein, das linke fehlt ihm. In seinem Büro steht deshalb immer ein Rollstuhl bereit. Er setzt sich und beginnt langsam, seine Geschichte zu erzählen:
"Das geschah im Jugoslawienkrieg, in Bosnien, 1993."
Der polnische Veteran Mariusz Nowakowski sitz in einem Rollstuhl in seinem Büro
Der polnische Veteran Mariusz Nowakowski arbeitet heute als Zivilangestellter der Legion (Deutschlandradio /Gerwald Herter)
Der Krieg in Bosnien war etwas anderes
Fallschirmjäger der französischen Fremdenlegion sicherten den Flughafen von Sarajevo. Sie gehörten zu der UN-Truppen, denen die bosnischen Serben den Flughafen unter Bedingungen überlassen hatten. Weder Waffen, noch Munition, so schildert es Mariusz, durften den Airport passieren. Er und die anderen Fremdenlegionäre sollten das sicherstellen. Ihr Mandat war begrenzt und damit auch ihre Möglichkeiten, in den Konflikt einzugreifen:
"Wir waren Blauhelme. Wir haben gesehen, wie die Leute sich gegenseitig umbrachten. Zivilisten und Soldaten - mache hatten nur eine Uniformjacke an und eine Kalaschnikow. Traurig anzusehen."
Es war nicht sein erster Einsatz. Schon während des Golfkriegs 1991 war er im Tschad gewesen. Doch der Krieg in Bosnien war etwas anderes:
"Wenn Du nie einen Toten gesehen hast… ja, vielleicht einen Soldaten, aber das waren Zivilisten… junge Mädchen, das ist was ganz anderes. Das hat mich erschüttert, so etwas zu sehen."
Granatsplitter zerfetzten sein Bein
So schrecklich das war, bei diesen Erfahrungen sollte es nicht bleiben, für den polnischen Fremdenlegionär Mariusz Nowakowski, der damals erst 25 Jahre alt war. Im Februar 1993 geriet er mit seiner Einheit direkt am Flughafen unter Mörserbeschuss. Die Einschläge kamen näher, nach vorne suchte Mariusz Nowakowski Deckung, dann aber schlug eine Granate auf der anderen Seite ein - Treffer, die Splitter zerfetzten sein linkes Bein. An viel kann er sich nicht mehr erinnern, aber doch an einen seiner Kameraden:
"Er hat ihn überall erwischt, auch im Gesicht, er war aber lebendig. Ich wurde schnell ohnmächtig, wegen des Blutverlusts."
In diesem Moment glaubt Mariusz, dass er stirbt, dass das das Ende ist:
"Ah, oui, on a croit que c'est la fin."
Im Krankenhaus erinnerte er sich langsam wieder daran, was passiert war.
Einschusslöcher vom Bürgerkrieg an einem Haus in Sarajevo
Als Blauhelm-Soldat sah Mariusz Nowakowski wie sich Menschen in Sarajevo gegenseitig umbrachten (imago / Hoch Zwei Stock / Angerer)
In Sarajevo hatte Mariusz Glück, weil einer seiner Kameraden die richtige Vene fand und zudrückte, sonst wäre er sofort verblutet, schildert er an diesem Tag in Aubagne, am Sitz der französischen Fremdenlegion.
Fremdenlegionären steht französische Staatsbürgerschaft zu
Und Glück hatte Nowakowski nach seiner Verletzung ein weiteres Mal: Francois Léotard, damals französischer Verteidigungsminister, besuchte ihn im Krankenhaus. Mariusz Nowakowski sagt dem Minister, dass er weder Geld noch Auszeichnungen wolle, er habe nur die eine Bitte, Franzose zu werden. Das steht Fremdenlegionären zwar zu, aber erst nach einer gewissen Dienstzeit und die hatte der Pole noch nicht hinter sich.
Es dauerte Jahre, bis sich sein Wunsch erfüllen sollte. Im Dezember 1999 beschloss die französische Nationalversammlung ein Gesetz, mit dem Mariusz und andere verletzte Kameraden französische Staatsbürger wurden. In den ersten Jahren fehlte ihm aber noch etwas anders: psychologische Betreuung.
"Non, à l’époque ca n'existait pas".
Die gab es damals einfach nicht.
"Psychisch konnte ich mich einfach nicht mehr sammeln. Erst nach einiger Zeit habe ich meine Behinderung akzeptieren können."
Ehrungen am Tag der Verletzten
Wichtig sei es gewesen, wieder unter die Leute zu kommen, sagt Marius Nowakowski und ebenso wichtig, darauf vorbereitet zu werden:
"Es ist gut, wenn ihnen jemand erklärt auf welche Ressentiments sie stoßen. Oder, dass man ihnen sagt, wenn Leute sie komisch anschauen, denn bei mir sieht man das ja – wenn Kinder, mit dem Finger auf sie zeigen, Witze machen, dass sie dann nicht aggressiv werden oder sich ärgern."
Emblem der Fallschirmspringer der Fremdenlegion an einem grünen Barrett 
Für die Invaliden werden regelmäßig Spenden gesammelt (dpa)
Der Umgang mit psychischen Verletzten fiel der Fremdenlegion also kaum weniger schwer als anderen Armeen. Dabei tut sie einiges für ihre Invaliden. Einmal jährlich werden sie an einem "Tag der Verletzten" geehrt. Dabei werden Spendengelder gesammelt, die zur Betreuung und Versorgung der Invaliden genutzt werden. Ein spezielles Heim in Puyloubier wird durch solche Spenden und Beiträge der Legionäre finanziert und auch mit den Erlösen der Legionärszeitschrift "Képi Blanc". Für das Blatt arbeitet Mariusz Nowakowski inzwischen. Er ist nicht mehr Legionär, sondern Zivilangestellter der Legion – und Franzose:
"Das ist mit Verantwortung verbunden: Buchhaltung, Verwaltung der Adressen. Man hat keine Zeit über sich zu weinen, über seine Behinderung."
Dieser Beitrag wurde erstmals gesendet am 6. Juli 2018.