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Mythos Redemacht
Das Publikum will unterworfen werden

Das Reden ist nicht ganz aus der Mode gekommen, findet der Kölner Germanist Karl-Heinz Göttert. Auftritte von US-Präsident Barack Obama in seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf haben ihn inspiriert, eine Geschichte der Rhetorik zu schreiben. Göttert sagte im DLF, mit guten Reden gelinge es Menschen, ihr Publikum zu unterwerfen.

Karl-Heinz Göttert im Gespräch mit Michael Köhler | 08.02.2015
    Schon im Wahlkampf Barack Obamas um das Amt des US-Präsidenten hat Karl-Heinz Göttert regelmäßig vor dem Fernseher gesessen, und bei ihm entstand der Eindruck: "Das ist doch ein Redner" - wo er vorher geglaubt habe, die große Rede sei ganz aus der Mode gekommen.
    Er verfolgt in seinem neuen Buch "Mythos Redemacht – Eine andere Geschichte der Rhetorik" die fixe Idee von Macht und Unterwerfung mit Mitteln der Kunst. "Wenn man das so ausspricht, dann zuckt man zusammen", sagte Göttert im Deutschlandfunk.
    Anders als ein Wissenschaftler, der nüchtern seine Forschung betreibe und die Ergebnisse vorlege, komme es bei einem Redner darauf an, dass dieser sein Publikum beeindrucke - oder, wenn man das ein bisschen interessanter formuliere - unterwerfe. "Das Interessante ist nicht das Unterwerfen, sondern das sich unterwerfen lassen oder unterworfen werden wollen", so Göttert. Das Publikum bei großen Reden merke, dass es begeistert sei und mitgehe und bereit sei, einem solchen Redner zu folgen.
    Redemacht ist nur ein Mythos
    Göttert findet, es herrsche der Glaube, dass es Menschen gebe, die über die Macht der Rede verfügten und damit auch Erfolg hätten. Es werde aber zu wenig gesehen, dass dahinter eine Technik stehe - oder anders gesagt eine Kunst, die aber erlernt werden könne.
    Als Beispiele für perfekte Redner nennt Göttert unter anderem den soeben verstorbenen Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Er habe ebenso wie der antike Staatsmann Perikles eine hohe Art von Redekunst gezeigt. Bei beiden sei charakteristisch, dass sie das, was sie gesagt hätten, auf sehr kunstvolle Weise und hohem Niveau gesagt hätten. Wenn man etwa mit einem Paradox beginne, spitzten alle die Ohren. Das Publikum sei von sprachlicher Kunst beeindrucke und sage sich dann: "Solch Intellektualität kann jetzt nicht einfach mit Dummheit gepaart sein, sondern diese sprachliche Intellektualität muss auch sachliche Intellektualität haben."
    Kurt Schumacher als Nazi?
    Dass heute bei Reden nicht mehr gebrüllt werde, liegt nach Ansicht Götterts an den Nazis, die dieses Stilmittel in Verruf gebracht hätten. Er berichtet von einem Beispiel aus der Nachkriegszeit, als sich englische Studenten eine Rede des SPD-Politikers Kurt Schumacher angehört hätten. Sie hätten anschließend gefragt, ob Schumacher auch ein Nazi sei - weil er gebrüllt habe.
    Bibliograpische Angaben:
    Karl-Heinz Göttert: Mythos Redemacht. Eine andere Geschichte der Rhetorik. S. Fischer Verlag