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Artenschutzkonferenz
Die Folgen des Insektensterbens

In Deutschland sinkt die Zahl der Insekten kontinuierlich - mit drastischen Folgen für Natur und Wirtschaft. Auf der 6. Grünen Artenschutzkonferenz haben Wissenschaftler, Politiker und Bürger deshalb mehr Aufklärung über den Artenrückgang und weniger Einsatz von Pestiziden gefordert.

Von Annette Eversberg | 19.03.2018
    Ein Schmetterling auf einer Blüte
    Ein Schmetterling auf einer Blüte: Der Bestand fliegender Insekten in Deutschland ist dramatisch geschrumpft (imago / Winfried Rothermel)
    In einem Punkt konnten sich die Teilnehmer der 6. Grünen Artenschutzkonferenz schnell verständigen: Das Insektensterben ist keine Laune der Natur, sondern von Menschen gemacht. Auch der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband sieht einen Anteil der Landwirtschaft. Auf dem Spiel steht eine beispiellose Artenvielfalt, sagt Wolfgang Wägele, Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander König in Bonn.
    "Die Insekten, die stellen auf unserem Planeten überall den größten Anteil der Tierarten. Hier für Mitteleuropa können wir davon ausgehen, dass wir zwischen 70 und 80 Prozent der Insekten verloren haben, überall, wo es Landwirtschaft in Verbindung mit Schutzgebieten gibt. In den Alpen, in höheren Lagen, mag das etwas besser sein. Die Österreicher melden aber auch, dass in Österreich ein großer Teil der Schmetterlinge verschwunden ist auch in Höhenlagen. Und das ist schon bedenklich."
    Viele Insektenarten sind Bestäuber
    Nicht nur Bienen, auch Fliegen, Käfer, Wespen und Motten werden gebraucht, um Pflanzen in der Natur und auch in der Landwirtschaft zu bestäuben. 230 bis 570 Milliarden Dollar sind ihre Leistungen – Schätzungen zufolge – weltweit wert. Der Verlust der Artenvielfalt verläuft teilweise schleichend. In Bayern sind bei den Schmetterlingen schon 400 Arten und bei den Tagfaltern 46 Arten ganz verschwunden.
    Für den BUND ist das nicht so sehr ein Verlust in Heller und Pfennig. Es ist ein Verlust an Natur. Dazu tragen nicht nur die Pestizide wie Glyphosat und die Neonikotinoide bei. Auch die Struktur der Agrarlandschaft, in der Naturschutzgebiete wie viele kleine Parzellen erscheinen. Jörg Nitsch:
    "Früher waren die Felder kleiner, es gab viel mehr Hecken, Feldgehölze, auch mal eine brachliegende Fläche. In ganz vielen Bereichen sind die sogenannten Wegraine verloren gegangen, die sind unter den Pflug genommen worden, obwohl sie eigentlich den Kommunen gehören. Und dort könnten Blütenstreifen wachsen, da sind wir als Verband auch dran, dass das angegangen wird, um eben Insekten, aber auch den ganzen anderen Tieren, die von Insekten leben, in der freien Agrarlandschaft wieder eine Lebensgrundlage zu verschaffen."
    Über die Kosten für diese Leistung, die auch von der Landwirtschaft zu erbringen ist, wurde heftig diskutiert. Auch im Hinblick auf die Bewertung von Umweltleistungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Ob eine ökologische Landwirtschaft allein eine Lösung sein könnte, beantwortete der Landschaftsökologe an der Universität Münster, Christoph Scherber, allerdings so.
    "Der ökologische Landbau fördert nachweislich die Biodiversität und die Insekten. Aber auch nur dann wenn die Landschaft reichhaltig ist, das heißt, wenn wir eine 100-Hektar-Fläche haben, Ökolandbau nach EU-Bioverordnung, dann bringt uns das relativ wenig. Auch hier müssen wir schauen, dass Feldgehölze stehen bleiben, und dass insgesamt eine Vielfalt in der Landschaft ist."
    Schnelles Handeln auf allen Ebenen
    Gehandelt werden muss nach Auffassung der Teilnehmer der Münsteraner Artenschutztagung möglichst schnell, auch seitens der Bundesregierung.
    In ihrem "Münsteraner Aufruf zur Rettung der Artenvielfalt" forderten sie unter anderem die Aufklärung der Öffentlichkeit über den Artenrückgang, die Rückkehr des Themas Biodiversität in die Curricula der Schulen, die Begrenzung der Flächenversiegelung, das Verbot des Pestizideinsatzes in Schutzgebieten, den es noch immer gibt. Wolfgang Wägele:
    "Es ist unbedingt nötig, dass wertvolle Streuobstwiesen beispielsweise erhalten werden. Wir müssen auch den Einsatz von Pestiziden auf Grünflächen, die in öffentlicher Hand sind und das häufige Mähen von Wiesen in Stadtgebieten reduzieren. Da gibt es schon sehr Vieles, was nicht viel kostet und wahrscheinlich schon Geld spart, wenn man an Personaleinsätze denkt, was den Insekten helfen könnte."
    Für die Erforschung der genauen Ursachen des Insektensterbens sind nach Meinung der Wissenschaftler aber noch größere finanzielle Anstrengungen erforderlich. Wolfgang Wägele vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander König forderte, ein zentrales Institut zur Erforschung der Biodiversität einzurichten. Andere Länder - so Christoph Scherber von der Universität Münster – sind da schon viel weiter.
    "Es hätte schon längst so ein Forschungszentrum geben müssen. Wenn wir nach Österreich und in die Schweiz gucken, haben wir hier ein deutlich besseres Biodiversitäts-Monitoring. Und hier müssen wir auf jeden Fall dringend aufholen."