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Nach Ausschreitungen beim G20-Gipfel
Streit um Kennzeichnungspflicht für Hamburgs Polizisten

In acht von sechzehn Bundesländern müssen Polizeibeamtinnen und –beamten eine Kennzeichnung an der Uniform tragen. Nicht so in Hamburg, doch gerade dort ist die Polizei nach dem G20-Desaster in die Kritik geraten.

Von Axel Schröder | 14.12.2017
    Die Gruppe von Polizisten steht im Dunkeln in voller Kampfmonitur mit Schildern neben einem Wasserwerfer.
    Derzeit laufen in Hamburg 115 Verfahren gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem G20-Einsatz. (Bodo Marks / dpa)
    Steine und Flaschen fliegen auf Polizeihundertschaften, Barrikaden werden angezündet, Läden geplündert. Das Netz ist voll von Handyvideos, die die Heftigkeit der Ausschreitungen rund um den G-20-Gipfel in Hamburg dokumentieren.
    Zu sehen sind auf diesen Aufnahmen aus dem Juli dieses Jahres aber auch Szenen, in denen Polizeikräfte zuschlagen, Pfefferspray auf Unbeteiligte und Journalisten spritzen, auf am Boden liegende Menschen einschlagen.
    Für Christiane Schneider von der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft haben die Zusammenstöße am Rand des G20-Gipfel wieder einmal klargemacht: Auch die Hamburger Polizeikräfte sollten eine eindeutige Kennzeichnung auf ihren Uniformen tragen:
    "Das zeigt: Das Problem ist vorhanden. Das ist latent die ganze Zeit vorhanden. Es ist bei jeder Demonstration, wo es zu Auseinandersetzungen kommt, vorhanden und im Zusammenhang mit G20 gab es natürlich eine Menge Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden oder auch zwischen Polizei und Menschen, die Brände gelegt haben, Gewalt ausgeübt haben und Unbeteiligten!"
    Gewerkschaften laufen Sturm
    Ginge es nach Christiane Schneider, sollten vor allem Hamburger Bereitschaftspolizisten bei Großeinsätzen, bei der Absicherung von Fußballspielen oder Demonstrationen eine Kennung tragen. Nicht den Klarnamen, aber eine Nummernfolge, die nur die Polizei selbst entschlüsseln kann. Gespräche über eine solche Kennzeichnungspflicht sind zwar auch im Koalitionsvertrag des in Hamburg regierenden rot-grünen Senats festgeschrieben. Aber es gibt viel Gegenwind für ein solches Projekt. Die schärfsten Gegner dieser Kennzeichnung, die mittlerweile schon in acht Bundesländern gilt, sind die Gewerkschaften: Die Deutsche Polizeigewerkschaft und die Gewerkschaft der Polizei laufen Sturm dagegen. Warum, erklärt der Hamburger GdP-Chef Gerhard Kirsch:
    "Es fehlt für mich die sachliche Grundlage. Denn es gibt keinen Kollegen, dem irgendetwas vorgeworfen wurde, der bis jetzt nicht ermittelt werden konnte. Das ist für mich, wenn es so käme, das staatsgewordene Misstrauen gegenüber der Polizei."
    Für Ermittlungen gegen Polizisten ist in Hamburg das so genannte Dezernat interne Ermittlungen zuständig, angesiedelt bei der Innenbehörde. Derzeit laufen dort 115 Verfahren gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem G20-Einsatz. Jahr für Jahr wird in rund 170 Fällen wegen des Vorwurfs der "Körperverletzung im Amt" ermittelt. Aber das sei kein Grund für eine Kennzeichnungspflicht, betont Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer:
    "Unser internes Dezernat sagt, im Alltag habe man die Probleme nicht mit der Identifizierung. Also ich brauche diese Kennzeichnungspflicht nicht, kann aber verstehen, wenn man sie diskutiert, und würde mich dem auch offen stellen."
    Polizisten laufen in Hamburg im Schanzenviertel an einer brennenden Barrikade vor der Roten Flora entlang.
    Am Vorabend des G20-Gipfels kam es in Teilen Hamburgs zu Ausschreitungen (Axel Heimken/dpa)
    Längst nicht alle Fälle werden angezeigt
    In die Diskussion über die Kennzeichnungspflicht mischt sich auch Rafael Behr ein. Er war früher selbst als Polizist bei Großeinsätzen dabei. Heute lehrt er als Professor an der Hamburger Polizeiakademie. Behr geht davon aus, dass längst nicht alle Polizeiübergriffe auch angezeigt werden.
    "Wir kennen nicht das Verhältnis zwischen dem so genannten Hellfeld, also dem, was tatsächlich angezeigt wird, und dem so genannten Dunkelfeld, also dem, was tatsächlich passiert und nicht angezeigt wird."
    In den Fällen, in denen keine eindeutigen Film- oder Fotoaufnahmen das rechtswidrige Verhalten von Einsatzkräften dokumentieren, folgten viele Betroffene den Empfehlungen ihrer Anwälte und verzichteten auf eine Anzeige gegen Polizeibeamte, so Rafael Behr.
    "Wenn Sie das tun, haben Sie sofort eine Anzeige wegen Widerstand gegen Vollzugsbeamte am Hals. Und das lässt tatsächlich einige Anwälte ihren Klienten raten, Polizeibeamte nicht anzuzeigen, wenn die Sache nicht völlig eindeutig ist."
    Einführung eher unwahrscheinlich
    Dass die Hansestadt Hamburg nun als neuntes Bundesland die Kennzeichnungspflicht einführen könnte, ist, auch nach den vielen Übergriffen durch Polizisten beim G20-Einsatz, eher unwahrscheinlich. Dass die im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarten Gespräche darüber wirklich ergebnisoffen geführt werden könnten, bezweifelt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller:
    "Die SPD sieht das Thema nicht mit der Aktualität und mit der Dringlichkeit, mit der wir uns damit auseinandersetzen. Obwohl es hier einen Beschluss auf der Landesebene der SPD gibt zur Einführung einer Kennzeichnungspflicht. Der liegt aber zugegebenermaßen schon einige Jahre zurück."
    Neuer Hamburger Innen- und Sportsenator ist Andy Grote.
    Andy Grote, Hamburger Innen- und Sportsenator, tritt nicht für eine Kennzeichnungspflicht ein (dpa/picture-alliance/Axel Heimken)
    Auf ihrem Parteitag im Dezember 2012 hatten die Genossen sich noch für die Kennzeichnungspflicht ausgesprochen. Davon ist in der SPD nun keine Rede mehr. Auch nicht bei Hamburgs Innensenator Andy Grote. Ende November machte der Sozialdemokrat bei einem von der "taz" veranstalteten Streitgespräch zum Thema "G20" klar, was er von der Debatte hält. Vor ausgesprochen kritischem Publikum. Und erst nach mehreren Nachfragen:
    "Sind Sie persönlich dafür oder dagegen?"
    "Sie werden von mir als Innensenator jetzt nicht hören, dass ich für die Kennzeichnungspflicht eintrete. Ich glaube aber nicht, dass das unser größtes Problem ist. Aber die Diskussion wird stattfinden."
    Wohin sie führt, ließ Andy Grote offen. Nach dem Hamburger G20-Desaster, nach dem engen Schulterschluss zwischen Polizei und Senat darf man vermuten: Die Hamburger Diskussion über die Kennzeichnungspflicht führt zu gar nichts.