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Nach dem Anschlag von Berlin
"So können wir innere Sicherheit in Deutschland nicht herstellen"

Wie die Behörden im Fall des verdächtigen Tunesiers Anis Amri gearbeitet hätten, lasse ihn erschüttert zurück, sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet im DLF. Dass ein Mann, der als Gefährder eingestuft werde, von der Bildfläche verschwinde, könne nicht sein. Notwendig seien jetzt eine detaillierte Aufarbeitung - und mehr gesetzliche Möglichkeiten.

Armin Laschet im Gespräch mit Doris Simon | 22.12.2016
    Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet
    Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet (picture alliance / Federico Gambarini / dpa)
    Leider führe die Spur wie so häufig nach Nordrhein-Westfalen, sagte der Vorsitzende der CDU Nordrhein-Westfalen. Dort habe sich die Zahl der Salafisten nahezu versechsfacht. Wichtig sei jetzt, den Verdächtigen so schnell wie möglich dingfest zu machen und danach die Vorgänge und Versäumnisse aufzuarbeiten. Danach müssten entsprechende Konsequenzen gezogen werden. Dazu gehöre auch, den Informationsaustausch zwischen den Bundesländern zu verbessern. Ein weiteres Mittel könne der Einsatz einer elektronischen Fußfessel sein, unterstrich Laschet mit Blick auf die Forderung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Ob sie in diesem Fall aber geholfen hätte, sei nicht zu sagen.
    Angesichts der Terrorgefahr in Deutschland muss nach Laschets Ansicht der gesetzliche Spielraum in Sicherheitsfragen der Realitität angepasst werden. Viele Maßnahmen seien aber politisch schwer umzusetzen - sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat.
    Auf europäischer Ebene sei ein Austausch der Daten dringend notwendig. Es müsse sichergestellt werden, dass relevante Informationen über Kriminelle an den Bundesgrenzen zuverlässig weitergegeben würden, sagte Laschet.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Ein Land sucht einen Mann. Seit gestern Abend läuft die öffentliche Fahndung nach dem 24-jährigen Anis Amri. Er wird verdächtigt, den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz begangen zu haben. Der Tunesier war im Visier der deutschen Ermittler, er galt als Gefährder, also brandgefährlich.
    Am Telefon ist jetzt Armin Laschet, der Vizevorsitzende der Bundes-CDU. Guten Morgen!
    Armin Laschet: Guten Morgen.
    Simon: Herr Laschet, die Sicherheitskräfte hatten den 24-jährigen Tunesier längst im Visier. Wir haben es gerade gehört. Sie wussten von seiner Rolle in der radikal-islamischen Szene und von seiner Absicht, sich Waffen zu beschaffen. Jetzt wird er gesucht wegen des Anschlags von Berlin mit zwölf Toten und vielen Verletzten. Da fragen sich viele, wie kann das sein. Sie auch, Herr Laschet?
    "Erschütternd, wie Behörden hier gearbeitet haben"
    Laschet: Ich frage mich das auch. Das ist in der Tat so. Die Informationen, die wir seit gestern bekommen, die können einen nur erschüttern, wie Behörden hier gearbeitet haben. Nur wir sind jetzt in zwei Phasen. Die erste Phase ist, man muss als erstes jetzt diesen Täter finden und alle Kraft, die die Behörden haben, darauf setzen, dass er so schnell wie möglich dingfest gemacht wird. Danach allerdings, dann, finde ich, muss die politische, die parlamentarische, die administerielle Aufarbeitung dieses Vorgangs stattfinden und dann muss auch überlegt werden, welche Konsequenzen muss man denn aus diesem Vorgang ziehen.
    "Quelle führt wie so häufig nach NRW"
    Simon: Bleiben wir noch ein bisschen dabei, dass Sie das sagen, erschütternd, wie Behörden gearbeitet haben. Welche Behörden haben denn da so erschütternd gearbeitet?
    Laschet: Das muss man jetzt mal untersuchen. Das erste ist natürlich: Die Quelle führt leider wie so häufig nach Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Salafisten in den letzten Jahren nahezu versechsfacht. Das sind die Zahlen, die das Innenministerium bekanntgegeben hat. Und in einem solchen Umfeld an den Orten, die jetzt auch immer wieder genannt werden, auch in Ihrem Bericht eben, da hat sich diese Szene etabliert. Und das, was mir nicht erklärlich ist und was nicht sein darf ist, dass ein solcher Mann bekannt ist, zu der Salafisten-Szene hier in Nordrhein-Westfalen seine Kontakte hat, man weiß, es ist ein Gefährder, er ist sogar schon in Abschiebehaft gesessen und wird dann wieder freigelassen. Jeder weiß, er ist eine Gefahr für die Bevölkerung, und trotzdem gibt es kein Mittel, ihn dingfest zu machen. Und dann sagt man, der ist jetzt nach Berlin abgereist und damit - so klingt es nach den gestrigen Stellungnahmen des hiesigen Innenministers - ist der Fall für uns erledigt, jetzt ist halt Berlin zuständig. Zwischen deutschen Bundesländern braucht man Mechanismen, wie solche Menschen nicht einfach sich dann der Kontrolle entziehen können.
    "Wir brauchen auch die elektronische Fußfessel"
    Simon: Vor ein paar Minuten haben wir im Interview von Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter gehört, man bräuchte da dringend die elektronische Fußfessel. Wann kommt die?
    Laschet: Ja, ich hoffe bald. Wir brauchen viele rechtliche Maßnahmen für die Polizei. Wir haben eine andere Sicherheitslage als vor 10 oder 20 Jahren, und darauf muss man reagieren. Ob die hier geholfen hätte, kann man im Moment sicher nicht beurteilen, aber dass ein solcher Mann völlig vom Bildschirm verschwindet, wissend, dass er Gefährder ist, das ist etwas, was auf keinen Fall akzeptiert werden kann, und da muss man alle Mittel, auch die elektronischen nutzen, um so etwas in Zukunft zu verhindern.
    Simon: Politiker Ihrer Partei im Bundestag fordern jetzt, einen Haftgrund zu schaffen, solche Leute auch in Haft nehmen zu können. Wenn das rechtlich geht, warum hat man das denn bisher noch nicht gemacht?
    Laschet: Ja, das sind immer die Fragen. Wenn eine solche Lage auftritt, sagt man, ja da fehlt uns jetzt noch ein Mittel. Es liegen ja im Bundestag viele Maßnahmen, die man dringend beschließen müsste, die dann zum Teil in der Koalition nicht möglich sind, die dann, wenn die Koalition in Berlin sich geeinigt hat, über den Bundesrat blockiert werden. Beispielsweise ist immer noch nicht beschlossen, dass Tunesien, Algerien und Marokko sichere Herkunftsländer wären. Das ist ein Beschluss, der liegt seit einem dreiviertel Jahr im Bundesrat. Die grün-schwarz und schwarz-grün regierten Länder Hessen und Baden-Württemberg würden sogar zustimmen, aber hier blockiert jetzt auch Nordrhein-Westfalen derzeit. Also da muss aus der aktuellen Lage jetzt hoffentlich der politische Druck kommen, dass man der Polizei die Mittel, die sie braucht, an die Hand gibt, und das sind andere als vor 20 Jahren, weil heute die Lage bedrohlicher international ist als damals.
    "Fall hat mit der aktuellen Flüchtlingskrise nichts zu tun"
    Simon: Herr Laschet, Sie gehören ja der CDU an. Die CDU ist ja auch in der Regierung. Jetzt ist hier jemand tatverdächtig, der als Flüchtling nach Italien kam, dann illegal nach Deutschland weitergereist ist. Was sagen Sie denn denen, die Ihnen jetzt sagen, ihr seid schuld, ihr habt die alle ohne Kontrolle reingelassen?
    Laschet: Aber dieser eine Fall - an jedem Fall muss man es neu erörtern -, dieser Fall passt für dieses Argument nun nicht. Sie haben eben in Ihrem Bericht ja auch erläutert: Er hat vor sieben Jahren seine Familie in Tunesien verlassen, ist dann nach Italien gereist, saß in Italien schon im Gefängnis, ist dann nach Deutschland weitergereist, also alles ein Zustand, der mit der aktuellen Flüchtlingskrise des Jahres 2015 nichts zu tun hat.
    Simon: Aber so fein trennen natürlich nicht alle.
    Laschet: Ja! Wir sollten uns trotzdem bemühen, so fein zu trennen. Ich habe von Anfang an nach dem Berliner Attentat gesagt, man muss differenzieren. Müssen wir jetzt die ganze Flüchtlingspolitik ändern, oder muss man vielleicht die Arbeit an der inneren Sicherheit in Deutschland ändern? Vielleicht ist das wie in Nizza und in Brüssel ein Attentäter, der schon jahrelang in Europa und in Deutschland gelebt hat, hat also mit der aktuellen Krise ja nichts zu tun. Aber Sie haben Recht: Dies zu differenzieren, ist in diesen Zeiten schwierig. Nur er, wenn er denn der Täter ist - auch das wissen wir ja zur Minute noch nicht -, aber wenn er der Täter ist, hat er jedenfalls mit denen, die im letzten Jahr aus dem Krieg in Syrien geflohen sind, nichts zu tun. Er ist seit Jahren in Europa, inhaftiert gewesen, als Krimineller bekannt gewesen, als Gefährder bekannt gewesen, und insofern muss man auf so etwas auch anders reagieren.
    "Wir brauchen einen europäischen Ausgleich der Daten"
    Simon: Dann drehen wir das einmal um. Sie sagen gerade, der war ja bekannt. Jetzt sind aber ganz viele gekommen, die wir nicht unter Generalverdacht stellen, aber von denen wir einfach nicht sicher wissen, wer das ist. Ist Ihnen das nicht ein bisschen zu großes Restrisiko?
    Laschet: Als erstes wissen wir inzwischen von sehr vielen, wer sie sind. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat intensiv in diesem Jahr nachgearbeitet. Und in der Tat - und das wird ja auch schon gemacht - müssen alle, die gekommen sind, auch überprüft werden, soweit dazu die Möglichkeiten bestehen. Aber wenn Sie andere Fälle aus den letzten Wochen erleben, da hat die Registrierung stattgefunden, beispielsweise bei dem, der den Mord in Freiburg begangen hat. Der ist an der Grenze nach allen Kriterien registriert worden, aufgenommen worden. Aber die griechischen Behörden hatten ins System nicht eingegeben, dass er bereits Straftaten, auch Gewalttaten in Griechenland begangen hat. Daran kann man wieder merken, wir brauchen auch mehr Europa. Wir brauchen einen europäischen Ausgleich der Daten. Wenn in Griechenland oder in Italien jemand Straftaten begangen hat, muss das die Bundespolizei an der deutschen Grenze über die Datensysteme feststellen können. Da brauchen wir europäisch mehr. Aber das ist schon eine Wunschhoffnung, wenn ich jetzt in diesen Tagen feststelle, dass selbst zwischen deutschen Bundesländern der Austausch wohl nicht so optimal läuft, wie es eigentlich der Fall sein müsste.
    Simon: Herr Laschet, bleiben wir noch mal dabei, was in Deutschland passieren kann. Sie haben ja nach dem Anschlag Horst Seehofer dafür kritisiert, dass er sofort eine andere Flüchtlingspolitik gefordert hat. Jetzt sagen Sie hier in dem Interview, wir brauchen viele rechtliche Maßnahmen für die Polizei. Stand heute: Hatte Seehofer nicht Recht mit seiner Forderung?
    Laschet: Natürlich hat Horst Seehofer in vielem, was er vorträgt, Recht. Aber es war eine Frage in einer Talkshow im deutschen Fernsehen bei Maybrit Illner: Was sagen Sie dazu, dass man jetzt die Flüchtlingspolitik ändern muss. Und da war schlicht und einfach meine Antwort: Warten wir doch erst mal den Tatbestand ab. Der erste, den man als Täter hatte, war gar nicht der Täter. Ehe man Maßnahmen beschließt, muss man die Sachlage kennen und wissen, wo ist jetzt das genaue Defizit. Das war mein einziges Plädoyer. Ansonsten hat bei vielen Maßnahmen der inneren Sicherheit natürlich die CSU, auch Horst Seehofer Recht. Nur in dem Falle hätte jetzt nicht eine Änderung der gesamten Flüchtlingspolitik weiter geholfen, weil der Täter schon im Inland war, und das war nur mein Hinweis. Wie in Nizza beispielsweise auch. Nach dem Attentat von Nizza hätte Frankreich auch nicht sagen können, wir ändern die Flüchtlingspolitik, weil sie ja gar keine Flüchtlinge aufgenommen hatten, und trotzdem ist dieses Attentat da in Nizza und in Paris und anderswo passiert. Da war es mehr eine Frage der Kontrolle der Menschen, die schon im Land sind, die in diesem Fall, über den wir gerade reden, sogar bekannt sind als Gefährder, die abschieberechtlich alles hinter sich haben und nur noch vollziehen müssten, und dann scheitert es an Papieren aus Tunesien. So können wir innere Sicherheit in Deutschland nicht herstellen.
    Simon: Herr Laschet, Sie argumentieren differenziert. Aber viele Leute nehmen das anders wahr und sagen, hier geht es doch gar nicht um Sachpolitik und darum, mehr Sicherheit zu schaffen, sondern die wollen doch einfach nur den Kurs, den die Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik festgelegt hat, den wollen sie nicht umkehren. Was sagen Sie denen?
    "Asyl und Einwanderung ist zweierlei"
    Laschet: So habe ich das noch nicht gehört. Ich weiß auch nicht, was der Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik sein soll, was Sie damit meinen.
    Simon: Gibt es denn keinen Kurs?
    Laschet: Doch! Der Kurs lautet, Asyl und Einwanderung ist zweierlei. Asyl ist für Schutzbedürftige. Wer nicht schutzbedürftig ist, muss das Land wieder verlassen. Deshalb hat die Kanzlerin mehrere …
    Simon: Das klappt ja nicht!
    Laschet: Das klappt schon! Ich weiß nicht, wieviel Zeit wir haben. Wir können ja mal das Jahr 2015 analysieren.
    Simon: Sie selber haben ja über die Abschiebung gesprochen.
    Laschet: Aber die Kanzlerin hat als erstes zu Beginn des Jahres 2015 gesagt, und nicht nur die Kanzlerin, sondern die gesamte Bundesregierung - wir werden ja nicht nur von einem einzigen Menschen regiert -, die Bundesregierung hat gesagt, wir wollen die Zahl derer, die aus sicheren Herkunftsländern kommen, reduzieren. Das waren zu Beginn 2015 40 Prozent vom Balkan. Das ist dann gelungen. Dann ist die Zahl angestiegen über das Seestück zwischen der Türkei und Griechenland, so dass wir Flüchtlinge plötzlich aus Afghanistan, aus Nordafrika, auch aus Syrien hatten, und da hat die Kanzlerin, wenn Sie es immer auf sie konzentrieren, gesagt, wir müssen die Zahl reduzieren, wir müssen an der Außengrenze erreichen, dass jeder, der illegal die Grenze übertritt, zurückgebracht wird in die Türkei. Dieses Abkommen wirkt, das ist das EU-Türkei-Abkommen, so dass über dieses Seestück heute so gut wie niemand, wenige Grenzübertritte im Monat noch stattfinden. Aber die Flüchtlingsproblematik, die Europa global hat, aus Afrika, die wird uns wahrscheinlich noch Jahrzehnte beschäftigen, und da ist der Kurs der Kanzlerin, wie Sie ihn nennen, der zu sagen, wir müssen im Herkunftsland helfen und illegalen Grenzübertritt europaweit beenden. Das kann man erklären, dann akzeptieren viele Menschen auch diesen Gedanken, weil sie wissen, dass wir in global aufgewühlten Zeiten leben. Aber sie spüren gleichzeitig, dass Terror, der uns heute einholt, auch in Ländern stattfindet, die gar keine Flüchtlinge haben und trotzdem international bedroht sind. Dies auseinanderzuhalten, ist, glaube ich, etwas, was sehr wichtig ist, gerade in diesen Tagen.
    Simon: Armin Laschet, der Vizevorsitzende der Bundes-CDU. Herr Laschet, danke für das Gespräch.
    Laschet: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.