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Nach dem Bankrott

Nachdem er in seinen letzten vier Filmen nostalgisch durch Europas Metropolen tourte, beschäftigt sich Woody Allen nun wieder mit den Problemen seiner amerikanischen Heimat. Mit "Blue Jasmine" spiegelt der Altmeister die Finanzkrise in einem ganz persönlichen Melodrama.

Von Josef Schnelle | 02.11.2013
    "Wie kommst Du denn darauf?" – "Na ja, jemand machte eine Bemerkung. Man hat Dich mit ihr beim Lunch gesehen. Hast ihre Hand gehalten." – "Ach dummes Zeug. Wer sagt das? Ich weiß wer. Das war Lydia, diese Hirnamputierte Hexe. Hab ich recht?" – "War es so?" – "Es war Lydia, weil ich zum Business-Lunch mit Amy im "Four Seasons" war und Lydia auch da war." – "Hast Du ihre Hand gehalten?" – "Bist Du verrückt? Meinst Du ich wär so bescheuert und zeig mich mit einem Verhältnis im "Four Seasons"?" – "Ach was weiß denn ich. Manchmal trinkst Du beim Lunch. Vielleicht warst Du blau."

    Diese Wunde im Verhältnis zwischen dem Finanzmagnaten Hal und der schönen Jasmine, die er so lange er konnte mit märchenhaften Immobilien, Reisen und Schmuck verwöhnt hat, wird nicht mehr heilen. Und die Szene ist auch der Grund für den Niedergang und den finanziellen Zusammenbruch des Pärchens. Nachher greift Jasmine noch glühend vor Eifersucht zum Telefonhörer und ruft das FBI an. Die verbrecherischen Finanzmanipulationen kommen ans Licht und Hals Imperium löst sich in Luft auf und Jasmine ist plötzlich auf sich alleine gestellt. Die New Yorker Luxushausfrau macht sich auf den Weg zu ihrer Schwester in San Francisco. Aber obwohl nahezu mittellos schafft sie es nicht etwas anderes als einen First-Class-Flug zu buchen. Auch ihre extreme Selbstbezogenheit mag sie nicht aufgeben. Die geht so weit, dass sie am liebsten mit sich selbst redet. Vor allem wenn der täglich konsumierte Roséwein ihr die Zunge löst.

    In ihrem grenzenlosen Selbstmitleid spürt sie nicht einmal, dass sie ihrer handfesten Schwester mächtig auf die Nerven geht. Ihre Ausbildung hat sie abgebrochen, war dann lieber Frauchen des großen Geldsacks Hal, der wie eine Karikatur des betrügerischen Finanzjongleurs Bernie Madoff wirkt, dessen Blase 2009 platzte und der zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Woody Allen, der Schöngeist und sanfte Satiriker beschäftigt sich nach einer nostalgischen Tour durch die europäischen Metropolen Paris, London, Rom und Barcelona mit den Problemen seiner amerikanischen Heimat. Die Finanzkrise spiegelt er allerdings in einem ganz persönlichen Melodrama. Jasmine jammert ihrem undankbaren Schicksal hinterher und ist völlig unfähig zu einem Neuanfang.

    "Och, aus lauter Not hab ich Schuhe verkauft in der Madison Avenue. Das war so demütigend. Freundinnen, die auf unseren Dinner-Parties waren kamen ins Geschäft. Und die musste ich bedienen. Ich mein´ kannst Du Dir ungefähr vorstellen, wie das ist."

    Jasmine ist eine tragische Figur, die aus ihrer Haut nicht heraus kann. Ihr ist es unmöglich, ihrem Leben tatsächlich eine neue Richtung zu geben. An dieser Stelle muss man unbedingt auf Hauptdarstellerin Cate Blanchett eingehen, die den Film – manchmal erotisch verführerisch, dann grenzenlos naiv, lallend und verzweifelt und doch gelegentlich mit einem komödiantischen Augenzwinkern trägt – mit einem dezidierten Woody Allen-Touch, mit seiner speziellen Mischung von Komödie und ernstem Melodram. Selbst die Rückblicke in die Vergangenheit werden von einem schwer erträglichen selbstsüchtigen Schleier verdunkelt.

    "Ich war nicht nur Shoppen und Essen und auf Matineen. Ich hab für arme Leute Spenden gesammelt. Ich hab für Alles Mögliche gesammelt: für Museen, für Schulen. Reichtum bringt Verantwortung mit sich."

    Woody Allen hat sich nach komödiantischen Anfängen selbst zwischen seinen Vorbildern Strindberg, Bergmann und den Marx-Brothers verortet. Auch an Tschechow mag man denken. In seinen fast 50 Filmen hat sich der 78-jährige Regisseur als einer der ganz großen Meister des Autorenkinos etabliert und dreht immer noch jedes Jahr einen neuen Film. Was macht diesen Woody Allen so einzigartig. Seine filmischen Scherze oder seine Melancholie? Beides gehört zusammen. Cate Blanchett als Jasmine bringt auch den Haushalt ihrer Schwester gehörig durcheinander. Zwischen Satire und Ironie nistet sich die Verzweiflung ein. Manchmal – so sagt sie – habe sie einfach Lust auf die Straße zu rennen und laut zu schreien. Vorher werde sie allerdings noch eine Pille einwerfen.

    "Könnt ihr bitte woanders streiten. Das ist mir zu viel. Mein Stimmungsaufheller wirkt noch nicht."