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Nach dem Flugzeug-Unglück
"Kein gesetzlicher Regelungsbedarf"

Mögliche neue Sicherheitsvorkehrungen nach dem Absturz der Germanwings-Maschine seien keine Frage der Politik, sagte der Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) im DLF. Der frühere Koordinator der Bundesregierung für Luftfahrt vertraut den Luftfahrtgesellschaften - und begrüßt das Vier-Augen-Prinzip im Cockpit.

28.03.2015
    Peter Hintze, Bundestagsvizepräsident
    Peter Hintze, Bundestagsvizepräsident (dpa / Karlheinz Schindler)
    "Ich halte das für richtig", sagte Hintze. Es sei für Passagiere beruhigend, zu wissen, dass immer zwei Menschen im Cockpit seien. Der Bundestagsvizepräsident verwies aber auch darauf, dass Fliegen in den vergangenen Jahren immer sicherer geworden sei - weil Fluggesellschaften nach jedem Vorfall gute Maßnahmen gefunden hätten, um ähnliche Ereignisse künftig zu vermeiden.
    Er vertraue nun darauf, dass dies auch in diesem Fall gelinge: "Da sehe ich momentan keinen gesetzlichen Regelungsbedarf." Er habe, so sagte Hintze, auch das Gefühl, dass das Zutrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit bei Lufthansa und Germanwings weiterhin hoch sei.
    Deutliche Worte fand er über seinen Fraktionskollegen Karl-Georg Wellmann, der kurz nach dem Absturz auf seiner Facebook-Seite geschrieben hatte: "Vor Germanwings kann man nur noch warnen. Überalterte Maschinen und miserabler Service. Mit denen werde ich nicht mehr fliegen." Hintze verurteilte dies als "in der Sache vollkommen daneben, in der Art und Weise vollkommen daneben, in der Kommunikationsform vollkommen daneben".
    Die Fraktion habe sofort reagiert und Wellmann am Donnerstag von der Rednerliste gestrichen - dieser hätte nach der Schweigeminute des Bundestags in der Debatte über die Ukraine-Krise zu Wort kommen sollen.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Nachdem die Ermittlungen zum Absturz der Germanwings-Maschine darauf hindeuten, dass der Kopilot seine Passagiere ganz bewusst in den Tod geflogen hat, wird jetzt heftig debattiert, auch darüber, ob die Überwachung der Piloten verstärkt werden soll mit regelmäßigen psychologischen Tests vielleicht. Und es gibt erste Konsequenzen: Bei deutschen und anderen europäischen Luftlinien wird jetzt die sogenannte Vier-Augen-Regelung eingeführt, also kein Pilot soll mehr allein im Cockpit bleiben dürfen. Der CDU-Politiker Peter Hintze ist Vizepräsident des Deutschen Bundestages und war einige Jahre auch der zuständige Koordinator der Bundesregierung für die Luftfahrt. Guten Morgen, Herr Hintze!
    Peter Hintze: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Hintze, ist die Politik jetzt überhaupt gefragt oder sind die Bemühungen, Konsequenzen zu ziehen, bei den Fluglinien in guten Händen? Die handeln ja jetzt auch schon.
    Hintze: Ich habe das Gefühl, dass die Fluglinien sehr verantwortlich mit diesem tragischen Extremfall umgehen. Wir dürfen ja nicht übersehen, dass Fliegen in den letzten Jahren immer sicherer geworden ist und dass auch bisher jeder Vorfall dazu führte, dass den Luftfahrtgesellschaften, aber auch den Flugzeugherstellern doch gute Gedanken gekommen sind, was man noch tun kann, damit die Situation in der Luft, die Sicherheit verbessert werden kann. Und da haben wir jetzt ja auch einige Vorschläge, die ich vernünftig finde. Ich finde es sehr vernünftig, dass man sagt, wir wollen das Vier-Augen-Prinzip im Cockpit wahrnehmen. Wenn wir uns die Situation vor Augen führen, die sich bei Germanwings wahrscheinlich abgespielt hat, der Copilot, der dann die Entscheidung traf, das Flugzeug und die Menschen mit sich in den Tod zu reißen, war ja alleine. Aus der Suizidforschung wissen wir, das kann so eine situative Verengung sein, wo er nur noch diesen Plan, diesen Blick hatte. Wir wissen es nicht, aber das ist eine Vermutung. Und das ist einfach viel schwerer, wenn da noch ein zweiter Mensch im Cockpit ist. Dass es keine absolute Sicherheit ist, gut, das ...
    Zagatta: Das wird ja in den USA, so haben wir jetzt gelernt, schon praktiziert. Die Fluglinien in Europa wollen das jetzt auch machen.
    Hintze: Ich halte das für richtig.
    Zagatta: Sehen Sie da die Politik jetzt überhaupt noch am Zuge oder sollte die sich heraushalten, weil die Fluglinien – Sie gehen ja auch davon aus – offenbar schon sehr vernünftig da mit Konsequenzen umgehen?
    Hintze: Kein politischer Handlungs- und Regelungsbedarf
    Hintze: Ja, nein. Ich glaube, das machen die Luftfahrtgesellschaften schon richtig, da sehe ich im Moment keinen politischen Handlungs- oder Regelungsbedarf. Auch die zweite Frage, nämlich ob die Frage der seelischen Situation der Piloten in Zukunft beim Medizincheck eine größere Rolle spielen soll, finde ich, werden die Luftfahrtgesellschaften auch mit ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Ruhe klären, das wird jetzt überlegt werden. Die Frage ist ja immer: Kann man, wenn in einem Mensch der Keim des Wahnsinns steckt, kann man den entdecken? Würde der bei einem Medizincheck überhaupt auffallen? Das muss jetzt in Ruhe diskutiert werden. Und das Dritte, was überlegt werden muss, ob man nicht außerhalb des Cockpits auch eine Notrufmöglichkeit schaffen muss. Das haben wir ja bisher nicht, es gibt ja für ein Flugzeug bisher nur die Möglichkeit, aus dem Cockpit einen Notruf abzusetzen. Und verschiedene schlimme Vorfälle aus der Luftfahrt, denken Sie an das bis heute unaufgeklärte Unglück mit MA370, dem Flug von Malaysia Airlines, eine Boeing 777, die verschwunden ist. Und wir wissen heute noch nicht, wo sie ist. Es gab halt nur die Möglichkeit, im Cockpit einen Notruf abzusetzen. Und wenn das Cockpit das aus irgendeinem Grund nicht kann, ist das in der Kabine nicht möglich. Und die Frage ist, ob man nicht eine technische Vorrichtung schaffen müsste – das geht weniger an die Airlines, das geht mehr an die Flugzeughersteller –, dass man auch aus der Kabine heraus einen Notruf absetzen kann. Das hielte ich jedenfalls für sinnvoll.
    Zagatta: Muss sich die Bundesregierung oder die Politik jetzt in diese Konsequenzen überhaupt einmischen? Und damit verbunden vielleicht auch gleich die Frage: Was macht eigentlich ein Luftfahrtbeauftragter der Bundesregierung? Ist der auch irgendwie für Sicherheitsmaßnahmen zuständig?
    Hintze: Nein. Ich beantworte beide Fragen erst mal mit Nein, das kann das ja schon abschließen. Also, ich glaube, das ist jetzt eine Frage an die Luftverkehrsgesellschaften. Ich habe auch in die Lufthansa, in Germanwings sehr hohes Zutrauen, das ist eine Gesellschaft mit einem sehr, sehr hohen Sicherheitsstandard. Und dass sie auch überlegt, was jetzt hier sinnvoll und nötig ist. Also, es ist schon gut, dass sich die Politik hier zurückhält. Ich bin ja auch nicht in diesem Amt angerufen, das habe ich ja gar nicht mehr, sondern ...
    Zagatta: Sie waren es mal.
    Hintze: Ich fühle mich betroffen, weil wir in Wuppertal bei uns auch fünf Menschen bei diesem Absturz verloren haben, um die wir in der Stadt trauern. Und auch zwei spanische Kollegen eines europäischen Betriebsrats, die zu einer Sitzung nach Wuppertal kommen wollten und dort nie angekommen sind, weil sie mit in den Tod gerissen wurden. Also, für mich ist das jetzt keine Frage der Politik, auch wenn Sie mich jetzt als Politiker fragen.
    Zagatta: Herr Hintze, was bringen denn eigentlich immer neue, immer weitere Schutzmaßnahmen? Mit der neuen Regelung sollen ja Flugbegleiter jetzt in die Cockpits kommen, Flugbegleiter, die theoretisch ja dann auch wieder eine Gefahr darstellen könnten. Ist das von der Hand zu weisen? Geht dieser Schuss nicht irgendwann – oder vielleicht ist es schon so passiert – nach hinten los, immer mehr Sicherheitsmaßnahmen?
    Hintze: Na ja, wenn wir uns die Geschichte der Luftfahrt anschauen – und ich habe mich damit einige Jahre wirklich sehr intensiv beschäftigt –, dann muss man feststellen, dass der Sicherheitsstandard doch immer, immer höher geworden ist. Also, die Zahl, wenn Sie mal denken an die 60er-Jahre, 50er-Jahre, mal in die Geschichte der Luftfahrt reinschauen, dann war doch die Zahl der Unfälle wesentlich höher. Da sind sehr, sehr viele Sachen technisch entwickelt worden, die doch zu einem hohen Maß an Sicherheit geführt haben. Die Geschichte der Luftfahrt ist eine Geschichte der permanent steigenden Sicherheit. Und natürlich muss man bei jedem Vorfall in Ruhe wieder fragen, was ist vernünftig, was ist nicht vernünftig. Die Abriegelung der Cockpits sollte ja verhindern nicht nur, dass Menschen hier zu Tode gebracht werden, die im Flugzeug sitzen, sondern dass darüber hinaus auch das Flugzeug auch als Waffe eingesetzt wird. Das war ja bei 9/11, diesem schrecklichen Anschlag in Amerika gegen das World Trade Center und gegen andere Gebäude das, was die Welt so erschüttert hat. Ich glaube, dass diese Maßnahme richtig war. Nun stellen wir fest, dass sie so gründlich war, dass sie auch zu einem neuen Problem führen kann. Und das hat diesen tragischen Fall ausgelöst, wo ein Pilot sich offensichtlich hier mit der gesamten Maschine in die Tiefe gestürzt hat, nachdem der Kollege oder der Kapitän des Flugzeugs nicht im Cockpit war. Ich finde, da muss eine Lösung schon her, den Gedanken finde ich richtig. Dass natürlich jeder neue Gedanke auch wieder andere Fragen aufwirft, Sie haben das eben gesagt, ist das nicht eine Gefahr, wenn da jetzt noch mehr Verkehr im Cockpit ist, wenn Leute rein- und rausgehen, wenn das beobachtet wird, das ist klar. Ich halte es trotzdem für richtig, ich glaube, es ist beruhigend auch für die Passagiere zu wissen, es sind immer mindestens zwei im Cockpit, es ist keiner alleine. Und es kann keiner in die Situation geraten, in so eine Stimmung zu kommen, ich bin jetzt alleine und jetzt gibt es diesen Tunnelblick, jetzt gibt es diese situative Verengung und dieser Keim des Wahnsinns in mir, der blüht jetzt auf. Auch wenn das ein ganz extremer Ausnahmefall ist. In der Geschichte der Luftfahrt, sagt man ja, in vier oder fünf Fällen ist das vorgekommen bei Millionen von Flügen.
    Zagatta: Herr Hintze, was sagen Sie denn zu der Kritik, die aus Ihrer Partei schon lautgeworden ist? Der Abgeordnete Karl-Georg Wellmann hat auf seiner Facebook-Seite wohl geschrieben, vor Germanwings könne man nur noch warnen, überalterte Maschinen und miserabler Service, mit denen werde er nicht mehr fliegen, so wird er zitiert.
    Hintze: Peinliche Entgleisung des Abgeordnetenkollegen
    Hintze: Ich finde, das ist eine peinliche Entgleisung. Und meine Fraktion hat auch sofort reagiert. Sie hat ihn am Donnerstag von der Rednerliste gestrichen, wir haben am Donnerstag ja die Schweigeminute und das stille Gebet gehabt, was Bundestagspräsident Lammert zu Beginn unserer Plenarsitzung dort hier als Schweigeminute angesetzt hat. Danach war die Ukraine-Debatte, da wäre der Kollege Redner gewesen, die Fraktionsführung hat entschieden, dass sie ihn von der Rednerliste nimmt, weil wir das insgesamt doch für einen peinlichen Vorgang halten.
    Zagatta: Stört Sie da, wenn Sie sagen peinlicher Vorgang, stört Sie da der Zeitpunkt, zu dem er jetzt seine Vorwürfe geäußert hat? Denn wenn Herr Wallmann Anlass für solche Kritik sieht, dann dürfte er die doch äußern, oder nicht?
    Hintze: Ich will das jetzt nicht im Einzelnen ... Wenn Sie es sich noch mal in Ruhe anschauen, ich will die Vorwürfe jetzt nicht wiederholen, dann finde ich es in der Sache vollkommen daneben, im Ton vollkommen daneben, in der Kommunikationsform vollkommen daneben. Und soviel ich weiß, das muss man jetzt ja auch sagen, hat er diese Kritik ja wieder aus dem Netz rausgenommen. Aber trotzdem, das Gedächtnis des Netzes ist ewig, es wird natürlich eine Wunde bleiben. Mich hat ein Pilot der Germanwings daraufhin angerufen und fühlte sich persönlich – und seine Kolleginnen und Kollegen in der Kabine und im Cockpit – verletzt von diesen Äußerungen. Und ich muss sagen, ich verstehe diese Empfindungen. Und ich finde es jedenfalls eine peinliche Entgleisung.
    Zagatta: Wie schätzen Sie denn insgesamt jetzt die Folgen dieses Absturzes und des ganzen Drumherums für die Lufthansa und für Germanwings ein? Kratzt dieser offenbar mit Absicht herbeigeführte Absturz am Nimbus der Sicherheit oder wird das bald wieder in Vergessenheit geraten?
    Hintze: Ich bin am Freitag mit Germanwings wieder geflogen, von Berlin ins Rheinland zurück. Und hatte das Gefühl – die Maschine war so voll wie immer –, dass das Zutrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Lufthansa und ihrer Töchter weiter sehr, sehr hoch ist. Was etwas bewegend war, am Schluss des Fluges wird ja immer gesagt, wir danken Ihnen, dass Sie mit XY geflogen sind, und da hat die Chefin des Kabinenpersonals gesagt, wir danken Ihnen heute besonders, dass Sie mit Germanwings geflogen sind, weil natürlich für jeden Mitarbeiter dieser Airline es natürlich eine Geschichte ist, die ihn persönlich sehr bewegt. Aber dass das Zutrauen in die Qualität und in die Sicherheit und in die Standards weiter da ist, davon bin ich überzeugt. Und jeder Mensch weiß, dass es die allerletzte Sicherheit auf Erden bei keinem Beförderungsmittel gibt. Die allerhöchste immer noch in der Luftfahrt.
    Zagatta: Wir danken Ihnen für das Gespräch. Peter Hintze war das, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und lange Jahre auch zuständiger Koordinator der Bundesregierung für die Luftfahrt. Herr Hintze, schönen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.