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Nach dem Rausschmiss von Ben Ali

Das Theater genoss auch unter dem Regime Ben Alis eine relative Freiheit, führte kritische Stücke auf. Mit Manifesten und Aktionen möchten die Künstler zum Aufbau der Demokratie beitragen.

Von Martina Sabra | 18.02.2011
    Tunis, im Februar 2011. Im ehemaligen französischen Viertel Lafayette befindet sich im Erdgeschoss eines Hotels das wichtigste unabhängige Kulturzentrum Tunesiens: das El Teatro, gegründet von dem prominenten tunesischen Regisseur Taoufik Jebaili.
    Hier im Teatro wird an diesem Abend zum ersten Mal nach der Revolution wieder ein Stück aufgeführt: "Lettre à mon seigneur", "Brief an meinen Herrn". Inszeniert hat es der Regisseur Naoufel Azara:

    "Dieses Stück hat das Ensemble Anfang 2010 gemeinsam in Schreibworkshops erarbeitet. Der König hat ein Doppelgesicht. Er ist ein Mensch, er hat eine Familie. Doch in seinem Inneren schlummert auch die Bestie. Wir haben dieses Stück noch unter Ben Ali geschrieben. Wir wollten ausdrücken, dass Ben Ali weg muss. Deshalb wird der König am Ende hinausgeworfen."

    Erst wenige Wochen ist es her, dass die Tunesier den Diktator Ben Ali verjagten. Sein 23jähriges Regime hat tiefe Spuren in der tunesischen Kulturszene hinterlassen. Die Zensur und die Umarmungsversuche des Regimes waren gefürchtet. Manche Künstler ließen sich kaufen, andere gingen auf Tauchstation. Nur die Theaterszene blieb weitgehend verschont. Die tunesisch-deutsche Schauspielerin Dunja Dogmani kennt diese Szene sehr gut. Sie glaubt, dass die relative Freiheit des Theaters in Tunesien auf den Staatsgründer Habib Bourguiba zurückgeht, der das Land 1956 in die Unabhängigkeit führte:

    "Ich glaube es liegt daran, dass Bourguiba ein solcher Theaterfan war, der unter anderem seine Reden im Stadttheater Tunis hielt und die Kultur so hoch gehalten hat. Das Theater war dann doch immer noch ein Bereich, der mehr Freiheit genoss als andere Bereiche."

    Dunja Dogmani ist zur Zeit fest am Schauspiel Bochum engagiert. Von 2005 bis 2008 gehörte sie zum Ensemble des international bekannten Dramaturgen Fadel Jaibi in Tunis. In dieser Zeit erlebte sie den Unterdrückungsapparat des Regimes hautnah: Spitzel verfolgten sie auf dem Nachhauseweg, ihr Telefon wurde abgehört. Aber sie erlebte auch, wie Fadel Jaibi es schaffte, trotz der Zensur regimekritische Stücke auf die Bühne zu bringen: Wie "Amnesia", das einen fiktiven Herrscher als psychiatrischen Fall schildert und das die Missstände unter Ben Ali anprangerte:

    "Wie die Korruption, die Verdummung des Volkes indem man ihm einfach viel Fussball, Disko, Wodka, oder andererseits Moschee anbietet. Wirklich die ganze Situation in Tunesien fand in zweieinhalb Stunden auf der Bühne statt. Das war wirklich sehr beeindruckend, und sehr visionär von Fadel und seiner Truppe, also teilweise "Gänsehaut"."

    Der Regisseur Fadel Jaibi und seine Lebenspartnerin, die berühmte Schauspielerin Jalila Baccar genießen wegen ihrer aufrechten Haltung in Tunesien großen Respekt bei der ganzen Bevölkerung. Jalila Baccar wurde gefragt, ob sie in der Übergangsregierung als Kulturministerin bereitstünde, doch sie hat abgelehnt. Tunesiens führende Theatermacher wollen lieber mit Manifesten und Aktionen zum Aufbau der Demokratie beitragen. Dunja Dogmani ist derweil dabei, "Amnesia" zu übersetzen. Die deutsche Fassung des Stück soll 2012 bei den Berliner Festspielen gezeigt werden. Die deutsch-tunesische Schauspielerin schaut optimistisch in die Zukunft.

    Dunja Dogmani: "Ich bin guter Dinge und für mich ist diese Theaterszene gar nicht mehr wegzudenken, die brauche ich genauso wie die deutsche Theaterszene."

    Doch nicht alle Theaterleute in Tunesien teilen diesen Optimismus. Dem Regisseur Naoufel Azara ist der abrupte Wandel nicht geheuer:

    "Wir wollten alle, dass dieser König und der Präsident endlich verschwinden. Nun ist es passiert. Ich freue mich, aber gleichzeitig fühle ich mich leer. Ich habe noch keine neuen Ideen, Und ich habe Angst, dass wir vielleicht doch nicht so frei sein werden, wie wir gehofft haben. Ich befürchte, dass schon neue Könige bereitstehen."