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Nach dem Referendum
Deutsche Juristen helfen türkischen Kollegen

Seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer hat die türkische Regierung tausende Richter und Staatsanwälte entlassen. Viele verlassen das Land und suchen Exil im Ausland. Um diejenigen türkischen Juristen zu unterstützen, die vielleicht nach Deutschland fliehen wollen, haben der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwaltverein eine Hilfe-Plattform im Internet geschaffen.

Von Daniela Siebert | 20.04.2017
    Eine türkische Flagge an einem Gebäude, vor dem ein Richter von hinten zu sehen ist.
    Deutsche Anwälte und Richter wollen ihren türkischen Kollegen helfen. (dpa/picture alliance/Nicolas Armer)
    Dass es ihren türkischen Kollegen nicht so gut geht, das schwante den deutschen Juristen schon länger: tausende Entlassungen, hunderte Verhaftungen, das konnte man sogar in deutschen Medien verfolgen. Wie schlimm die Situation für Richter und Anwälte in der Türkei wirklich ist, da öffnete erst eine Delegations-Reise dorthin - Anfang des Jahres - den Deutschen die Augen. Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins:
    "Sowohl die Anwälte haben Angst als auch die Richter haben Angst. Und Angst ist das Gift eines jeden Rechtsstaates und das ist die Situation, die wir bei unserem Besuch im Januar vorgefunden haben. "
    "Wir wollen eine Andockstation sein"
    Durch den Ausgang des Referendums werde sich die Situation noch weiter verschlechtern, erwarten Schellenberg und seine Mitstreiter. Gemeinsam mit dem Deutschen Richterbund hat der Anwaltverein deshalb die Seite www.turkish-law-colleagues.de ins Leben gerufen. Seit gestern ist sie online, in türkischer Sprache. Die Erfinder gehen davon aus, dass viele türkische Juristen nun in Deutschland Zuflucht suchen werden. Zahlen, wie viele in den letzten Monaten schon hierher gekommen seien, habe er aber keine, sagt Schellenberg:
    "Da haben wir keine Daten, wir haben aber bei den Gesprächen vor Ort festgestellt, dass viele gefragt haben: Was wäre denn, wenn wir kommen würden, an wen müssten wir uns denn wenden? Gibt es denn Ansprechpartner, die uns beraten können, können Sie uns helfen? Wir wollen eine Andockstation sein, wenn sie sich mit dem Gedanken tragen, dass ihre Lebenssituation dort vor Ort in der Türkei so schwierig ist, dass sie das Land verlassen müssen, dass sie dann jemanden haben, mit dem sie die ersten Informationen austauschen können, das ist unser Ziel."
    "Ich wollte mich solidarisieren"
    Die neue Internetseite ist knapp gehalten. Ihr Herzstück ist eine Deutschlandkarte, auf der man die Bundesländer einzeln anklicken kann und dann jeweils hilfsbereite türkisch-sprachige Juristen in der Region angezeigt bekommt. Fünf Rechtsanwälte sind es beispielsweise in Bayern, sieben in Hessen, in Nordrhein-Westfalen sogar zehn. Keine Hilfe zeigt die Karte dagegen im Saarland an, in den ostdeutschen Bundesländern und in Bremen. In Berlin sind es vier Personen, die hier mit Namen, Telefonnummer und E-Mail-Adresse gelistet sind. Eine von ihnen ist Handan Ceylan, als Rechtsanwältin spezialisiert auf Strafrecht:
    "Ja, ich wollte mich solidarisieren und auch eine gewisse erste Orientierungshilfe anbieten für meine Kollegen, die in einer sehr schwierigen Situation sind teilweise. Man kann einfach sagen: Solidarisierung und Unterstützung meiner Kollegen, auch Staatsanwälte und Richter, die ja auch quasi den Weg nach Deutschland suchen."
    Eine erste Anfrage hat sie gestern schon erreicht von einer Wirtschaftsrechtlerin aus Ankara, die mit ihrer Familie gerne nach Deutschland kommen würde.
    "Ja weil sie für ihre Kinder eine bessere Zukunft anbieten möchte, so hat sie es mir gesagt. Sie hat so die ersten Fragen gehabt und dachte auch, dass man quasi auch jobtechnisch was anbieten würde, was natürlich nicht geht, aber ich habe ihr gesagt, sie kann in der Tat als türkische Anwältin, die in der Türkei studiert hat, hier schon arbeiten und zwar für Türkeistämmige." Gemeint sind hiesige Kanzleien, die sich auf Themen und Mandanten in oder aus der Türkei spezialisiert haben.
    Erstkontakt ist kostenlos
    Auch der Berliner Migrationsrechtler Martin Manzel verzeichnet schon erste Anfragen von Juristen aus der Türkei, zwei Themen seien dabei im Fokus, berichtet er: zum einen Asyl in Deutschland und zum andern die Sicherung von Eigentum in der Türkei.
    Die Zahl der Anfragen an Ceylan, Manzel und die anderen freiwilligen Ratgeber dürfte noch steigen. Denn schon heute wurden auf der neuen Internetseite über 300 Klicks gezählt, allein von Computern in der Türkei. Dabei habe die Bekanntmachung über die türkische Anwaltskammer noch gar nicht begonnen, so Ulrich Schellenberg.
    Der juristische Rat, der über die Plattform vermittelt wird, sei zumindest beim Erstkontakt kostenlos, versichert Schellenberg. Einen kleinen Schönheitsfehler hat die großzügige Handreichung der deutschen Juristen an die türkischen Kollegen aber doch: Die auf der Plattform aufgeführten Ratgeber können zwar alle türkisch, ihre juristischen Fachgebiete sind jedoch keineswegs immer Verwaltungsrecht oder gar Asylrecht im Besonderen.
    "Um einen ersten Kontakt zu knüpfen, reicht es aus, allein sich mit der notwendigen Empathie dem Anfragenden zu stellen, türkisch zu sprechen, Anwalt zu sein, zu wissen, wie das System in der Bundesrepublik funktioniert und dieses kleine Einmaleins einer Übersiedlung zum Beispiel - das beherrschen die Kolleginnen und Kollegen und ansonsten ziehen sie dann natürlich auch jemand anderen bei. Wichtig ist, dass wir einen Brückenkopf haben in der Bundesrepublik, um von dort aus dann die weiteren Wege zu führen."