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Nach dem Referendum
Wird Frankfurt das neue London?

Eine knappe Woche nach dem Brexit-Votum der Briten machen sich viele Akteure in der Wirtschaft Sorgen, an einzelnen Schauplätzen werden aber auch Chancen gewittert. Die Finanzmetropole Frankfurt macht sich Hoffnungen, das Erbe Londons anzutreten. Die Vision hat aber auch ihre Schrecken.

Von Michael Braun | 30.06.2016
    Im ersten Licht des Tages spiegeln sich am 26.08.2015 die Lichter der Skyline von Frankfurt am Main (Hessen) zur morgentlichen blauen Stunde im Fluss.
    Die Skyline von Frankfurt (Christoph Schmidt, dpa picture-alliance)
    Was Frankfurt bietet an Lebensqualität, also an Lifestyle, an Büros und Offices, an Bildungschancen und Education, das posaunt seit Kurzem eine Website hinaus. welcometofrm.com hat die Marketingorganisation des Rhein-Main-Gebiets eingerichtet, eine Londoner Hotline inclusive. Auf den ersten "Like" wartet die Seite noch. Aber auf etablierteren Bankerbahnen laufen die Kontakte schon an:
    "Thomas Beyerle, Catella, guten Tag. Ach ja, vielen Dank für den Anruf…"
    Thomas Beyerle hat derzeit viel zu tun, am Telefon, als Analyst des Immobilienmarktes, auch desjenigen am Finanzplatz Frankfurt. Er führt die Geschäfte des Vermögensverwalters Catella und sagt:
    "Man markt natürlich, dass die Kommunikationskanäle glühen."
    Wird es Frankfurt? Wird es Dublin?
    Er hat schon vor dem Brexit-Entscheid der Briten mehrere Szenarien durchgespielt. Eines besagt, dass 70.000 von 700.000 Londoner Bankern umziehen, weil ohne britische EU-Mitgliedschaft britische Banken ihre Lizenz für das EU-Geschäft verlieren. Wird Frankfurt für den Umzug der 70.000 ins Kalkül gezogen? Beyerle meint aber:
    "Ehrlicherweise nein. Höflicherweise wird Frankfurt ins Kalkül gezogen. Realistischerweise fokussieren sich gerade meine Kollegen aus dem britisch-angelsächsischen Bereich eher auf Dublin. Gerade wenn sie einen US-amerikanischen Anteilseigner im Hintergrund haben, ist Dublin natürlich der gleiche kulturelle Kreis. Es ist vor eine ähnliche Sprache, eine ähnlich gelagerte Rechtsstruktur."
    Und dann gibt es natürlich noch Paris als renommierten Konkurrenten. Die Europäische Bankenaufsicht entscheidet gerade, ob sie von London nach Paris oder Frankfurt zieht, wo die europäische Versicherungsaufsicht schon sitzt und die Bankenaufsicht der Euro-Staaten auch. Auch Amsterdam und Luxemburg wollen vom Londoner Exodus profitieren.
    Dublins Vorteil ist nicht in Stein gemeißelt. Irgendwann könnten die EU-Subventionen für den offiziell immer noch strukturschwachen Standort auslaufen. Und dann will Frankfurt bekannt sein. Es bringt sich schon ins Gespräch. Vorneweg durch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier:
    "Wir wollen nicht Leichenfledderer sein. Aber wenn die Briten sich so entschieden haben, wie sie sich entschieden haben, dann wollen wir natürlich bei der Frage, ob und wie Unternehmungen, die sich in Großbritannien bisher befinden, insbesondere am Finanzplatz London, sich neu orientieren, werden wir nicht warten, was da in zwei Jahren bei rauskommt."
    Roadshow für Frankfurt geht an den Start
    Der deutsche Bankenverband will sich mit dafür einsetzen, den Finanzplatz Frankfurt weiter zu stärken, teilte er mit. Und die Finanzplatzinitiative "Frankfurt Main Finance", in der sich Banken, Börse, Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfer, Stadt und Land zusammengetan haben, ist schon aktiv geworden. Ihr Geschäftsführer Hubertus Väth war nicht für den Brexit, will Auswanderer aus London aber nicht vorbeiziehen lassen:
    "Wir in Frankfurt sagen: Wir bedauern es. Aber: herzlich willkommen. Was können wir für Sie tun? Die Tore der Stadt sind weit geöffnet. Und wir stehen bereit."
    Eine Roadshow für den Finanzplatz Frankfurt in London wird gerade vorbereitet. Man hofft auf offene Ohren. Denn die Boston Consulting Group hat britische Bankmanager befragt und ist auf viel Interesse für die Region Frankfurt gestoßen: wegen seiner zentralen Lage, der kurzen Wege, des ausgebildeten Personals, der guten Universitäten, der 31 internationalen Schulen. Und, so Immobilienspezialist Beyerle, wegen der aus Londoner Sicht niedrigen Preise:
    "Wenn jemand aus einem Hochpreissegment kommt, dann hat er auch eine völlig andere Nachfragekraft und –-acht und auch -philosophie: Wenn jemand 10.000 Pfund für eine Wohnung bezahlt hat in London, dann findet er 5.000 in Frankfurt, ich sag es mal ein bisschen flapsig, eher lustig. Obwohl es immer noch viel Geld ist für den eingeborenen Frankfurter hier. Und das sind genau die sozialen Disparitäten, die man über einen längeren Zeitraum natürlich schon erwarten muss in solch einer Situation."
    Es wird dauern mit dem Wachstum Frankfurts durch Brexit, weil erfahrungsgemäß zuerst die Briefkastenfirmen kommen und dann die Menschen. Schon richtet sich die Stadt darauf ein. Wegen der Chancen. Aber sie ahnt schon die damit verbundenen Schmerzen.