Donnerstag, 25. April 2024

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Nach dem Terror in Paris
Risikoforscher: "Man muss sich offensiver zur Unsicherheit bekennen"

Wie riskant ist das öffentliche Leben nach den Anschlägen in Paris? Auf jeden Fall steige das Unsicherheitsgefühl der Menschen, erklärte der Risikoforscher Wolfgang Bonß im DLF. Der Vorstellung, durch Zeit und Geld alles sicher machen zu können, erteilte der Soziologe eine Absage - und forderte die Entwicklung einer "neuen Unsicherheitskultur".

Wolfgang Bonß im Gespräch mit Michael Köhler | 18.11.2015
    Polizist beim Anti-Terroreinsatz in Saint Denis bei Paris/Frankreich.
    Ändern die Terroranschläge von Paris unseren Alltag? Der Soziologe und Risikoforscher Wolfgang Bonß spricht im DLF über die Ausweitung der Unsicherheitszone. (picture alliance / dpa / Yoan Valat)
    Michael Köhler: Es gibt Risiken, die liegen außerhalb unserer Reichweite. Da haben wir keinen Einfluss drauf. Sie befinden sich nicht im Nahbereich, lassen sich nicht kalkulieren. Für die sind wir kaum selber zurechnungsfähig.
    Wie fällen wir aber Entscheidungen unter Bedingungen von Unsicherheit? Ändern die Terroranschläge, die Ereignisse der letzten Tage unseren Alltag? Wer vom Risiko spricht, hat ja schon einen vernünftigen Akt vollzogen, etwas als riskant eingestuft, hält also eine Handlung für überschaubar. Unser alter Begriff von Risiko rückt Gefahren in den Ermessensspielraum des Einzelnen, subjektiviert sie.
    Den Soziologen Wolfgang Bonß, der an der Universität der Bundeswehr in München lehrt und über Risiko forscht, habe ich gefragt: Hat, wer vom Risiko spricht, ja schon etwas Vernünftiges getan und glaubt, die Situation zu überschauen?
    Wolfgang Bonß: An sich schon. Risiken sind ja die moderne Form der Unsicherheit und wer ein Risiko eingeht, der geht normalerweise davon aus, dass man es rational bewältigen kann.
    Köhler: Hat sich unter den Ereignissen der jüngsten Tage die Unsicherheitszone für den Menschen in seinem Erfahrungshorizont ausgeweitet, oder ist das eine abstrakte Ausweitung?
    Bonß: Es ist wahrscheinlich für die meisten tatsächlich eine Ausweitung. Jetzt gerade Paris ist ja deshalb so brisant, weil es an völlig verschiedenen Orten passiert ist, und man kann jetzt nicht sagen, man meidet Bahnhöfe oder Flughäfen oder sonst was, sondern in dem Fall kann es jetzt theoretisch an jedem Ort der Stadt passieren. Und das führt natürlich bei den Leuten schon dazu, dass wahrscheinlich das Unsicherheitsgefühl steigt.
    "Es gibt keine Versicherung gegen Terroranschläge"
    Köhler: Das moderne Risiko ist noch in unserem Verfügungsbereich gewesen. Wir konnten das einschätzen, es gehörte uns gewissermaßen. Ist jetzt das Neue, dass es entsubjektiviert ist? Es kann quasi aus jeder Ecke kommen?
    Bonß: Ja, obwohl es natürlich eigentlich von uns schon so wahrgenommen wird wie ein altes Risiko. Nur ist das Problem, dass es jetzt überall passieren kann. Aber wenn es passiert - ein Terroranschlag ist nicht ein Schicksalsschlag. Der ist ja auch nicht von Gott herbeigeführt, auch wenn manche Terroristen das ganz gerne so sehen würden, sondern er ist rational geplant und kalkuliert worden und deshalb nehmen wir ihn ja auch genau so wahr.
    Köhler: Es gibt keine Versicherung dagegen?
    Bonß: Es gibt keine Versicherung dagegen, das ist richtig. Aber es lässt sich durchaus rational darauf antworten, dass Sie, was weiß ich, große Menschenansammlungen meiden oder irgendwelche subjektiven Strategien entwickeln, um dem zu entgehen.
    Köhler: Bei Sturm ist es ratsam, an der Häuserwand entlangzugehen, hat meine Mutter mir immer als Schuljungen geraten, damit man keinen Dachziegel auf den Kopf kriegt. Bei solchen Gefahren reicht es jetzt nicht mehr, den Kragen hochzuschlagen, den Kopf einzuziehen und den Schirm zu öffnen?
    Bonß: Das ist richtig. Aber Sie können individuell schon was machen. Sie können sagen: Okay, ich gehe jetzt nicht mehr in die Stadt. Das ist zwar eine Einschränkung von Lebensqualität wahrscheinlich, aber das wäre durchaus denkbar.
    "Es geht um die Erfahrung der Unsicherheit"
    Köhler: Können Sie Menschen verstehen, die der Absage von solchen Vergnügungen, Fußballspielen, Konzerte, Caféhaus-Besuch, Restaurant und so weiter, eine Absage erteilen?
    Bonß: Die kann ich durchaus verstehen, denn wie gesagt, es führt doch zu einer relativ starken Einschränkung der Lebensqualität. Es ist ja genau das, was auch Terroristen wollen, dass man nicht mehr zu Veranstaltungen hingeht. Risiken bewältigt man ja zweckrational. So hätte es Weber gesagt. Terroristen sind wertrational. Aber sie sind eben rational und was sie produzieren an Unsicherheit, das perzipieren wir auch als Risiko und wir perzipieren es nicht als eine archaische Gefahr.
    Köhler: Können Sie Menschen verstehen, die sagen, jetzt soll man gerade erst Zeichen setzen, indem man ungehemmten Konsum an den Tag legt, indem man die Öffentlichkeit belebt, besetzt und sie sich nicht rauben lässt?
    Bonß: Ja, das kann ich schon verstehen. Ich habe zwar was gegen ungehemmten Konsum, aber ansonsten: Die Öffentlichkeit offensiv zu besetzen, das kann ich durchaus verstehen.
    Köhler: Wir erleben gerade eine Konjunktur eines alten Begriffs. Der dreht sich immer um Sicherheit, aber in Wahrheit geht es eigentlich um die Erfahrung von Unsicherheit.
    Bonß: Es geht um die Erfahrung von Unsicherheit, ja. Und auch die Erfahrung: Obwohl man alle Unsicherheiten als Risiken konzipieren will, die man mit Wahrscheinlichkeiten dann besetzen kann, erleben wir es jetzt, dass wir die Wahrscheinlichkeit nicht sinnvoll konstruieren können.
    "Vollständige Sicherheit gibt es nicht"
    Köhler: Was macht diese neue Erfahrung mit den Einzelnen, mit den Menschen? Die Straßenbahnen fahren, die Busse fahren auch noch. Trotzdem: Man schaut sich zweimal über die Schulter um?
    Bonß: Ich weiß nicht. Ich erlebe es im Moment zumindest hier in München nicht als eine große Verunsicherung. Das Leben hat sich hier nicht verändert.
    Köhler: Das heißt, wir kommen aus der Erfahrung von Unsicherheit in der entwickelten, entfalteten Moderne gar nicht raus?
    Bonß: Nein. - Nein. - Und da ist es sogar auch wichtig, dass wir nicht diese Vorstellung haben, Zeit und Geld vorausgesetzt kann man alles sicher machen. Das ist diese klassische Vorstellung: Wenn wir nur noch ein bisschen mehr Geld reinstecken und lange genug forschen, dann können wir alles komplett sicher machen, und seien das nun Kernkraftwerke, oder sei das Abschaffung des Terrorismus.
    Das wird nicht gehen, sondern man muss sich hier offensiver zur Unsicherheit bekennen und so was wie eine neue Unsicherheitskultur entwickeln. Das Problem ist ja in der Tat, dass wir sehr stark noch, wenn Sie so wollen, traditionell reagieren, oder ich sage dann immer einfach modern, dass man sagt, Zeit und Geld vorausgesetzt, können wir tatsächlich noch vollständige Sicherheit herstellen. Aber das ist etwas, was in der zweiten Moderne deutlich wird, dass es das nicht gibt.
    Köhler: Das sagt der Münchener Soziologe Wolfgang Bonß über die Ausweitung der Unsicherheitszone, Unsicherheitserfahrungen in der entfalteten Moderne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.