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Nach dem (Ur-)Knall ist vor dem Knall

Astronomie. - Mit dem Urknall hat alles angefangen, mit ihm sind Zeit und Raum entstanden. So die gängige Theorie der Astronomen zur Entstehung und Entwicklung unserer Welt. Doch diese Theorie kann nicht erklären, warum die normale Materie nur knapp fünf Prozent des Kosmos ausmacht, 95 Prozent aber auf die geheimnisvolle Dunkle Materie und Dunkle Energie entfallen, für die es keinerlei physikalische Erklärung gibt. Eine neue Theorie will da weiterhelfen, die heute in "Science" vorgestellt wird.

05.05.2006
    Wissenschaft paradox: Zwar haben die Astronomen keine Ahnung davon, was physikalisch hinter 95 Prozent des Kosmos steckt, aber es scheint kaum jemanden zu stören. Glaubt man der Hochglanz-PR der Nasa, dann haben die letzten Satellitendaten das Alter des Kosmos auf 13,7 Milliarden Jahre präzise bestimmt und auch sonst die meisten Probleme gelöst. Also, alles klar im All?

    "No, I wouldn't say so."

    Nein, das würde er nicht sagen, widerspricht Neil Turok, Kosmologe an der Universität von Cambridge in England.

    "Der Urknall ist für uns noch immer ein ziemlich kniffliges Phänomen. Der allgemein akzeptierten Theorie zufolge gab es damals sehr viel Materie und Strahlung und dazu noch einen ganz geringen Anteil Dunkler Energie. Aber in dieser Theorie sind die Anfangsbedingungen des Kosmos beim Urknall nur sehr schwer zu verstehen."

    Die Dunkle Energie ist heute die dominierende Macht im All. Man kann sie sich als Materie mit abstoßender Kraft vorstellen. Während sich Strahlung und normale, anziehende Materie im ausdehnenden Kosmos verdünnen, bleibt die Dichte der Dunklen Energie immer gleich. Mit ihrer abstoßenden Kraft treibt sie jetzt den Kosmos immer schneller auseinander. Die Astronomen sehen diesen Effekt in den Teleskopen und haben die Stärke der Dunklen Energie gemessen. Doch nach der gängigen Urknall-Theorie müsste die Dunkle Energie etwa 10 hoch 120 mal stärker sein als gemessen, das ist eine Eins mit 120 Nullen. Wäre die Dunkle Energie tatsächlich so stark, hätte es den Kosmos sofort nach dem Urknall so schnell auseinander getrieben, dass niemals Sterne und Planeten entstanden wären. Um das Rätsel der so schwachen Dunklen Energie zu lösen, macht Neil Turok einen - wie er selbst sagt - sehr radikalen Vorschlag:

    "Das Universum hat es schon immer gegeben - das ist unsere grundlegende Hypothese. In unserem Modell ist der Urknall ein ganz heftiges Ereignis, das ein bereits bestehendes Universum mit Strahlung und Materie gefüllt hat. Die Zeit aber ist nicht erst im Urknall entstanden. Es hat ein Universum vor diesem Urknall gegeben. Damals war die Dunkle Energie viel stärker. Sie ist erst im Laufe der Zeit schwächer geworden - und zwar über einen viel, viel längeren Zeitraum als etwa 14 Milliarden Jahre. Früher war sie viel stärker, doch wir beobachten heute einen ganz geringen Wert der Dunklen Energie."

    Nach Neil Turok war der Urknall also nicht ein kompletter Neuanfang. Zeit und Raum gab es schon immer. Die Dunkle Energie wird sozusagen von Urknall zu Urknall durchgereicht. Turok:

    "In unserem Modell durchläuft das Universum viele Zyklen, in denen es sich ausdehnt und wieder zusammenfällt. Vielleicht hat es unendlich viele solcher Zyklen gegeben. Die Dunkle Energie nimmt von Zyklus zu Zyklus ab. Allerdings dauert ein Zyklus um so länger, je schwächer die Dunkle Energie ist. Es ist also kein Zufall, dass wir jetzt in einem Zyklus mit sehr geringer Dunkler Energie leben. Heute dauert der Zyklus etwa eine Billion Jahre."

    Da der Urknall für den aktuellen Zyklus erst knapp 14 Milliarden Jahre her ist, dauert es noch ein Weilchen, bis die Ausdehnung des Kosmos innehalten, wieder alles zurückfallen und von neuem sich ausdehnen wird. Neil Turoks zyklisches Universum ist unter Kosmologen sehr umstritten, die "Weltformel" hat auch er noch nicht gefunden. Doch immerhin beschreibt Turok den Urknall mit bestehender Physik im Rahmen der String-Theorie. Und er liefert eine physikalische Erklärung, warum die Dunkle Energie heute so schwach ist. Sollte das Universum zudem schon immer existiert haben, dann bräuchten die Kosmologen keinen Schöpfungsmoment mehr - Ewigkeit kann man nicht erklären...