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Nach dem Verbot von Blitz-Scheidungen in Indien
Sieg der Frau - oder politischer Schachzug?

Manchmal kommt die Drei-Worte-Nachricht per SMS: Verstoßen, verstoßen, verstoßen. Für viele Muslime ist ein Mann somit rechtskräftig von seiner Frau geschieden. Indiens Oberster Gerichtshof hat diese Form der islamischen Scheidung nun verboten. Das Verbot ist weiter umstritten.

Von Silke Diettrich | 29.08.2017
    Anusha und Bushra sind sich nicht ganz einig darüber, was sie über die Schnell-Scheidung denken sollen.
    Die Schnell-Scheidung - in Indien umstritten - auch bei Anusha und Bushra (Deutschlandradio / Silke Diettrich)
    Nach dem großen Regenschauer polieren Gemüsehändler in Nizamuddin ihre Tomaten, Gurken und Auberginen. Das Viertel liegt im Herzen von Delhi, hier leben vor allem Muslime. Der Friseur auf der Straße wischt gerade noch die letzten Tropfen vom Spiegel, als Mustaqeem um die Ecke schaut. Stattlicher Bauch, grauschwarzer Bart, der sich unter seinem Kinn kräuselt. Erst lächelt der Koch freundlich, als die Rede auf das Urteil kommt, verfinstert sich seine Miene:
    "Niemand hat das Recht, sich in unsere religiösen Angelegenheiten einzumischen! Verstehen Sie? Das geht nur uns etwas an. Darüber hätte das Gericht nicht urteilen dürfen!"
    Die herum stehenden Männer nicken. Mehr als 170 Millionen Muslime leben in Indien. Für sie gilt ein eigenes religiöses Personenstandsrecht im Land. Und dafür gibt es ein eigenes Gremium, das darüber wacht, dass die religiösen Regeln eingehalten werden. Die muslimischen Männer hier finden, dass dies auch völlig ausreiche:
    "Wir richten uns weiterhin nach der Scharia, heute sagen sie, unsere Blitz-Scheidung ist gegen die Verfassung und morgen, was kommt dann?"
    Nun reden alle wild durcheinander.
    "Bald erzählen sie uns, dass wir nicht mehr beten dürfen oder nicht mehr im Koran lesen sollen!"
    Hindu-nationalistische Schikane?
    Viele Muslime haben das Gefühl, die derzeitige Regierung in Indien wolle sie schikanieren. Die Regierungspartei BJP ist konservativ, national und sehr hinduistisch geprägt. Die Musliminnen aber, die vor Gericht gezogen sind, um gegen die islamische Blitzscheidung zu klagen, wollten nur eines erreichen: Gleichberechtigung, sagt Shayara Bano, sie ist eine der Klägerinnen:
    "Ich möchte dringend darum bitten, dass dieses Urteil nicht als ein politisches Urteil aufgefasst wird. Es geht hier um die Stellung der muslimischen Frau in der Gesellschaft. Das Urteil sollte von allen akzeptiert werden und ein neues Gesetz sollte dann folgen."
    Das fordern nun auch die Richter des Obersten Gerichtshofes, die entschieden haben, dass die islamische Blitzscheidung verfassungswidrig ist, weil sie nur vom Mann ausgesprochen werden kann. Die Ehefrau kann nicht widersprechen, sie kann es nur hinnehmen. Talaq, talaq, talaq, drei Mal hintereinander das Wort "verstoßen" ausgesprochen oder geschrieben vom Ehemann und die islamische Ehe in Indien galt als ungültig. Der Ehemann ist dann oft nicht einmal mehr für den Unterhalt aufgekommen. Das hat auch Sameena Begum erlebt. Als sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war, ließ ihr Mann sie einfach sitzen:
    "Sechs Monate später, da war mein zweiter Sohn schon auf der Welt, ich musste mich um beide Kinder alleine kümmern, da habe ich wieder versucht, ihn zu erreichen. Keine Antwort. Ein paar Tage später kam ein Brief von ihm. Meine Schwester hat ihn aufgemacht, darin standen nur drei Mal die gleichen Worte: Verstoßen, verstoßen, verstoßen."
    Blitz-Scheidung: pro und contra
    Anusha und Bushra schlendern durch die Gassen von Nizamuddin, die beiden Jugendlichen sind noch nicht verheiratet. Sie sind 16 und 17 Jahre alt und machen eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Anusha denkt laut darüber nach, warum wohl nur Männer diese Art der Blitzscheidung durchführen durften:
    "Frauen haben vermutlich nicht das Recht dazu bekommen, weil sie schnell einfach irgendetwas daher sagen, ohne richtig darüber nachzudenken. Männer haben sich besser unter Kontrolle, sie denken erst, bevor sie reden."
    Ihre Freundin Bushra sieht das komplett anders und fällt Anusha ins Wort:
    "Das ist falsch! Der Mann ruiniert das ganze Leben der Frau auf einen Schlag, er muss nur drei Mal talaq sagen. Selbst wenn die Frau das Recht dazu hätte, sie würde das dem Mann niemals antun!"
    "Ein Sieg für muslimische Frauen"
    In vielen muslimischen Ländern ist diese Blitzscheidung verboten, auch in Indiens Nachbarländern Pakistan und Bangladesch. Viele islamische Gelehrte beharren immer wieder darauf, dass diese Art der schnellen Scheidung auch laut Koran verboten sei. Auch der Koch Mustaqeem, der nun auf dem Friseurstuhl Platz genommen hat, sagt, dass ein Mann diese Art der Schnellscheidung nicht vollziehen sollte, eigentlich sollte es gar keine Scheidungen geben, findet er. Aber das jetzige Urteil in Indien sei reine Schikane der derzeitigen Regierungspartei gegen Muslime:
    "Sie unterdrücken die Muslime im Land und versuchen sie einzuschüchtern. Keine andere Partei zuvor hat sich in unsere religiösen Belange eingemischt."
    Der Koch Mustaqeem sagt, das Gericht in Indien hätte sich nicht in die religiösen Belange der Muslime einmischen dürfen.
    Der Koch Mustaqeem sagt, das Gericht in Indien hätte sich nicht in die religiösen Belange der Muslime einmischen dürfen. ( Deutschlandradio / Silke Diettrich)
    Um sich genau diesem Vorwurf nicht aussetzen zu müssen, also Muslimen gegenüber voreingenommen zu sein, wurden fünf Richter mit fünf unterschiedlichen Religionen eingesetzt. Ihr Urteil lautete: Die Blitzscheidung sei "unislamisch, willkürlich und nicht verfassungsgemäß". Der Premierminister Indiens, Narendra Modi sprach von einem historischen Urteil, das gefällt wurde. Es sei eine gute Maßnahme, um die Rechte der muslimischen Frauen zu stärken. Amit Shah, der Chef der BJP- Partei sagte:
    "Dieses Urteil ist kein Sieg für Hindus oder ein Zeichen, dass wir Muslime in die Knie gezwungen hätten. Es ist ausschließlich ein Sieg für muslimische Frauen, dass auch für sie die verfassungsgemäße Gleichheit vor dem Gesetz gilt."
    Es mutet in der Tat ein wenig befremdlich an, wie viele Mitglieder der hindunationalistischen Partei BJP nun zu Verfechtern von Frauenrechten werden. Denn auch wenn die Gleichheit vor dem Gesetz in der indischen Verfassung verankert ist, sieht die Realität für Hindufrauen anders aus. Mädchen gelten oft als Last, weil sie nach der Heirat das Haus verlassen müssen und ihre Familie oft noch eine Mitgift an die Eltern des Bräutigams zahlen muss. So werden auch bei traditionellen Hindus weibliche Föten abgetrieben, Schwestern bekommen weniger zu essen als ihre Brüder. Und sobald der Mann verstorben ist, werden bei einigen Hindufamilien die Witwen einfach vor die Tür gesetzt und verstoßen.